Prolog

32 3 4
                                    

Der Prolog ist der lieben CathrineSparrow gewidmet, da er ohne sie nicht existieren würde! Schaut mal bei ihr vorbei (und liefert Ideen für ihr Buch!).


Was konnte er denn noch tun? Was konnte er noch sagen? Wie lange konnte er noch etwas tun, etwas sagen?

„Alles was sie sagen, kann und wird vor Gericht gegen sie verwendet werden."

Der Standartspruch. Tausendmal hatte er ihn schon gehört. Und trotzdem hätte er nie gedacht, dass dieser Satz ihn einmal so beschäftigen würde. Aber wer glaubte schon der Wahrheit?

Absurderweise musste er plötzlich an das Lied „Tausendmal Berührt" -oder wie auch immer der Titel genau hieß- denken. Als sein Sohn jünger war, war es lange Zeit das liebstes Lied des beinahe Erwachsenen gewesen. Ständing hatte der damals Neunzehnjährige es rauf und runter gehört, damit war er seinem Vater gehörig auf die Nerven gegangen.

Eben dieser Vater würde nun alles dafür geben, diesen nervigen Song noch einmal zu hören, wenn der nun erwachsene Junge nur dabei wäre.

Etwas kitzelte ihn auf der eingefallenen, von leichten Falten durchzogene Wange. Langsam und kraftlos hob er eine Hand und fühlte etwas Nasses.

Ohne es zu merken, hatte er begonnen zu weinen.

Ein schwaches, trauriges Lächeln umspielte seine Lippen. Langsam, aber sicher, gab er sich und sein Leben auf. In der ersten Woche war er noch voller Kampfgeist gewesen, hatte von Hoffnung durchdrungen Fluchtpläne geschmiedet, ganz wie damals, als Wehrmachtssoldat, um seinem unverdienten Schicksal zu trotzen. Mit dem Unterschied, dass sein jüngeres Ich es tatsächlich geschafft hatte, den Franzosen zu entkommen, allerdings war der Krieg zu der Zeit schon fast vorbei gewesen und die Franzosen hatten andere Dinge zu tun gehabt, als sein Gefangenenlager zu bewachen.

Nun war es ganz anders. Zwar hatte er ein größeres Zimmer, und es gab auch keine stinkenden Kakerlaken mehr, aber etwa jede halbe Stunde kam ein Sicherheitsbeamter vorbei und sah in seine Zelle, um zu überprüfen, ob der alte Mann auch brav eingesperrt blieb.

Das war der Fall. Denn das einzige, was der 76-Jährige tat, war, auf seinem Bett zu sitzen und sich zu fragen, wie zum Teufel er denn hier hinauskommen konnte. Sich zu fragen, warum er überhaupt hier war, hatte er schon länger aufgegeben, ein Grund war nicht vorstellbar.

Aber R. T. Estenmann, der Präsident, war in gewisser Weise wie Hitler, denn auch dieser hatte die irrsinnige Vorstellung gehabt, dass eine Bevölkerungsgruppe sein Untergang sein würde.

„Herr Bühlau! Mittagessen!" Ach ja, das Essen. Seufzend stand Herr Bühlau auf und straffte sich ein wenig, oder schien sich zu straffen, um den Anschein einer stolzen Aura zu wahren.

Leicht scheppert wurde die Zellentür aufgestoßen und eine etwas ältere, freundlich dreinblickende Frau streckte ihm ein Tablett mit einer Aluschale, einem kleinen Pudding und einer Saftflasche aus Plastik entgegen. Dann zwinkerte sie und meinte: „Warten Sie kurz. Heute hat es noch eine kleine Tafel Schokolade dazu."

Das Essen war, wie schon in den Wochen davor, gewöhnungsbedürftig. Erbsensuppe mit Bockwurst konnte eben nicht immer gut sein.

