Kapitel 7

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Kleine Anmerkung für meine Leser:
Ich habe lange überlegt, ob ich das Ende umschreiben soll. Nachdem so viel Zeit seit Entstehen der Geschichte vergangen ist, finde ich es nicht mehr ganz passend. Allerdings möchte ich euch meine ursprüngliche Fassung nicht vorenthalten. Deswegen kommt hier nun das vorletzte Kapitel - unbearbeitet, unverändert und direkt so, wie es in meinem Kopf entsprungen ist. Viel Spaß!
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Mein Körper explodierte. Sofort überzog mich eine Gänsehaut, während ich meinte, verglühten zu müssen vor innerer Hitze. Meine Kopfhaut kribbelte so sehr, als würden tausend Schmetterlinge darauf sitzen und mit ihren zarten Flügeln gegen meine Haare stoßen.

Erst als ich spürte, dass Juliana den Kuss beendete, hörte ich die erschrockenen Rufe im Raum. Ich öffnete verträumt die Augen und war im ersten Moment von den Scheinwerfern geblendet, unter denen wir standen. Doch dann sah ich, wie die gesamten Anwesenden uns anstarrten, als wären wir soeben vom Mars gekommen. Ich erkannte Emma unten auf der Tanzfläche, die glücklich in unsere Richtung sah, doch andere, vor allem die Lehrer, waren völlig verblüfft, einige sahen sogar verärgert aus. Ich fühlte mich in der Zeit zurückversetzt und erwog, ob es sinnvoll war, jetzt davonzulaufen. Nein, war es nicht.
»Was erlaubt die sich eigentlich?!«, schrie ein Lehrer, den ich nicht kannte, aber ich wusste nicht, ob er mich oder Juliana meinte. Meine Hände ballten sich zu Fäusten. Das durfte doch nicht wahr sein! Die Leute hatten wohl überhaupt keine Ahnung davon, wie es uns unter ihren Beschimpfungen erging. Auch Juliana schien getroffen, denn sie senkte den Blick. Warum konnten die Leute nicht akzeptieren, dass es auch Menschen gab, die sich trotz aller irdischen Verbote liebten?
»Igitt, das ist abnormal! Zwei Frauen – Schülerin und Lehrerin!«, rief irgendein Gast, und dann folgten auch noch andere empörte Rufe.
Martina, die bereits mit dem Mikrofon in der Hand auf der Bühne stand, bekam den Mund nicht mehr zu vor Erstaunen. Als mein Blick sie streifte, erwachte sie aus ihrer Starre und räusperte sich. Dann trat sie vor uns und krächzte: »Nun, sind das alle, die tanzen wollen? Wir hätten noch Platz.«
Niemand rührte sich. Außer mir.
Ich trat einige Schritte nach vorne, riss Martina energisch das Mikrofon aus der Hand und stieß sie unsanft zur Seite. Die abschätzigen Blicke und die Rufe konnte ich einfach nicht länger ertragen.
Mein ganzes Leben lang hatte ich geschwiegen, wenn jemand etwas Verletzendes zu mir gesagt hatte. Ich hatte nichts gesagt, wenn mich jemand für etwas beschuldigt hatte, was ich nicht getan hatte.
Aber jetzt wollte ich reden.
»Wenn ihr jetzt nicht sofort ruhig seid, dann könnte es durchaus sein, dass ich die Beherrschung verliere, und das könnte sehr ungemütlich werden!«, drohte ich den Anwesenden donnernd, und dank des Mikrofons schallte meine wütende Stimme durch den ganzen Saal. Augenblicklich hatte ich die volle Aufmerksamkeit der Leute, von denen mich die meisten geschockt ansahen. Vielleicht war die Wortwahl nicht die beste gewesen, aber wenigstens hatte ich damit auf mich aufmerksam gemacht. Und das war es, was ich in diesem Moment am meisten wollte. Normalerweise war ich immer im Hintergrund und versuchte, mich nicht ins Blickfeld zu rücken, aber jetzt kam es mir richtig vor. Ich musste jetzt endlich etwas tun. Diese Ausgrenzung konnte ich nicht länger hinnehmen.
»Glauben Sie mir, meine Damen und Herren«, setzte ich meine unfreundlich begonnene Rede formell und etwas ruhiger fort, »es war nicht leicht, mir meine Liebe zu dieser Lehrerin, die jetzt neben mir steht, einzugestehen.« Ich sah Juliana an, die mich überrascht anblickte, doch als ich zu ihr ging und ihre Hand nahm, lächelte sie wieder. Jetzt hatte ich das Gefühl, alles schaffen zu können.
