Zwei

15 0 0
                                    


Zuhause

Ich hatte beschlossen, die letzten beiden Stunden zu schwänzen, denn am ersten Schultag gab es sowieso nichts zu verpassen.

»Hi, Mom«, rief ich in Richtung Küche, während die Tür ins Schloss fiel.
»Hallo, Liebes. Na, wie war dein erster Schultag ?«, fragte sie mich gleich aus. »Irgendwelche süßen Jungs kennen gelernt?«, sie zwinkerte mir zu.
»Mom«, stöhnte ich und wurde rot, weil sie mich ertappt hatte, doch das sah sie nicht, weil sie mir schon wieder den Rücken zugewandt hatte.

Zum Glück. Ich könnte mir lebhaft ausmalen, was für Luftsprünge sie gemacht hätte, wenn sie von Luis erfahren hätte.
Sie denkt wahrscheinlich, ich werde als ewige Jungfer sterben.

»Ich geh dann mal hoch.«
»Ok«, kam die Antwort, begleitet von einem ohrenbetäubenden Scheppern. »Nichts passiert«, die Tollpatschigkeit hatte ich eindeutig von meiner Mutter geerbt. Ich konnte nur beten, das mein Kind nicht damit gesegnet wird.
Es ist nicht sehr angenehm,  bei jeder Gelegenheit der Länge nach hinzufallen, und dabei ausgelacht zu werden.
Naja, meine Freunde hatten sich zum Glück  mittlerweile daran gewöhnt.

Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, lief ich nach oben, ausnahmsweise mal ohne hinzufallen oder dergleichen, schleuderte meinen Rucksack in die Ecke und warf mich auf mein Bett.
Irgendetwas war anders.
Oh nein, hatte meine Mutter schon wieder mein Zimmer aufgeräumt? Sie ist eine richtige Ordnungsfanatikerin.
Ich hasste das. Ich hatte ihr schon so oft gesagt, sie soll das lassen. Wenigstens in meinem Zimmer.
Mir kam es immer so vor, als würde sie mir hinterherschnüffeln und das mit ihrem Tick verdecken.

Isi, hör auf. Du vertraust deiner Mutter doch, oder?

Meine innere Stimme bremste mich, wie schon so oft.

Es klingelte.
Ich muss wohl eingeschlafen sein. Ein Blick auf die Uhr bestätigte das. Kurz nach vier.
Ich hörte meine Mutter dumpf durch meine Zimmertür jemanden begrüßen.
»Isi, kommst du mal ?« hörte ich meine Mutter nach mir rufen.
Ich rappelte mich auf, fuhr mir kurz durch die Haare, damit meine Mutter nicht bemerkte, dass ich geschlafen hatte.
Sie mochte es nicht, wenn ich mittags schlief, ich soll lieber 'etwas Produktives mit meiner Zeit anfangen' wie sie es nannte.
»Ich komme«, gab ich mit meiner besten Wach-Stimme zurück.
Ich ging nach unten, wobei ich mehr die Stufen hinunterstolperte, als ich ging.

»Was ist denn ?«
Sie kam zu mir und legte ihren Arm um mich. Das tat sie sonst nie.
Sie schob mich in Richtung Tür.
Dort blickte ich, sichtlich überrascht, nacheinander in vier Augenpaare.
Bei den, so schien es, goldenen Augen, die belustigt glitzerten, blieb ich hängen.

Nein, das konnte nicht wahr sein, oder?
Verfolgte mich dieser Typ etwa?

»Das sind unsere neuen Nachbarn.« Dieser Satz machte meinen Alptraum wahr.

Isi, jetzt bleib mal ruhig. So schlimm kann er doch nicht sein.
Du kennst ihn ja noch nicht einmal.

»H-hallo«, brachte ich mit einem falschen Lächeln zustande.
»Hallo, ich heiße Ben und du?«, der kleine Junge, mit den himmelblauen Augen streckte mir seine Hand hin. Er konnte nicht älter als sieben sein.

Süß.

