Taschentücher

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Sie war 17 Jahre alt, alleine und enttäuscht. Enttäuscht von den vielen Pflegefamilien in die sie gesteckt worden war. Es waren unendlich viele. Zum Schluss war sie doch wieder in Heimen gelandet. In jeder Familie war sie denn noch ein Außenseiter, egal wie sie sich bemühte. Ihre leiblichen Eltern hatte sie nie kennengelernt, sie wurde  nach ihrer Geburt weggegeben. Wie es gewesen wäre, hätte sie eine normale Familie gehabt, die sie geliebt und unterstützt hätte, darüber dachte sie oft nach. Sie wäre gern auf eine gute Schule gegangen, hätte ihr Abitur gemacht und immer, wenn sie nach Hause käme, würden ihre Eltern schon auf sie warten. Aber davon konnte sie nur träumen, denn sie war allein. Sie wohnte mit Jugendlichen in einer WG. Ihre Arbeit im Supermarkt lenkte sie ein bisschen von ihren Problemen ab. Nach einem missglückten Schulabschluss arbeitete sie unter der Woche in einem Supermarkt um die Ecke, am Wochenende half sie in Kinos und Restaurants aus. Sagt immer zu sich selbst, sie solle stark bleiben. Sie dürfte nicht aufgeben, denn sie brauchst du das Geld.

Ihre Kunden kannte sie schon ganz gut. Der alte Mann mit dem Hund, der sich immer riesig über die Probiertische hermachte oder die aufgetakelte Dame,die jede Menge Körperpflegeprodukte kaufte. Nicht zu vergessen den geschäftstüchtigen Herren, der immer ganz schnell rein und wieder raus geflitzt an. Es kam auch seit letztem Monat fast jeden dritten Wochentag ein Kunde mit seiner kleinen Tochter. Er kauft immer nur ein Päckchen Taschentücher. Sehr merkwürdig. Immer, wenn dieser Mann kam, musste sie daran denken, was für ein gutes Leben dieser Mann mit seiner Tochter wohl hatte, so gepflegt wie er war. Doch auf irgend eine seltsame Art löst dieser Mann ein Unbehagen bei ihr aus. Ein Gefühl, dass ihr Angst bereitete. Eine Angst, dir die Haare zu Berge stehen ließ.

Der Mann kam auch die weiteren Monate. Er taucht auf einmal auch in den Restaurants und in den Kinos auf, indem sie aus halt. Aber angesprochen hat er sie nie, nie auch nur ein Wort mit ihr gewechselt. Ihr wurde es immer unbehaglicher, als sie ihn sah. Auf einmal war er weg. Mittwochs kann man nicht mehr in den Laden oder taucht es sonst irgendwo auf. Ein Brief, kein Absender, nur an das Mädchen gerichtet, es bangte hinein zu sehen. Als sie ihn öffnete, war sie überrascht nichts Schlimmes zu sehen, nur einen langen Text an sie. Es war eine Entschuldigung. Ihr liefen Tränen über die Wangen. Es war von dem Herrn im Supermarkt, der immer nur ein Päckchen Taschentücher kaufte. Er war nun fort, mit seiner anderen neuen Familie weggezogen. Weil er seine verloren hatte, seine Frau bei ihrer Geburt gestorben, zu beschämt es seiner Tochter persönlich zusagen. Sie wird ihn nie wiedersehen. Er war zu weit weg. Es war zu spät ihren Vater kennenzulernen.

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