»Ich habe mich die ganze Zeit über gefragt, ob es denn falsch ist, Juliana zu lieben«, fuhr ich fort und spürte, wie die Worte nur so aus mir heraussprudelten. Es tat unglaublich gut, sie mit der übrigen Welt zu teilen. Jemand musste diese Menschen endlich aufklären. »Immer und immer wieder habe ich mich das gefragt. Und wissen Sie was? Ich bin zu einem Ergebnis gekommen.«
Ich machte eine theatralische Pause, in der ich den Blick durch den Saal schweifen ließ. Unzählige neugierige, aber auch wütende Augenpaare starrten mich an. Ungerührt fuhr ich fort: »Ich habe festgestellt, dass es nicht falsch sein kann, jemanden zu lieben. Es kann nur verboten oder als nicht normal angesehen werden, aber es kann niemals falsch sein. Warum sollte man immer mit dem Strom schwimmen? Wer schreibt uns vor, was richtig und was falsch ist? Wer sagt uns, wen wir lieben dürfen und wen nicht? Niemand. Niemand kann uns vorschreiben, was richtig und was falsch ist. Nur, weil es nicht üblich ist, heißt es nämlich nicht, dass es nicht richtig ist. Richtig und Falsch zu definieren, das ist unmöglich, weil es immer nur subjektiv sein kann. Ist es denn richtig, dass wir in Häusern leben? Was wäre denn falsch daran, wenn wir auf Bäumen leben würden? Nichts. Es wäre nur nicht üblich. Ich denke, Sie verstehen, was ich Ihnen sagen will. Jeder soll so leben, wie er es für richtig hält. ›Dies und das macht man nicht!‹, heißt es im allgemeinen Sprachgebrauch, wenn jemand etwas tut, das unüblich ist. ›Das ist falsch!‹, rufen gleich alle. Ach ja? Ist es das? Wer ist dieser Jemand namens Man, der uns vorschreibt, was wir zu tun und zu lassen haben? Müssen wir ihm folgen? Oder können wir nicht einfach auch mal das tun, was wir tun wollen? Diese Fragen muss jeder für sich selbst beantworten, das Denken kann ich Ihnen nicht abnehmen.«
Jemand lachte, verstummte aber sofort wieder.
»Aber ich möchte Ihnen einen Denkanstoß geben, endlich darüber nachzudenken, was denn daran so schlimm oder falsch sein soll, wenn sich zwei Menschen lieben, auch wenn es zwei Frauen oder zwei Männer sind oder es gegen jede aufgestellte Regel ist. Homosexualität ist doch nichts Schlimmes oder Gefährliches. Und Liebe erst recht nicht, auch wenn sie gegen alles verstößt, was bisher als normal galt. Ich liebe meine Lehrerin – na und? Zu hundert Prozent bin ich nicht die Einzige auf dieser Welt, die mit diesen Gefühlen klar kommen muss. Sie haben nicht die leiseste Ahnung, wie schwer es ist, mit diesen Gefühlen umzugehen. Ich habe gekämpft, habe versucht, sie zu unterdrücken und zu verdrängen. Es war vergeblich und völlig sinnlos. Gegen Emotionen kann man nichts ausrichten, das weiß jeder von Ihnen.
Und wer jetzt immer noch Einwände gegen die Liebe von mir und Juliana hat, der sollte sich jetzt einen Spiegel zur Hand nehmen und sich selbst betrachten. Und dann sehen Sie mich an. Ich bin eine Frau und liebe eine Frau. Aber ich habe einen Kopf, zwei Arme, zwei Beine. Ich kann denken und sprechen wie Sie. Macht mich meine Liebe etwa zu keinem Menschen, wenn ich es sonst wäre? Ich bitte Sie, das ist lächerlich.«
»Jawohl! Recht hat sie!«, hörte ich da jemanden rufen und erkannte erfreut, dass es Kevin war. Er und Colin standen plötzlich Hand in Hand auf und schritten zwischen den Tischen und Stühlen hindurch zur Bühne, aller Blicke auf sich ziehend. Sie kamen zu mir und Juliana auf die Bühne und stellten sich neben uns, immer noch Hand in Hand. Ich nickte ihnen dankend zu. Kevin und Colin lächelten mich an.
»Sehen Sie, wir sind schon zu viert«, sagte ich ins Mikrofon und wandte mich wieder den Leuten zu. »Und sagen Sie mir jetzt bitte nicht, dass Kevin und Colin keine Menschen sind. Jeder aus meiner Jahrgangsstufe kann bestätigen, dass sie Spiele zocken, abends auf Partys gehen und so cool drauf sind wie andere Jungen in ihrem Alter auch. Es sagt nichts über einen Menschen aus, wen er liebt. Wir alle sind Menschen, und jeder ist einzigartig. Das sollte endlich akzeptiert werden.«
Für wenige Augenblicke herrschte Stille, dann begann Juliana zu klatschen. Colin und Kevin fingen ebenfalls damit an, und dann war die Masse nicht mehr zu bändigen. Die Leute standen auf, klatschten und einige pfiffen sogar anerkennend. Ich nahm diesen Augenblick in mir auf und badete mich in meinem kleinen Ruhm, der mir plötzlich vergönnt war. Juliana drückte meine Hand, und ich nahm mit meiner freien Hand die von Colin, der mir glücklich zunickte.
