Kapitel 5 - Zeit schinden

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PoV Palle

„Moin", grüßte ich sie kurz und trat einen Schritt zur Seite, „du kannst gerne nochmal kurz reinkommen, es könnte 'ne Weile dauern, bis ich den Ort wiedergefunden hab, an den ich dein Handy gelegt hab..." Schmunzelnd trat sie ein und ich kratze mich lediglich verlegen am Hinterkopf, einfach, weil ich wie immer überall meine Schusseligkeit unter Beweis stellen musste. Und während ich gerade den Flur entlang gehen wollte, kam urplötzlich Tyson aus einer Seitennische gesprungen. Aber er machte nicht wie sonst Halt, um von mir gestreichelt zu werden, er rannte -oder eher stolperte- geradewegs an mir vorbei... selbstverständlich direkt auf Jay zu. Wäre Tyson keine Bulldogge, sondern ein Golden Retriever oder etwas ähnliches gewesen, hätte er sie ganz sicher umgeworfen. So aber stürzte er sich lediglich auf ihre Füße, was sie erst etwas erschreckte, dann aber doch freute.

„Ich wusste gar nicht, dass du so einen niedlichen kleinen Hund hast." Mit glänzenden Augen begann sie mit dem kleinen Hund zu spielen. „Das ist auch nicht wirklich meiner, der gehört meinem Mitbewohner...", wollte ich gerade erklären, als Peter aus seinem Zimmer kam. „Was ist mit mir? Hab- oh... ähm... wer bist du?" , fragte er -im Gegensatz zu Rewi- mit einem gewissen, aufrichtigen Interesse. „Ich bin J. Die, die vor zwei Tagen wegen eines kleinen Mauerunfalls von dem lieben Schulsanitäter hier mit Tiefkühlgemüse notversorgt wurde und dann das Handy vergessen hat."

Ja gut. Das war wohl tatsächlich ziemlich genau das, was passiert war. Und zwar in einem einzigen Satz zusammengefasst. Ich hatte Peter ebenfalls kurz erzählt, was passiert war und dass er doch bitte nicht Youtube erwähnen sollte, wenn sie herkam. Und auch, wenn er nicht verstanden hatte, warum genau ich dass so wollte, hatte er zugestimmt. Ich hätte es ihm ja so oder so nicht erklären können. Ich wusste es schließlich selbst nicht.

Peter nickte und sah ihr, wie ich dabei zu, wie sie mit dem schwarzen Hund kuschelte.

„Wolltest du nicht eigentlich mein Handy holen?", fragte sie plötzlich aus dem nichts und ich drehte mich entschlossen um, um es suchen zu gehen.

***

Nachdem ich das Handy dann endlich doch gefunden hatte, war Jay schon längst in ein Gespräch mit Peter verfallen. Es war bestimmt schon gegen eins, was bedeutete, dass ich erst in einer Stunde den nächsten Aufnahmetermin hatte.

Ich hatte es sogar noch ein wenig laden können, sodass es jetzt ganze 37% Akku hatte. Als ich es ihr überreichte, nahm sie es mir zögerlich ab und schien innerlich mit sich zu ringen.

„Sag mal... wäre es ein großes Problem für dich, wenn ich deine Nummer bekommen könnte? Also ich meine, nur wenn's oke wäre, nicht dass ich nochmal was hier vergesse...", wobei sie die letzten Worte mit einem nervösen Lachen übertünchte. Deshalb also.

Auch ich überlegte kurz. Wog die Gegebenheiten ab.

Sie kannte mich nicht. Also bezüglich Youtube. Und ich glaubte nicht, dass sie schauspielerte. Natürlich könnte sie es herausfinden. Aber selbst wenn – würde sie die Nummer verraten? Hoffentlich nicht. Ganz sicher nicht. Und sie war ja nett. Ich mochte sie, das stand außer Frage. Auch wenn sie ganz sicher einiges Jünger war als ich selbst. Aber wer sprach denn von Alter... für eine normale Freundschaft war Alter vollkommen egal. Dann konnte man auch als Opa ein Kindergartenkind als Freund haben. Und sie brachte diese Abwechslung in mein Leben...

„Gib mir dein Handy, ich tipp sie dir ein"

Natürlichen spürte ich Peters sorgenvollen Blick auf mir, auch er hatte seine Bedenken, was Jay anging, aber ich hielt es für richtig. Ich war nunmal leider ein viel zu gutherziger Mensch. Höchstwahrscheinlich wird mir das auch irgendwann nochmal zum Verhängnis werden, aber jetzt ging es erstmal um etwas anderes.

