Danach

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DANACH

Marti schaltete das Gerät aus und warf es zurück in die Laken. Es hatte keinen Sinn, er wurde aus seinen eigenen Recherchen nicht schlau. In der Redaktion hatte er sich vor einer Woche krank gemeldet. Es war ihm unmöglich gewesen, weiterhin belanglosen Mist über einen Bademeister mit Fußpilz oder die Einweihung der neuen Tiefgarage im Donau-Einkaufszentrum zu schreiben, während ein Kollege wahrscheinlich nur noch Asche war. Überhaupt hatte er das alles so satt.

Der Chef hatte seinen Antrag mit einem bissigen Lächeln entgegengenommen. »Melde dich, wenn es dir wieder besser geht.«

Der Satz klang wie ein Grabspruch. So viel war klar: Felix war einer Story auf den Grund gegangen. Offensichtlich war er dabei zu tief getaucht.

Marti stand auf und hustete, bis er würgen musste. Seine Armbanduhr piepste. Der Alarm erinnerte ihn daran, dass seine Eltern – glückliche Rentner – heute aus dem Urlaub zurückkamen. Ihr Flieger aus Kreta landete soeben in München. Es war ausgemacht, dass ihr einziger Sohn sie in zwei Stunden am Bahnhof abholen würde. Bis dahin musste er halbwegs auf die Beine kommen. Das Chaos eindämmen.

Brumm, plong, brumm. Er rollte ein auf dem Boden liegendes Männermagazin zu einer Keule und schlug dreimal kräftig gegen die Scheibe. Beim dritten Versuch zerplatzte die Fliege.

Zäher gelber Schleim, vermischt mit Hunderten von kleinen Fliegenlarven, verschmierte auf dem Glas und den Titten des aktuellen Cover Girls, einer deutsche Nationalspielerin. Marti schauerte es. Angeekelt ließ er die Zeitung fallen und wand sich ab.

Er holte sich die letzte kalte Flasche Bier aus dem Kühlschrank. Dann ging er in den Keller, wo sich die später eingebaute Dusche befand. Dort stellte er sich dort unters Wasser, bis die Flasche leer und seine Haut schrumpelig war. Nackt stieg er die Treppen hinauf ins alte Badezimmer mit den hässlichen Blumenmusterkacheln und rasierte sich zum ersten Mal seit Wochen gründlich. Er föhnte und kämmte seine Haare, wie er es sonst nur an Arbeitstagen tat.

Er hatte sich gerade eingecremt und sprühte nur noch ein wenig After Shave auf seine Wangen, drang plötzlich ein lautes Geschrei vom Garten hinauf in den ersten Stock. Es klang schrecklich, geradezu herzzerreißend, ganz so als würde jemand einer Katze langsam und grausam den Hals umdrehen.

Das kleine Badfenster ging nach Osten hinaus und bot einen großartigen Blick über eine sanfte Hügellandschaft, die sich in einem 180-Grad-Panorama kilometerlang am Horizont verlor. Für einen Moment war Marti von dieser Schönheit abgelenkt, aber dann sah er Hänschen, das kleine haarige Hausschweinchen, das wie von einer Biene gestochen durch den Nachbarsgarten hoppelte und dazu quiekte, als gäbe es kein Morgen mehr.

Von Heiner keine Spur. Wahrscheinlich war Martis eigenwilliger Nachbar wieder einmal für ein, zwei Tage spurlos verschwunden und jagte mit seiner Safari-Truppe Nashörner in Botswana oder half Kollegen, eine Zwölf-Millionen-Dollar-Yacht an der russischen Schwarzmeerküste zu vertickern.

Hänschen schlug noch einen letzten Haken und zwängte sich durch ein kleines Loch im Gartenzaun. Das Gestrüpp außerhalb des Geländes wackelte noch ein wenig hin und her, dann war es still. Marti schüttelte den Kopf. Das Schwein war normalerweise in einem stabilen Gatter untergebracht und Heiner hütete es wie sein ungeborenes Kind. Es dort draußen wieder einzufangen, war ein Ding der Unmöglichkeit. Er überlegte kurz, ob er rübergehen und Heiner benachrichtigen sollte, aber ein Blick auf die Uhr lehrte ihn eines Besseren. Er musste sich dringend anziehen und los. Sein alter Herr hasste nur eine Sache noch mehr als verspätete Züge oder Flieger: seinen verspäteten Sohn.

Marti schlüpfte in seinen Anzug und zog sein letztes frisches Hemd an, dann schnappte er sich die Sonnenbrille und den Schlüssel vom Jeep. Er stand dummerweise schon den ganzen Tag in der Sonne und die Ledersitze brannten ihm fast den Arsch weg. Zum Glück sprang der wuchtige Drei-Liter-Benziner sofort an und Marti düste – wobei er von einer Pobacke auf die andere rutschte – die dreißig Meter bis zum Tor. Dort stieg er bei laufendem Motor aus dem Wagen und öffnete scheppernd das Eisengitter.

Sein Blick fiel auf die Briefkästen. In dem von Heiner steckten zwei ungelesene Tageszeitungen. Kein Wunder, dass Hänschen vor lauter Hunger aus dem Gatter ausgebrochen und sich auf die Suche nach etwas Essbarem gemacht hatte. Dummerweise wurde das Schweinchen jetzt vielleicht selbst gefressen. Ironie des Schicksals.

Marti fuhr weiter hinunter bis zur Straße. Dort bog er links ab, Richtung Stadt. Er gab ordentlich Gas. Wegen der abmontierten Türen wirbelte der Fahrtwind nur so um ihn herum und brachte die zerschlissenen Plastikpolster auf eine normale Temperatur. Für einen Moment vergas Marti tatsächlich seine schlechte Laune. Der Himmel war einfach zu blau, die Sonne zu strahlend und die sich in den kühlen Wald schlängelnde Straße zu leer.

Leben wie in einer Autowerbung. 

Zombifiziert - Tag NullWhere stories live. Discover now