Satt, allerdings nicht ganz glücklich, streckte der, nun doch etwas müde Mann, sich auf dem Bett aus. Dieses war ziemlich kurz, eine Person von einem Meter achzig hätte sicherlich einige Zehen über der Bettkannte schweben gehabt, doch Heinz Bühlau hatte keine Probleme damit.

Er war wieder Gefangener der Franzosen. Zitternd, aber nicht vor Kälte, saß er auf einer morschen, fasrigen Holzpritsche und wartete. Wartete auf den Tod. Schwarz gekleidete, muskulöse Männer brachen seine Zelltür auf und packten ihn unsanft an den Oberarmen, die langen Nägel ihrer Finger schnitten ihm tief ins Fleisch. Angst ergriff den Besitz über sein Bewusstsein. Lähmende, schleichende, alles zerstörende Angst. Seinem Leben ein Ende gesetzt. Nie mehr die Sonne auf der Haut spüren, nie mehr dem süßen Schmerz der Liebe ausgesetzt sein.

An ein Leben nach dem Tod glaubte er nicht.

Gerade als das Gewehr angesetzt wurde und das so vertraute Klacken des Entsicherns ertönte, die Angst stärker denn je war, als ob er schon allein durch ihre, immer fester zudrückenden kalten Klauen sein Leben verlieren würde, riss Heinz Bühlau die Augen auf.

Gott sei Dank nur ein Taum, jedoch hatte es sich so real angefühlt.

Über seinen noch vor Schreck und Angst verzerrten Zügen schwebten zwei harte Gesichter, die ihm bekannt vorkamen, er aber nicht zuordnen konnte.

„Mitkommen. Ihr Verfahren ist beendet." Die Stimme des blasseren Mannes hatte etwas dämonisches, unmenschliches an sich, als ob er keine Emphatie mehr verspürte. Außerdem besaß sie einen herrschenden Unterton, der bezeugte, dass er keine Toleranz für Nichtbefolgung seines Befehls besaß.

Der eben noch liegende Heinz Bühlau wusste aus Erfahrung, dass er sofort dem folgen musste, was befohlen wurde, sonst gäbe es Ärger.

Grob wurden seine Oberarme gepackt und die Nägel der gefühlslosen, roboterähnlichen Männer bohrten sich in das schlaffe Fleisch seines Armes.

Sein Verfahren? Welches Verfahren bitte? Das einzige, was er wusste, war, dass er 8 Jahre lang einsitzen musste. Das Verfahren war vor vier Wochen beendet worden.

Langsam kroch eine kalte Empfindung von Angst seinen gebeugten Rücken hinauf, als er von den Männern den Metallgang hinuntergezerrt wurde.

Nach einigen Treppen, dies schien der Keller des Gebäudes zu sein, waren einige Stimmen zu hören. Eine flehende, sanfte Stimme, unterbrochen von einer peitschenden, unangenehmen. Aus dem Wörtersturm waren keine Ausdrücke klar zu entnehmen, selbst bei angestrengtem Hinhören nicht.

„Stopp! Hier hinein!", dröhnte es plötzlich in das immer noch sehr funktionstätige Ohr des Gepackten, welcher ruckartig stehen blieb und auf eine augenscheinlich sehr alte Tür starre. Sie war braunrot durch Eisenoxid, an einigen Stellen war der Rost sogar aufgeblüht.

Langsam bekam Heinz Bühlau richtige Angst.

Es ist wie in meinem Traum.

Wie in Trance drückte er die Klinge runter und trat mit gesenktem Kopf ein, hinter seinem Rücken fiel die schwere Tür mit einem lauten Knall zu, der an den den des Wänden des Raumes sein Echo zurückwarf.

Langsam hob Heinz Bühlau seinen Blick, doch bevor er igendetwas erkennen konnte, ertönte ein familiäres Geräusch, das er des Öfteren selbst ausgelöst hatte.

Das Entsichern eines Gewehrs.

The MarshallsWhere stories live. Discover now