Kapitel 3: Madame Héloïses Höllenfahrt

47 15 10
                                    

„Aye", bestätigte Mr. Farley was Mortimer ohnehin schon vermutet hatte und senkte verschwörerisch die Stimme. „Zur Hölle und wieder zurück, heisst's. Weil der Deibel sie nich' hab'n wollt'. War einfach zu gut, das arme Kind. Und ins Paradies konnt' se ja auch nich'. Hat ja versprochen, ihrem Ehemann treu und gehorsam zu sein, damals. Schrecklich sowas!"
„Ja, wirklich eine fürchterliche Situation, in die Lady Héloïse da geraten ist." In Mortimers Stimme lag ehrliche Betroffenheit.
„Seht ihr, Kinder, genau deswegen will ich nicht, dass ihr Versprechen gebt, die ihr nicht halten könnt."
Der Versuch ihrer Mutter, in der Schauergeschichte wenigstens einen moralischen Aspekt zu finden, liess Sophie mit den Augen rollen.
Mr. Farley lachte indes dröhnend über die erschrockenen Gesichter Viktors und James'.
„Ja, ja, hört nur auf eure Frau Mutter. Sonst geht's euch am End' wirklich noch wie der Lady. 'S heisst nämlich, dass se bis heut' keine Ruh' gefunden hat. In dunkl'n Nächten fährt se nämlich immer noch zwisch'n der Welt und der Hölle hin und her. Und wenn 'ne arme Seele ihr'n Weg kreuzt, nimmt se ihn mit auf 'er Fahrt zum Teufel. Sin' scho' viele bei Nacht in 'en Wald gewandert und nich' mehr raus gekomm'n."
„Ach, sicher ist es nachts in einem dunklen Wald auch ohne eine Geisterlady gefährlich genug. Vermutlich haben die Verschwundenen sich lediglich verirrt", warf Sophie zweifelnd ein.
„Glaub'n Se 's mir, Frollein, die Lady Héloïse ist sehr echt. Ich hab sie mit meinen eigenen zwei beiden Augen geseh'n!"
„Verzeihen Sie, wenn ich mich meiner Tochter in ihrer Skepsis anschliesse, Ples. Aber es erscheint mir doch äusserst bemerkenswert, dass – obwohl Lady Héloïse die armen Teufel, die ihren Weg kreuzen angeblich zur Hölle mitnimmt – wir doch das unerhörte Glück haben, die Geschichte von jemandem zu hören, der eine Begegnung mit ihr unbeschadet überstanden hat", warf Mortimer ein.
„Naja...", machte Mr. Farley verlegen. „Ihr begegnet bin ich jetzt nich' so direkt. Hab' se von Weit'm geseh'n. Die Irrlichter, die die Kutsche beleucht'n. Und die Gäule. Sind in kolossalem Tempo von 'er Ruine her den Hügel runter. Ganz ohne Kutscher! Jedenfalls hab ich kein' geseh'n. Aber bis zum Waldrand hab ich die Kutsche seh'n könn', immer wieder durch die Bäume durch. Und am Waldrand da war se plötzlich verschwund'n.
'S war ganz sicher die Lady Héloïse, ich schwör's Ihnen beim Grab meiner Frau Mutter, Gott hab'se seelig. Und ich bin nich' der Einz'ge, das sag' ich Ihnen! Fast jeder hier hat se schon mal geseh'n. Da könn' Se jeden fragen.", ereiferte er sich.
Die Augen Viktors und James' leuchteten vor Aufregung.
„Glaubst du, wir werden sie auch sehen, Vater?", fragte James in fiebriger Eifer.
Mortimer lächelte. „Wenn wir Glück haben, vielleicht."
„Das Int'resse liegt wohl in 'er Familie, hä?", meinte Mr. Farley lachend.
„Nun, zumindest teilweise", gab Mortimer zu, wohl wissend, dass Clementines und Sophies Interesse eher den weltlichen, denn den spirituellen Dingen galt. Er trank den letzten Rest seines Tees – der kalt auch nicht besser schmeckte als heiss – aus und erhob sich.
„Haben Sie vielen Dank für die Erzählung, Ples", sagte er „Aber so langsam wird es Zeit für uns, das Domizil für unseren Aufenthalt zu beziehen."
Clementine und Sophie atmeten beide innerlich auf.
„Och, da nich' für", sagte Mr. Farley. „Aber wenn ich Ihnen 'nen Rat geb'n darf", fügte er mit ebenso grosser wie plötzlicher Ernsthaftigkeit hinzu, „sein se vorsichtig, ja? Der Wald kann 'n verflixt gefährlich'r Ort sein. Sie sollten ihn zumindest bei Nacht meid'n."
„Wir werden daran denken", versicherte ihm Clementine, die bereits wusste, dass sie Mortimer mehr als einmal daran würde erinnern müssen.

Madame Héloïses letzte FahrtWhere stories live. Discover now