»Danke«, rief er mir so leise zu, sodass nur wir auf der Bühne es hören konnten. Dann stand der Direktor unserer Schule auf, und der Applaus verebbte augenblicklich. Mir steckte plötzlich ein Kloß im Hals, als ich ihm dabei zusah, wie er auf die Bühne kam und vor Juliana und mir stehen blieb. Er nahm mir das Mikrofon aus der Hand.
»Danke für deine Rede, Kate«, sagte er, und ich war erstaunt über seine Worte. Bevor ich etwas sagen konnte, fuhr er fort: »Du hast uns heute Abend sehr anschaulich dargelegt, dass Homosexualität oder die Liebe zu einer Lehrkraft nichts Falsches ist. Ich glaube, jeder hier im Saal stimmt mir zu, wenn ich sage, dass ich dir Respekt für deine Offenheit zolle. Nicht jeder hätte sich das getraut. Hut ab.«
Höflicher Applaus erklang, dann nickte mir der Direktor kurz zu. Doch ich hatte nur mit halbem Ohr zugehört, weil ich die ganze Zeit an Julianas Kuss denken musste.
»Jedoch habe ich etwas einzuwenden«, fuhr er fort, und mein Magen verkrampfte sich vor Nervosität. »Die Beziehung zu meiner Angestellten ist dir gestattet, Kate, da du schon volljährig und mit der Schule fertig bist. Allerdings gilt das nicht für jeden, der irgendwo auf der Erdkugel in einen Lehrer oder in eine Lehrerin verliebt ist. Es gibt immer noch Gesetze, die es verbieten, dass Lehrer und Schüler eine Beziehung miteinander eingehen. Dieses Verbot möchte ich an dieser Stelle nur noch einmal ansprechen, denn es ist wichtig und sollte – auch wenn Ausnahmen die Regel bestätigen – eingehalten werden. Vielen Dank.«
Der Direktor ließ kurz den Blick schweifen, dann übergab Martina das Mikrofon. Sie schüttelte den Kopf, als könne sie nicht glauben, was soeben passiert war. Dann schien sie sich allerdings wieder im Griff zu haben, denn sie sagte: »Nun, hat jetzt jemand Lust zu tanzen?«
Einige Menschen, vermutlich beschwingt durch die letzten Minuten, stürmten auf die Bühne und die Tanzfläche, als wäre etwas in ihnen aufgetaut, das sie vorher auf ihren Plätzen gehalten hatte.
Juliana sah mich glücklich strahlend an. »Du warst großartig«, sagte sie, während Kevin und Colin begannen zu tanzen. »Ich hätte dir nie zugetraut, dass du offen über deine Gefühle sprichst. Du bist sonst immer eher verschlossen.«
»Das war ich, bis ich dich kennen gelernt habe«, erwiderte ich mit einem Lächeln auf den Lippen. »Du hast mir gezeigt, dass ich mehr als die graue Maus bin, die ich achtzehn Jahre lang war. Ich danke dir dafür.«
Sie lachte leise und drückte mir dann einen Kuss auf die Lippen. Hand in Hand verließen wir die Bühne und gingen zu Emmas Tisch, die dort bereits auf uns gewartet hatte.
»Wie gesagt, ich musste dich zu deinem Glück zwingen«, lachte sie und kam auf uns zu. »Kate, du warst großartig! Und siehst du – es hat sich gelohnt zu kämpfen.« Bei ihren letzten Worten warf sie Juliana einen fröhlichen Blick zu. In diesem Moment hätte ich meine beste Freundin am liebsten umarmt und nie wieder losgelassen, doch es gab noch etwas Wichtiges mit Juliana zu besprechen.
»Hast du etwas dagegen, wenn wir kurz nach draußen gehen?«, fragte ich sie. Sie schüttelte den Kopf und begleitete mich dann nach draußen, wo wir uns gegen eine Mauer lehnten.
»Du fragst dich sicher, was vorhin auf der Bühne in mich gefahren ist«, begann Juliana, bevor ich mein Anliegen vortragen konnte. »Nun, lass es mich dir kurz erklären. Auf der Schulfeier vor einigen Wochen war ich so überrascht, dass du mich geküsst hast, dass ich mich sofort wieder in die Arbeit gestürzt und mit Herr Sauer über schulische Dinge gesprochen habe, um Abstand zu dem Kuss zu bekommen. Ich war so verwirrt, dass du dich anscheinend in mich verliebt hattest. Um sicherzugehen, dass das auch stimmte, habe ich am nächsten Tag das Gespräch mit dir gesucht, in dem du mir deine Liebe gestanden hast. Ich hätte vor Freude in die Luft springen können, aber ich habe mich zusammengerissen, weil es zu diesem Zeitpunkt noch nicht möglich war, dass wir zusammen sein konnten.«
»Warum nicht?«, fragte ich leise.