***

PoV Jay

Irgendwie erleichtert sah ich ihm dabei zu, wie er einen neuen -seinen- Kontakt erstellte und schließlich abspeicherte. Der vorwurfsvolle Blick seines Mitbewohners dabei entging mir jedoch nicht. Ich war nicht sicher, was ich davon halten sollte. Klar, ich war sicher 5 Jahre jünger, wenn nicht sogar mehr. Und ja, wir kannten uns auch nicht wirklich. Aber warum deshalb alle seine Freunde so einen Aufstand machten hatte ich noch nicht so ganz durchblickt. Erst dieser Rewi, der mir ja offensichtlich ziemlich feindselig gegenübergetreten war und jetzt das. Vielleicht würde ich das ja irgendwann noch verstehen...

Vermutlich wäre es für mich jetzt eigentlich angebracht zu gehen. Aber ich wollte nicht. Wusste ich doch nur zu gut, was mich Zuhause erwartete. Und das war nicht die Art von entspanntem Wochenende, die ich gerne hätte. Meine Mutter traf sich in letzter Zeit öfter mit einem Mann -Steffen- und war dann Zuhause immer extrem anstrengend. Ich mochte diesen Steffen irgendwie nicht. Er war so aufgesetzt, immer viel zu freundlich und schleimte sich immer und überall ein. Da mochte ich selbst ihren Arbeitskollegen Markus mehr...

Jedenfalls fand ich es zur Zeit überall besser als Zuhause, wodurch ich versuchte, mich möglichst lange hier aufzuhalten, indem ich mich mit dem kleinen Hund -dessen Namen ich mittlerweile auch herausgefunden hatte- beschäftigte. Die beiden Älteren schienen zu merken, dass ich nicht wirklich weg wollte und Patrick, bzw. Palle, wie ich ihn ja unbedingt nennen sollte, direkt nachfragte. Ich erklärte wage, was meine Situation und mein Problem waren und erhielt sofort Mitgefühl von meinem Gegenüber. Ich wusste nicht, ob ich dass wirklich wollte, aber es half mir. Es gab jemanden in meinem Leben, dem ich meine Probleme anvertrauen konnte, ohne Gefahr zu laufen, dass in kürzester Zeit die halbe Welt davon wusste. Das war neu für mich.

Seit dem Umzug hatte ich nicht wirklich neue Freunde gefunden. Ich hatte mich auch nicht wirklich darum bemüht, aber die Leute in meinem Umfeld waren auch einfach nicht mein Typ. Ich konnte mich mit deren Interessen einfach nicht identifizieren. Und mit dem ganzen Kram um Youtube schon mal gar nicht. Gut das war auch gelogen. Aber ich sah mir nunmal einfach keine Schmink-, Beauty- und sonstigen Kauft-mein-Scheiß Kram an. Und Let's plays waren auch nicht wirklich meins, da ich Videospiele im Gesamten nicht so wirklich verstand. Ich trieb mich viel mehr auf Tanz- oder Covervideos rum, besonders gerne mochte ich einige dieser Amerikanischen Hip-Hop Tänzerinnen.

Ich weiß, außergewöhnlicher Geschmack, aber ich stehe dazu.

Palle erklärte mir, dass ich noch bis gegen Zwei bleiben konnte, da er anschließend eine Telefonkonferenz hatte. Da fiel mir ein, dass ich ihn noch fragen sollte, was genau er denn selbstständiges machte. Meine Mutter spekulierte mittlerweile schon, dass er 'ne eigene Anwaltskanzlei oder Rechtsabteilung hätte, aber dies wagte ich mal anzuzweifeln.

Doch so wirklich verraten wollte er es mir offensichtlich auch nicht. Er erzählte lediglich davon, dass er hauptsächlich im Medienbereich unterwegs war und somit viel mit Computern zu tun hatte. Deshalb vermutlich auch die vielen PCs in dem Zimmer, welches ich eigentlich gar nicht sehen sollte. Zumindest wirkte es so, da Palle und Peter versuchten, mich von dem Raum am Ende des Flures fern zu halten. Ich hatte bisher nur einen kurzen Blick hineinwerfen können, aber das hatte mir definitiv gereicht. Ich wusste nicht, wie ich die ganzen Bilder und Stofftiere dort deuten sollte...

Letztendlich wurde ich dann doch um 14 Uhr „rausgeschmissen" und musste wohl oder übel meinen Heimweg doch früher fortsetzten, als es mir eigentlich lieb war.

Seit dem ersten TropfenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt