Teil3

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Es war für mich, als wäre die Klasse auf eine einziger Person zusammengeschrumpft. In den Pausen redeten wir miteinander, manchmal umarmte er mich, ohne mich vorzuwarnen, von hinten, manchmal wartete er schon auf mich bei meiner Haltestelle, obwohl er dafür einen Umweg von sicher 20 Minuten machen musste. In den wenigen Stunden, wo wir nicht eh gemeinsam Unterricht hatten, hielt uns WhatsApp zusammen. Viele rote Herzen... 

Zugegeben, mit allen diesen schönen Dingen kamen auch unerfreuliche; sämtliche Mädchen warfen mir giftige Blicke zu. Ich konnte es sogar ein bisschen verstehen; viele Mädchen standen stundenlang vor dem Spiegel, um hübsch zu sein, und dann kam der coolste Typ der Klasse mit einer daher, die von Schminke und Schmuck genau gar keine Ahnung hatte. Kein Wunder also... Aber sogar Theresa wollte nicht mehr mit mir sprechen. Colleen schon. Sie half mir, über das alles hinwegzukommen, und trotz allem noch den Kopf hoch zu halten. 

Obwohl er nie mit mir darüber sprach, glaube ich, dass auch Alex ausgelacht und blöd angesprochen wurde. Er, der ja jede hätte haben können... 

Mit Alex unternahm ich nicht sehr viel, einfach weil keine Zeit war. Aber am Wochenende konnte man uns in Kinos finden; er kaufte viel zu viel Popcorn, aber er suchte immer gute Filme aus. Nach dem dritten Mal bemerkte ich allerdings, wie unwichtig für ihn der Film war. Hauptsache, ein dunkler, lauter Ort, eine Reihe nur für uns, und möglichst keine bekannten Menschen. Während ich gebannt auf die Leinwand schaute, nahm er meine Hand, umarmte mich und drückte seinen Mund auf meinen Hals. Ich mochte das nicht besonders und schaute weiter den Superhelden und Bad Guys zu und ließ es dabei bleiben. Weder freute mich sein Verhalten, noch störte es mich. Für mich war es einfach schön, mit ihm wegzugehen und zu wissen, dass jemand mich besonders fand. Das war mir zuvor noch nicht sehr oft passiert. 

Ein anderes Mal saßen wir unter einem großen Baum. Ich schaute in die Äste, hörte das Rauschen und fühlte mein ganzes Leben vor mir her ziehen. Ich sah mich als keines Kind, das las, oder das auf dem Klavier klimperte. Ich hörte mich wieder alle meine Geheimnisse flüstern. Ich fragte mich plötzlich, was Alex für Geheimnisse hatte. Mir fiel auf, wie wenig ich ihn kannte. 

"Alex?" Ich schaute vor mich hin in die Zweige. "Ich muss dich was fragen. Glaubst du, dass du mich kennst? Glaubst du, dass ich dich kenne?

Er beugte sich über mich. Stille. Seine Antwort war nur ein Kuss. 

Als ich zuhause angekommen war, begann ich zu weinen. Ich setzte mich auf mein Bett und weinte. Meine ganze innere Unzufriedenheit brach auf mich herein. Ich weinte über den ganzen Tratsch, ich weinte über die Kinobesuche, ich weinte darüber, dass ich als Antwort auf meine Fragen immer nur einen Kuss oder ein liebes Wort bekam. Plötzlich sah ich alles so klar vor mir: Wir hatten von Anfang an nie eine vernünftige Konversation geführt. Ich wollte ihn als lieben Begleiter, er wollte mich als ich weiß nicht was. Ich war noch nie in meinem Leben so enttäuscht von mir und von der Welt gewesen. 


ZoëWo Geschichten leben. Entdecke jetzt