»Hey, Kleiner, ich bin Isabelle, aber du kannst mich Isi nennen«, mein Lächeln war nun nicht länger falsch, denn der Kleine war wirklich süß.
»Wollen sie nicht hereinkommen ?«, meldete sich meine Mutter wieder zu Wort.
»Nein, nein«, winkte die schöne Frau ab, die aller Wahrscheinlichkeit nach die Mutter von Luis und Ben sein musste, »wir wollten nicht stören.«
»Sie stören doch nicht, außerdem habe ich gerade einen Kuchen gebacken«, meine Mutter bat die Familie mit einer einfachen Handbewegung, die jedoch keinen Widerstand duldete hinein, »zu zweit hätten wir ihn sowieso nicht gepackt.«
Die Familie war zum Glück so höflich, nicht zu fragen,  wo denn mein Vater ist.

Ich entschuldigte mich, indem Kopfschmerzen vortäuschte, um auf mein Zimmer gehen zu können.
Ich spürte Luis' Blick auf meinem Rücken, während ich hochging.
In meinem Zimmer warf ich mich, wie heute Mittag, auf mein Bett, nachdem ich die Musik halb aufgedreht hatte, um mich abzuregen.

Etwa 20 Minuten später klopfte es an der Tür. Ich rechnete mit meiner Mutter und rief »Komm rein !«
Die Tür öffnete und schloss sich wieder und ich machte mich auf eine Standpauke gefasst, weil ich mich einfach so in meinem Zimmer verkrochen hatte, doch ich hörte keinen Ton.
Ich richtete mich auf.
»Musik ist aber nicht gerade das richtige bei Kopfschmerzen oder ?«, zog mich diese angenehme Bass-Stimme auf, die Luis gehört.
»Was-s willst du hier ?«, stotterte ich, weil ich nicht fassen konnte, dass er wirklich in meinem Zimmer stand.

Danke Mama, dass du heute morgen mein Zimmer aufgeräumt hast, sonst hätte ich mich blamiert.

»Von Höflichkeit hast du noch nicht soviel gehört, oder ?«
Ich erwachte aus meiner Starre und wurde wirklich wütend. Wer drang hier in meine Privatsphäre ein und machte mich dann noch dumm an? Ich kenne diesen Typ ja noch nicht mal, vielleicht ist er ein Serienmörder.
»Ich kann dich beruhigen, ich bin kein Mörder...«

Warum passierte mir das bei ihm immer?
Schon wieder hatte ich laut gedacht...

»...und eigentlich wollte ich dich nur fragen, ob du mir deine alten Mathe-Hefte geben könntest, damit ich im Kurs aufholen kann.«

Och ne, hatte ich das mit der Privatsphäre etwa auch laut gesagt?

Ich wurde rot. »Ja klar, sorry. Warte ich muss sie erst suchen«, mit diesen Worten stand ich auf und ging zu meinem Schreibtisch und zog die dritte Schublade auf. Ich staunte. Ich hatte auf Anhieb in der  richtigen Schublade geschaut.

Auch wenn meine Mutter einen Ordnungstick hat, ich hatte ihn definitiv nicht.

Ich kramte alle Hefte raus und gab ihm ohne ihn anzugucken einen Stapel Hefte.
Er nahm sie und streifte dabei meine Hand.
Mein Herz setzte einen Schlag aus.

Wow.
Wie kann sich das so gut anfühlen, obwohl ich ihn noch nicht mal richtig leiden kann?

»Danke«, kam es von ihm, »Ich gehe dann mal wieder, ich geb sie dir bald zurück.«
Ich murmelte noch ein »Ok«, für ihn wahrscheinlich unverständlich, da er gerade die Tür schloss.

Guter zweiter Eindruck, Isi.
Du hast dich mal wieder vollends blamiert.

"Ausnahmsweise mal nicht durch stolpern oder hinfallen", antwortete ich meiner inneren Stimme in Gedanken.
Obwohl wahrscheinlich sogar das angenehmer gewesen wäre.

LOVE  ?Where stories live. Discover now