Davor

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DAVOR

Richtung Norden, zur Bundestrasse, stand die Hitze über der Straße. Je weiter sich Felix von der Stadt entfernte, desto mehr genoss er die Fahrt. Er drehte das Radio auf und lehnte den Arm aus dem Fenster. Die hellen Getreidefelder, die Staubfahnen der Landmaschinen und der Geruch nach trockener Erde erinnerten ihn an einen Film: Die Geschichte eines Gangsters auf der Flucht, mit einem kleinen Jungen als Geisel, ein klassisches Roadmovie.

Aber warum eigentlich Roadmovie?, würde er fragen. Und Tim würde antworten: Weil es kein deutsches Wort für Roadmovie gibt, deshalb. Sie würden einen Moment schweigen und irgendwann würde einer sagen: Wegefilm. Oder Straßenstreifen. Sie würden sich auf Straßenstreifen einigen, doch Tim würde das Wort sofort wieder verwerfen. Weil es kein deutsches Wort für Roadmovie gab.

Er verpasste die Abfahrt. Eine später fuhr er raus. Es ging über die Landstraße, kleine Dörfer mit seltsamen Namen. Felix kam nicht oft aus der Stadt, nur wenn es einen Auftrag gab, wie heute. Er brauchte die Kneipe nebenan, das Kino, die Clubs. Auf den Dörfern gab es das nicht. Gut, es gab Wirtshäuser. Aber die Leute kamen in die Stadt, jedes Wochenende. Und wenn man die Straßenränder beobachtete, konnte man kleine Kreuze entdecken, geschmückt, manche mit frischen Blumen. In der Nacht flackerten kleine rote Lichter. Manche Ortsschilder waren durchlöchert: Kleinkaliber.

Felix hatte keine Karte dabei, deshalb hielt er an einem Hof gleich neben der Straße, um nach dem Weg zu fragen. Es war ein solides, altes Haus, umgeben von zwei Scheunen und einer Mauer. In der Mitte stand ein Taubenschlag, ziemlich heruntergekommen. Aber Felix sah keine Tauben. Was ihm auffiel, waren die Fensterläden, blau über dem blättrigen Putz.

Er stieg aus und ging durch das weit geöffnete Holztor, vorbei an zwei bemalten Autowracks. Dabei zog er seine Krawatte noch etwas weiter auf. Meine Leute tragen Krawatte und jeden Tag ein frisches Hemd. Das öffnet Türen, sagte der Chef. Idiotisch.

Vor dem Haus war ein kleiner Gemüsegarten angelegt, darin ging ein Huhn spazieren. Sein Kamm hing herab. Es musterte ihn mit kritischem Blick. Ab und an pickte es wie zufällig auf den Boden, auf dem aber nichts Essbares zu sehen war. Das Huhn tat einen Schritt und legte den Kopf schief.

Hau ab!

Felix blickte über seinen Brillenrand nach unten. Vor ihm stand ein kleines Mädchen mit kurzen Haaren, stemmte die Arme in die Hüfte und schaute ihn mit großen, ausdruckslosen Augen an.

»Sag mal, was pickt das Huhn da eigentlich?«

»Steine«, sagte das Kind, ohne einen Blick auf die Henne zu werfen. »Wir haben einen Kuchen gebacken ...« Es drehte sich um und rannte ins Haus.

Felix suchte nach einer Klingel, fand aber keine. Also ging er durch den Gemüsegarten und klopfte an die offene Eingangstür. Drinnen war es kühl und dunkel, denn die Fenster im Erdgeschoss waren klein und die Mauern dick.

»Hallo«, sagte er, aber es blieb still.

Er sah zurück in den Hof, ging ein paar Schritte durch den Garten. Das Huhn flatterte um die Hausecke. Er wollte schon zurück zum Wagen gehen.

»Was wollen Sie?« Die Stimme kam aus dem Hauseingang.

Felix nahm die Brille ab. »Ich habe mich verfahren und ...«

Irgendetwas klingelte im Innern des Hauses.

»Einen Moment.«

Zögernd trat er ein, musste sich dabei unter dem niedrigen Türstock bücken. Der Raum dahinter war groß, die hochgewölbten Wände und die Decke hell geweißelt. An schweren Holzbalken hingen getrocknete Pflanzen, der Boden war mit Steinfliesen ausgelegt. Gleich neben der Tür stand ein Kachelofen, wie er noch nie einen gesehen hatte. Dahinter war eine aus roten Backziegeln gemauerte Küchenzeile. Felix räusperte sich.

Von der Spüle drehte sich eine junge Frau zu ihm um.

»Entschuldigung«, sagte er etwas zu laut. »Mein Name ist Felix Lenz. Ich wollte nach dem Weg fragen.«

Die Frau lächelte und strich sich mit nassen Fingern ein paar Strähnen aus dem Gesicht. »Ich bin beim Abspülen.« Sie wedelte mit den Händen in der Luft. Ihre Finger waren lang und schlank.

Auf der Ofenbank lag ein Handtuch und Felix hob es auf. Sie nickte und er warf es ihr zu.

»Ich suche die Zucker-Villa.«

Die junge Frau trocknete ihre Hände ab und öffnete die Ofenklappe. Sie zog ein Backblech heraus und stieß mit einem Holzstäbchen in den Teig. »Fertig.«

Sie schaltete den Ofen aus. Mit zwei Topflappen stellte sie das Blech auf die Küchenzeile.

»Die Zucker-Villa«, wiederholte sie, wie ein sinnloses Echo. Sie zog ein schwarzes Haarband aus der Jeans und band sich die Haare nach hinten.

»Sie muss hier ganz in der Nähe sein. Ich habe leider keine Karte.«

»Das ist nicht schwierig. Von hier aus einfach weiter, Richtung Stadt. Nach fünfhundert Metern geht ein Feldweg rechts ab. Können Sie nicht verfehlen. Dann immer geradeaus.«

Felix nickte. »Danke.« Er hätte der Frau zum Abschied gerne die Hand gereicht, tat es aber nicht

»Kein Problem.«

Er ging nach draußen, zurück zum Wagen. Als er wieder im Auto saß, kam das Mädchen über den Hof gerannt. Mit den Händen hielt sie etwas fest in ihre Schürze gedrückt. Sie reichte ihm ein kleines Päckchen aus Alufolie durchs Seitenfenster.

»Für dich«, sagte sie. Ihr Atem ging ruhig, obwohl sie gerade schnell gelaufen war. »Aber nicht gleich essen.«

Die Alufolie war so heiß, dass er das Päckchen auf den Beifahrersitz werfen musste. Bevor er antworten konnte, lief das Mädchen schon wieder zurück, über den sandigen Platz zum Haus. Die Bänder ihrer Schürze flatterten: wie die Hühner, die davonstoben. Er glaubte, noch jemanden im Hauseingang stehen zu sehen, war sich aber nicht sicher. Trotzdem hob er die Hand zum Gruß.

Zombifiziert - Tag NullWhere stories live. Discover now