1. >just normal<

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"Alice?"

"Ja, Mom.", ich sah von meinem Handy auf und auf die geschlossene Tür, von der die Stimme auf der anderen Seite kam.

"Lernst du gerade Mathe oder kann ich kurz stören?"

"Grad ist schlecht, Pythagoras hält mich auf Trab.", antwortete ich und scrollte weiter durch die neusten Instagramposts meiner Freunde, oder die, die ich gerne so bezeichne.

Ohne zu klopfen ging die Tür auf und Mom kam doch rein.

"Ich dachte du lernst!"

"Und ich dachte, du würdest mich in Ruhe lassen, wenn ich sage, dass ich lerne. Siehst du wir haben uns beide getäuscht."

"Alice!"

"Mom."

"Es ist mir ehrlich ziemlich egal, welche Karrierelaufbahn du einschlägst, aber ich möchte, dass du davor eine gute Schulausbildung bekommst und einen guten Abschluss ablegst. Hast du mich verstanden!?"

"Ja, chill, ich recherchier nur über Kantensätze oder wie die heißen."

"Auf deinem Bett?", sie sah mich spöttisch an.

"Äh... bessere Konzentration und so.", murmelte ich vor mich hin und war mir nicht sicher, ob sie das verstanden hatte.
"Was machst eigentlich du gerade in meinem Zimmer?"

"Eigentlich wollte ich dich nur fragen, ob du Hilfe brauchst, aber ich glaube du brauchst mehr, als ich dir bieten könnte!"

"Danke, nett!"

So sarkastisch ich auch war und wie krass mein Mir-doch-egal-Blick auch ist, verletzte es mich. Natürlich, wen würde es nicht verletzen, schließlich ist sie meine Mutter und auch wenn ich weiß, dass sie es nicht so meinte und dass ich wahrscheinlich selbst so was gesagt hätte, verletzte es mich. Ja, sie hat Recht, aber trotzdem. In diesem Punk - und in allen anderen eigentlich auch - bin ich einfach zu stur, das geb ich zu, und leider habe ich das von ihr geerbt.

Als sie wieder draußen war, saß ich immer noch auf meinem Bett und sah mir an wieviele Likes mein letztes Bild hat, welches ich gestern hochgeladen hatte. 300 Tausend. Okay.
Es zeigt mich und Caleb im Bikerstyle mit Lederjacken und Bikerhosen neben einem Motorrad stehen, welches Caleb gehört. Es ist ein cooles Bild, aber Mainstream. Nichts, was man nicht schon einmal gesehen hat. Ich sollte eigentlich ein schlechtes Gewissen haben, weil ich jetzt nicht anfing zu lernen, ich weiß, aber es siegte dann doch mein trotziges Herz gegen meinen Kopf mit Verstand und mein Bauch, der mir sagte, dass es anders richtig wäre.

• ∞ •

Anstatt eines nervigen Piep-Wecker-Geräuschs, weckte mich sanft Shawn Mendes Stimme mit seinem Lied 'Don't be a fool'. Egal, wie ähnlich sich seine Lieder auch anhören, man kann nichts gegen ihn sagen, weil seine Stimme ist Butter und ich mein er ist Shawn Mendes, das ist Grund genug.
Gleich nach diesem Lied lief 'Baby' von Justin Bieber und das ist dann immer der Moment in dem ich mein Handy aus dem Fenster werfen will. Ich habe wirklich nichts gegen Justin Bieber, wirklich, ich mag ihn sogar, aber dieses Lied ist ... argh! Zumindest ist es gut zum Aufwachen, weil man einfach nur die Quelle des Lärms ausfindig machen und zerstören will. Auch wenn ich das meinem geliebten Handy nicht antun möchte.

"Guten Morgen, Schwesterherz!", Brandy, mein Bruder, öffnete die Tür sperrangelweit und grinste mich breit an. Wie kann man so früh am Morgen immer schon so gute Laune haben?