»Weil ich offiziell noch deine Lehrerin war«, antwortete Juliana. »Denn erst mit Ausgabe deines Zeugnisses bist du keine Schülerin mehr. Und erst jetzt können wir zusammen sein, weil es ja nicht erlaubt ist, dass Schüler und Lehrer – verzeih, Schülerin und Lehrerin – zusammen sein dürfen. Da ich aber jetzt nicht mehr deine Lehrerin bin, spricht nichts dagegen.«
Völlig fassungslos starrte ich sie an. Sie hatte mich die ganze Zeit über also auch geliebt! Und ich hatte wirklich geglaubt, sie wollte etwas mit Herr Sauer anfangen. Wie dumm war ich nur gewesen! Und wie blind.
»Danke, dass du mir das erzählt hast«, hauchte ich, und dann fiel mir plötzlich der Tag ein, an dem ich Juliana im Stall hatte reden hören.
»Ich habe dich einmal im Stall mit Rubra sprechen hören«, sagte ich leise, und überrascht hob Juliana den Kopf. »Hast du damals laut überlegt, ob du mir deine Liebe gestehen sollst?«
Innerhalb von Sekunden hatte sich dieser Tag wie ein fehlendes Teil in das gesamte Puzzle eingefügt, jetzt, wo ich wusste, dass sie mich liebte.
»Ja«, antwortete Juliana und lächelte. »Du hast mich also belauscht?«
»Zufällig. Ich wollte eigentlich nicht, aber ... na ja, ich konnte nicht anders. Entschuldige bitte.«
Doch sie grinste mich nur an. »Ich war damals verzweifelt und nahe dran, dir alles zu sagen. Doch ich habe beschlossen, es nicht zu tun. Es hätte nichts geändert. Wir hätten damals rechtlich nicht zusammen sein dürfen.«
»Ich hätte auf dich gewartet«, flüsterte ich leicht gekränkt. Sie sah mich flehend an.
»Es tut mir leid, Kate. Jetzt weiß ich es, aber damals wusste ich es nicht. Ich dachte, du wolltest nichts mehr mit mir zu tun haben, weil du meine Gegenwart gemieden hast. Verzeih mir, dass ich so blind war.«
Ich verzieh ihr sofort. Es spielte sowieso keine Rolle mehr. Alles, was jetzt zählte, war, dass sie mich liebte. Und ich sie.
Wir schwiegen eine Weile. Es war unglaublich schön zu wissen, dass sie mich tatsächlich liebte. Dieses neue Gefühl wollte ich jetzt so lange wie möglich auskosten.
»Ich werde in zwei Wochen wegziehen«, erklärte ich Juliana irgendwann, die erstaunt die Augenbrauen hochzog. »Mein Arbeitsplatz wird zwanzig Kilometer von hier weg sein, da ist es klüger, umzuziehen. Außerdem möchte ich weg von meinen Eltern ...«
»Ich komme mit dir.«
Verblüfft sah ich sie an.
»An dieser Schule hat es mir nicht sonderlich gut gefallen«, erklärte sie. »Das Einzige, was schön war, war der Unterricht mit dir.«
Schmunzelnd berührte ich ihren Unterarm und fuhr mit meinem Zeigefinger sanft bis zu ihrer Hand, auf die ich meine eigene legte.
»Ich werde mich an einem Gymnasium in der Stadt bewerben, in der du arbeiten wirst«, fuhr sie fort. »Dann muss ich mir nur noch eine Wohnung besorgen, und schon bin ich weg von hier. Das wird ganz schön stressig.«
»Um die Wohnung musst du dir keine Sorgen machen«, sagte ich sofort. »Ich habe eine, die viel zu groß für mich alleine ist. Du kannst gerne bei mir einziehen.«
Juliana lachte und erwiderte, dass sie dieses Angebot niemals annehmen könne, doch ich antwortete: »Keine Widerrede. Ich musste auch immer mit dir tanzen, also ziehst du jetzt bei mir ein. Das mit der Miete bekommen wir schon auf die Reihe. Und wer weiß, wenn wir irgendwann genug Geld haben, dann eröffnen wir einen Reiterhof.«
Mit einem strahlenden Gesicht beugte sie sich zu mir und wir küssten uns. In diesem Moment hätte die Welt untergehen können, Juliana und ich hätten nichts davon bemerkt.

Rot wie die LiebeKde žijí příběhy. Začni objevovat