Kapitel 18

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Er hielt mir seine Hand so helfend entgegen...etwas in mir wollte zugreifen, ja etwas in mir wollte Hilfe.
In meinem Kopf ging ein einziges Chaos von statten, ich konnte nicht begreifen, ich wollte einfach fort.

Fort von diesem Ort, fort von diesem Leben.

"Na komm...". Er lächelte mich freundlich an, wohl das freundlichste lächeln das ich je von ihm gesehen hatte. Ich blickte in seine Augen und sah... Ehrlichkeit? Mitgefühl? Ich schüttelte meinen Kopf und schaute zu Boden.
Das konnte nicht sein, unmöglich...

"Ich brauch keine Hilfe, bitte lassen sie mich in Ruhe...". Er seufzte.

"Weißt du Mirika, ich bin mir bewusst das ich dir das Leben ziemlich erschwert habe...". Ich blickte erneut zu ihm und diesmal blieb er wie gefesselt an ihm.
Herr Miller zog mich mit einem Ruck hoch und winkte mich hinter sich her.
Ich folgte ihm ohne zu zögern.

Er führte mich hinter die Schule, ich kannte diesen Ort, doch diese Bank war mir neu...
"Ich war schon öfter hinter der Schule, woher kommt diese Bank?". Herr Miller lachte und klopfte neben sich auf dem Sitz. Ich setzte mich zu ihm und schaute ihn an.
"Das ist nicht ungewöhnlich, sie wird von fast jedem übersehen...".
Die Stimmung wurde bedrückend, ich spürte sogar einen Funken traurigkeit.

"Hör mir bitte zu". Bat er mich mit sanfter Stimme und ich nickte.

"Ich habe dir bestimmt oft Angst gemacht, dir das Leben erschwert...das habe ich nun bemerkt als ich dich so auf dem Boden sah". Begann er und Wut stieg in mir auf.
Nur erschwert!? Dieser Mann hatte alles erst ins Rollen gebracht!
Ich hatte eine ungeheuere Wut auf ihn in mir und ich wusste, egal was jetzt aus seinem Mund kommen würde...ich könnte ihm nicht-

"Wir sind uns ähnlich Mirika". Meine Gedanken stoppten und ich blickte ihn perplex an.
"W-was...?". Er nickte.
"Damals war ich auch auf dieser Schule, das hier war mein liebster Platz...".
Ich verstand nicht warum er es mir erzählte und eigentlich war es mir auch herzlichst egal.
"Warum sollte mich das interessieren?". Fragte ich wütend und blickte uninteressiert in die Ferne.
"...weißt du warum?". Ich schüttelte den Kopf, was für eine dumme Frage.
Er schwieg für einen Moment, anscheinend schien er sich selbst zu sammeln.

"...weil man hier vergessen wird".

~♡~

Ich brauchte eine Weile um zu realisieren, was ich gerade aus seinem Mund vernommen hatte.
In seinen Augen lag Trauer und Schmerz...doch warum? Dieser Mann könnte niemals...

"...vergessen?". Fragte ich vorsichtig und Herr Miller fing sich wieder.
"Ja vergessen...möchtest du das nicht auch manchmal? Fort sein und von dieser Welt verschwinden?". Ich ließ den Kopf hängen, er hatte nicht mal unrecht...diese Gedanken gab es, ich hatte sie in letzter Zeit zu oft.
"Damals war ich am Abgrund, Mobbing...es war kaum auszuhalten und deswegen wollte ich verschwinden...diese Bank übersieht man gerne nicht wahr?".
Er schaute zu Boden.

"Sie wollten...übersehen werden?". Fragte ich und folgte seinem Blick zu Boden. Plötzlich fing er an leicht zu lachen und ich betrachtete ihn verwundert. "Jetzt fragst du dich bestimmt, warum ich dir das alles Erzähle". Ich nickte und er atmete lautstark aus. "Mirika...es tut mir leid". Meine Augen weiteten sich vor entsetzen. Ich wollte etwas sagen, schloss meinen Mund jedoch sofort wieder. Mir fehlten die Worte...
"Ich gebe zu, am Anfang wollte ich nur ein Opfer haben, jemanden...der so leiden sollte wie ich damals. Doch dann sah ich immer mehr mich selbst in dir! Ich wollte dir wieder helfen, doch du warst zu stark...". Er stockte und ich sah Tränen in seinen Augenwinkeln. "...wieso konnte ich damals nicht so stark sein? Ich verstand es nicht...".

Nun wurde mir so einiges klar.
Dieser Mann tat dies alles nur wegen einem Grund...
"Jetzt verstehe ich aber...". Ich schaute in seine vertränten Augen.

"...sie sind schwach". Seine Augen weiteten sich und ich stand auf.
"I-ich bin nicht schwach! Was redest du da Mirika? Ich habe es geschafft! Ich bin Lehrer geworden, die anderen sind mittlerweile in der Gosse und verotten dort sicherlich...aber der dumme Streber hat es auf die Reihe bekommen! Ich-". Er stockte als sich unsere Blicke trafen. "Herr Miller sie irren sich. Wir sind nicht gleich, wir sind die totalen Gegensätze". Nun fehlten ihm die Worte und es tat gut.
"Sie suchen sich Opfer um sich besser zu fühlen, doch so schwach bin ich nicht".
Ich lief ein paar Schritte nach vorne und blickte Richtung Horizont.
Ich war mir sicher, dort draußen liegt meine Zukunft...es ist noch nicht vorbei.
"Ich möchte nicht...das jemand wegen mir Leid ertragen muss. Deswegen vergebe ich lieber und nehme den Schmerz auf mich". Herr Miller stand auf, begab sich vor mich und hielt mich fest an den Schultern fest.
"Rede keinen Unsinn Mirika! Wir beide Leiden, wir können nicht vergeben. Endlich habe ich jemanden gefunden der genauso ist wie ich!". So wie er mir in die Augen blickte, sah es glatt so aus als würde er etwas in ihnen Suchen, eine Antwort...eine Bestimmung und einen Sinn für sein eigenes Leben.
"Ich muss sie Enttäuschen". Ich befreite mich aus seinem Griff und wich etwas zurück.
"Haruka hat mich verletzt und Hiro brach mir das Herz...Mike hasst mich sogar...". Herr Miller nickte hektisch. "Genau! Menschen tun einander nur weh, deswegen war ich so froh dich getroffen zu haben...du verstehst mich".

Ein wenig tat er mir leid. Er war wie ein verirrtes Lämmchen auf der Suche nach seiner Mutter. Diese Welt hatte ihn zerstört, er war zu schwach. "Wissen sie...jeder geht seinen eigenen Weg und ich werde nun meinen gehen. Es kam so wie es kommen musste, meine Freunde sind nicht auf diesem Weg und das muss ich akzeptieren. Ich hoffe wirklich das sie ihren finden werden Herr Miller".
Dann drehte ich mich um und ließ ihn stehen.
Es war ein komisches Gefühl, gerade war ich der Erwachsene und erzählte einem verlorenen Kind wie die Welt funktionierte...vielleicht war das aber auch notwendig damit ich endlich begreife.

"...es ist noch nicht vorbei, nein ganz sicher nicht".

Please Kiss MeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt