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Als ich hinter dem Imperiden, der mich vom Übungsraum abholte, den Speisesaal betrat, staunte ich nicht schlecht. Der Raum war riesig mit einer Decke, die an die zehn Meter hoch sein musste. Tische und Bänke standen aneinandergereiht und fast alle Plätze waren bereits besetzt. Es herrschte eine fröhliche und aufgeregte Stimmung, die mich seltsamerweise ansteckte. Wenn man bedachte, dass mein Plan heute gnadenlos gescheitert war, wäre es verständlicher gewesen, wenn ich mich am liebsten in eine Ecke verkrochen hätte. Allerdings war ich momentan vielleicht auch einfach zu erschöpft, um mir der Tragweite meines Versagens bewusst zu sein. Auch mein Magen meldete sich wieder zu Wort, weshalb ich dem Imperiden zum Abschied kurz zulächelte und mich dann einer Reihe von Vertiden anschloss, die anscheinend die Warteschlange für die Essensausgabe bildeten. Kaum hatte ich mich hinter ein Mädchen eingereiht, drehte sich dieses auch schon um und plapperte los. „Hallo, ich bin Milena. Deine Augen habe ich schon bemerkt, seit du den Raum betreten hast. Die sind ja unglaublich! Ich kann meinen Blick gar nicht losreißen!" Etwas verlegen lächelte ich sie an. Sie war ungefähr so groß wie ich, hatte dunkelbraune Haare und grüne Augen. „Dankeschön. Und ich bin Cecily", stellte ich mich vor. Für gewöhnlich war ich nicht sehr gesprächig. Vor allem nicht, was Mädchen anging. Im Dorf hatte ich nie besonders gute Erfahrungen mit ihnen gemacht und mit Rylan nur einen männlichen Freund gehabt. Milena war mir aber sofort sympathisch, da ihre freundlichen Augen vor Aufregung funkelten und ihr breites Grinsen ansteckend wirkte. Ich erkannte mich selbst nicht wieder. Seit wann ließ ich mich denn so schnell mitreißen? Ich schob es auf den Hunger und zur Antwort knurrte mein Magen erneut, was mir ein Kichern von Milena einbrachte. „Ich bin auch am Verhungern! Die Übungsstunde war so anstrengend und hat an meinen Kräften gezehrt. Ich möchte nur noch etwas essen und danach sofort schlafen. Hast du es denn geschafft, dein Element hervorzurufen?" Milena redete ohne Punkt und Komma. Es war beinahe schwer, ihrem Gedankengang zu folgen und fast hätte ich die Frage am Schluss nicht wahrgenommen. „Ähm, ja ich bin auch ziemlich erschöpft, aber ich konnte mein Element hervorrufen. Hat bei dir auch alles funktioniert?", fragte ich sie zurück. Als Antwort bekam ich nur ein Nicken, denn Milena war an der Reihe, ihr Essen auszuwählen und ließ sich eine ordentliche Portion auf ihren Teller geben. Ich staunte bei der Auswahl, die sich mir bot. Von zu Hause war ich es gewohnt, dass es meist nur Nudeln oder Brei gab. Hier aber wurde Fleisch in unterschiedlichsten Variationen, Nudeln mit verschiedenen Soßen, allerlei Gemüse und Salat angeboten. Ich war überwältigt und zeigte auf die verschiedensten Dinge, als ich an der Reihe war, die der Mann hinter der Theke auf einen Teller lud. Mit meiner Portion, die der von Milena Konkurrenz machte, trat ich zur Seite und entdeckte meine neugewonnene Freundin, die ein paar Schritte entfernt auf mich wartete. Ich schloss zu ihr auf und gemeinsam suchten wir uns einen freien Platz.

An dem Tisch, der noch Platz für zwei Personen bot, saßen bereits einige Mädchen, die sich aufgeregt unterhielten und dabei ihr Essen komplett vernachlässigten. Ich hatte nicht vor, es ihnen nachzumachen und begann sofort damit, den Mais auf meinem Teller zu verputzen. Nur am Rande nahm ich wahr, wie sich die Mädchen Milena und mir vorstellten. Sie erzählten von ihren Prüfungen und Übungsstunden, alles drehte sich um das neue Leben. Und sie schienen sich alle darauf zu freuen. Ein Mädchen - groß, blond und schlank - prahlte besonders mit ihrer Übungsstunde. „Mein Prüfer war so begeistert von mir und meinte, ich würde auf jeden Fall in ein hohes Haus kommen. Auch im Training konnte ich mein Element schon nach vier Versuchen hervorrufen! Die Tropfen tanzten zuerst nur auf meiner Hand, dann regnete es von der kompletten Decke. Mein Lehrer war überrascht und erzählte mir, dass er so etwas noch nie erlebt hatte." Ihr Element war also das Wasser, schlussfolgerte ich. Zudem schien mein eigener Prüfer recht gehabt zu haben: Einige Mädchen prahlten, wofür sie von einigen anerkennende, von anderen jedoch böse Blicke ernteten. Ich fokussierte mich auf das Essen vor mir, denn ich folgte dem Rat des Imperiden und hielt mich aus den Gesprächen heraus. Milena hatte ihre Portion bereits verputzt und umklammerte ihren Bauch. „Ich glaube, ich muss mich in mein Zimmer rollen", sagte sie an mich gewandt und warf mir einen leidenden Blick zu. Dieser verwandelte sich kurz darauf in ein Grinsen, als sie hinzufügte: „Das hat sich aber wirklich gelohnt, denn so gut habe ich noch nie in meinem Leben gegessen. Ich hoffe, dass das im Innenring Standard ist." Ich nickte ihr zu und erwiderte ihr Lächeln. „Da kann ich dir nur zustimmen. Zum Glück sind wir nur zwei Tage hier, sonst würden wir beide das Gebäude als Kugeln verlassen."

Bald hatte auch ich meinen Teller leer und war bereit für mein Bett. Gerade standen Milena und ich auf, um auf unsere Zimmer zu gehen, als ich mich bei den Worten der blonden Vertide von vorhin versteifte. „Habt ihr schon gehört, dass dieses Mal eine Feuer-Vertide dabei sein soll? Nachdem ich meinen Übungsraum unter Wasser gesetzt hatte, vertraute mir mein Lehrer an, dass ich mit meinen Fähigkeiten eventuell in die Perle einziehen könnte, denn beide Prinzen sind ja bekanntlich auf der Suche nach einer Partnerin. Allerdings sei auch eine Vertide mit im Rennen, die die Flamme beherrscht. So etwas gab es erst ein einziges Mal! Natürlich ist sie selten und die hohen Häuser werden sich um sie streiten. Aber die beiden Prinzen sind nun mal Wasser-Imperiden und würden sich wohl kaum eine Feuer-Vertide aussuchen, oder was meint ihr? Feuer und Wasser, wie soll sich das denn gegenseitig stärken können?" Blondie schüttelte den Kopf und hob danach ihr Kinn an, was selbst ohne ihre Worte dazu geführt hätte, dass ich sie für eingebildet gehalten hätte. „Morgen werden wir ja sehen, wer sich einen Prinzen geangelt hat", fügte sie mit einem selbstsicheren Grinsen hinzu. Mir hatte das Gesagte aber eher eine Gänsehaut beschert. Könnte es wirklich sein, dass ich in die Perle einziehen würde? Bei dem Gedanken wurde mir übel und ich musste mich konzentrieren, das eben Gegessene bei mir zu behalten. Ich hoffte wirklich, dass Blondie Recht hatte und die Prinzen nicht auf die irrsinnige Idee kamen, Feuer und Wasser zu kombinieren.

Glücklicherweise waren wir schnell außer Hörweite und ich verdrängte Blondies Worte. Gemeinsam mit Milena begab ich mich auf mein Zimmer, welches ich dank der Wegbeschreibung meines Imperiden zuvor nach ein paar falschen Abzweigungen glücklicherweise fand. Milena plapperte auf dem ganzen Weg fröhlich vor sich hin und ich musste sie trotz ihrer Bedenken nicht in ihr Zimmer rollen. Das Gespräch mit der Vertide tat mir gut und die Anspannung, die mich von Tagesbeginn an gequält hatte, war nun beinahe verschwunden. Nachdem wir uns verabschiedet hatten und ich mich schließlich im Bett befand, kamen allerdings meine Zweifel und Ängste schlagartig wieder zurück. Bei dem Gedanken an die Königsfamilie zitterte ich. Mein Zuhause war ein einfaches Bauernhaus gewesen, das Palastleben und das vornehme Verhalten waren mir fremd. Ich konnte mich zwar anpassen, aber selbst diese Verwandlung würde ich weder schaffen können noch schaffen wollen. Ich wollte mich selbst in meiner Partnerschaft nicht verlieren. Und eine Cecily, die die Partnerin eines Prinzen war, konnte unmöglich etwas mit der Cecily gemeinsam haben, die ich war. Bei diesem Gedanken stockte ich. Es sollte wohl besser heißen: Diese Cecily konnte unmöglich etwas mit der Cecily gemeinsam haben, die ich bis gestern gewesen war.


Die Flamme - Magie des Feuers (Leseprobe)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt