Der Schlusstrich

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Finster starrte Johanna Mark an. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass John sie erneut sehen wollen würde, und nun war sie völlig aufgeschmissen. Sie hatte ihre Gründe, warum sie gegangen war, und nach dem Gespräch mit Micha war sie überzeugter denn je, dass sie Jonathan nicht erneut so nahe kommen konnte.

„Hör zu", sagte Mark leise, während er weitere Tickets kontrollierte: „John war ... wütend, okay? Wirklich wütend. Und wenn du heute Abend nicht auftauchst ... bin ich der Arsch. Tu mir einfach den Gefallen und rede mit ihm. Sei ein Mann und steh zu deiner Ablehnung."

Johanna atmete tief ein. Sie verstand, dass es unfair war, von Mark zu verlangen, dass er die Botschaft überbrachte. Falls John wirklich so wütend auf ihren Abgang reagiert hatte, war es nur fair, wenn sie die Suppe selbst auslöffelte. Auch, wenn es ihre Selbstbeherrschung austesten würde. Sie schluckte.

„Schön", zischte sie: „Bind es mir um. Dann werde ich dem hohen Herrn eben selbst ins Gesicht sagen, dass das eine einmalige Sache war."

Ein kaum unterdrücktes Grinsen spielte um Marks Mundwinkel: „Warte damit, bis ich da bin, okay? Das will ich mir nicht entgehen lassen."

„Haha, sehr witzig!", kommentierte Johanna wenig amüsiert. Schlecht gelaunt und vor allem nervöser als je zuvor, ließ sie sich das gelbe Band um ihr Handgelenk binden. Dann, wie sie es inzwischen gewohnt war, folgte sie einem Crewmitglied durch die Seitengänge, bis sie schließlich ihren gewohnten Platz vor der Bühne einnehmen konnte. Sie trug heute ein enger geschlossenes Kleid, das weder Ausschnitt noch Schulter zeigte. Nach dem aufregenden Abenteuer beim letzten Konzertabend brauchte sie einfach eine körperliche Erinnerung für sich selbst, dass sie nicht hier war, um sich erneut in sexuelle Eskapaden zu stürzen. Erstaunlicherweise zog sie heute mehr abfällige Blicke als sonst auf sich. Sie fragte sich, ob die Leute in Karlsruhe einfach engstirniger waren als im Rest von Deutschland.

Ungeduldig wartete sie auf den Beginn der Show. Sie wollte diesen Abend einfach nur so schnell sie konnte hinter sich bringen. So sehr sie die Musik auch genoss und im Gefühl der Menge baden konnte, wenn alle um sie herum nur noch Augen für die Männer auf der Bühne hatten, so sehr sorgte sie sich doch, dass ihr einmaliger Abend mit John ihr jede Freude bei künftigen Konzerten verderben würde. Sie betete, dass eine deutliche Absage heute dazu führte, dass er das Interesse an ihr verlor.

Die Band betrat die Bühne, die Menge kam in Stimmung und während des ersten Liedes war Johanna wie sonst auch einfach nur ergriffen von dem Rausch der inzwischen so bekannten Musik. Doch in der kurzen Pause vor dem zweiten Lied, als Jonathan wie gewohnt zur Seite ging, um einen Schluck zu trinken, fand sein suchender Blick natürlich sofort ihre herausstechende Gestalt. Wie damals in Rostock, als er sie das erste Mal bemerkt hatte. Nur dass diesmal sein Blick nicht abschätzend über ihr Outfit wanderte, sondern sich sehr, sehr ernst und sehr, sehr wütend in ihre Augen bohrte. Beschämt schaute sie zu Boden. Offensichtlich hatte Mark nicht übertrieben. Umso wichtiger war es, dass sie diese Sache aus der Welt schaffte.

Für den Rest des Auftrittes konzentrierte sie sich auf ihre Fotos, und auch John schaute nicht noch einmal zu ihr, obwohl er alle Gelegenheit gehabt hatte.


Mit klopfendem Herzen stand sie vor der schweren Metalltür, auf der in großen Lettern „Kein Zutritt" stand. Sie wusste, dass dahinter die Backstage-Party stieg. Die Musik, das Gelächter, das Klirren der Gläser. Alles verriet, dass sie mal wieder spät dran war. Doch es war ein Kampf gewesen, überhaupt ihre Schritte hierher zu lenken. Sie hatte Angst vor der Konfrontation. Sie war nicht gut darin, wütenden Menschen zu begegnen. Und sie hatte Angst davor, dass er versuchen würde, sie zu verführen. War sie stark genug, dem zu widerstehen?

Der Sommer ihres Lebens ✔️Where stories live. Discover now