Ich setzte mich aufrecht hin und rieb mein Gesicht mit beiden Händen. Es ist mir durchaus bewusst, dass es schlecht für die Haut ist, aber ich mache es irgendwie immer automatisch. Ich zog meine hellblauen Plüschhausschuhe an und trottete mit den Augen halb zu in die Küche. Mein Anblick morgens ist sicher sehr armselig. Ich ließ mich auf meinen Stuhl plumpsen und legte meinen Kopf in meine verschränkten Arme auf dem Tisch. Dad kam und gab mir einen Kuss auf den Kopf.

"Guten Morgen, Spatz. Ich muss aber jetzt gehen. Ich wünsche euch viel Spaß in der Schule."

"Haha, witzig.", antwortete ich ihm sarkastisch, woraufhin er nur lachte.

Mit einem "Hab euch lieb." fiel die Tür ins Schloss. Da warens nur noch drei. Mom stellte mir frisch aufgebackene IKEA-Zimtschnecken hin, weil die das Einzige sind, wovon ich morgens aufwache und weil sie lecker sind und weil Baum.

"Alice."

"Hmpf?", sagte ich mit vollen Mund.

"Jenna hat angerufen, morgens um fünf, by the way, bitte sag ihr, dass wir um die Zeit nicht geweckt werden wollen, okay?"

"Hmm.", stimmte ich zu.

"Und ich soll dir ausrichten, dass du heute um vier Uhr nachmittags abgeholt und zum Flughafen gebracht wirst. Warum weiß ich davon nichts? Alice, sowas solltest du schon vorher mit uns absprechen oder zumindest mal Bescheid sagen! Jenna meint es steht alles in deinem Terminkalender, sie wollte dich nur nochmal daran erinnert haben."

"Hmm."

"Alice, das ist respektlos. Antworte bitte richtig. In einem richtigen Satz."

"Was soll ich denn dazu sagen? Toll? Okay, passt das?"

Meine Zimtschnecke war mittlerweile in meinem Magen verschwunden und ich war wacher. Meine Motivation war damit aber nicht gestiegen, außerdem sah ich immer noch aus, wie einmal gekaut, verdaut und wieder ausgekotzt. Ja, nichtmal die größten Filmstars und die bekanntesten Models stehen wie frisch gebügelt und perfekt geschminkt auf und sind happy und ausgeschlafen.

Ich blickte auf mein getreuen Begleiter, mein Handy, und sah nach, welches Outfit Francis heute für mich vorgesehen hatte. Also ging ich in meinen Schrank, ja ich ging in meinen Schrank. Ich weiß jedes  Mädchen will  so was, bla bla, aber sind wir mal ganz ehrlich es ist, welch eine Überraschung, nur ein Kleiderschrank, nicht mehr und nicht weniger.

Ich holte mir eine schwarze Skinny jeans, ein hellgraues Croptop mit dem Schriftzug: Hey, meine Augen sind 30cm weiter oben, auf der Brust, eine lange dunkelgraue Strickjacke und weiße Superstars mit Diamanten ähnliches Steinchen auf der Kappe anstatt dem gewöhnlichen Bowlingschuhen-Muster. Mit anderen Worten, ich sah aus wie jeder Andere und die Schuhe wurden mir nur so erlaubt, weil ich mich mit Händen und Füßen gegen noch mehr Basic gewehrt hatte.

Im Bad wusch ich noch kurz mein Gesicht und machte ein bisschen Katzenwäsche. Ich hab gestern Abend geduscht, wenn ich es wieder tun würde wäre es weder gut für meine Haare noch für meine Haut, ausserdem habe ich während dem Schlafen nicht wirklich geschwitzt. Ich schminkte mich noch ein bisschen. Ein bisschen mehr als ich wollen würde, nahm meine ultra teure Tasche mit meinem Schulzeug, einen grünen Apfel und ging, nachdem ich mich noch von Mom und Brandy verabschiedet hatte, zur Haustür. Davor atmete ich noch einmal tief durch, setzte mein liebstes Lächeln auf und öffnete die Tür.

••
I'm out

AliceWhere stories live. Discover now