Kapitel 9 (Kostas PoV)

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Meinen eingegipsten Fuß auf einen Stuhl hochgelegt wartete ich auf Mik, der gerade einen Termin beim Arzt hatte. In den letzten Tagen nach dem Vorfall mussten wir ständig mit Psychatern und Betreuen reden. Man machte sich große Sorgen um uns und befürchtete einen Rückfall. Doch sowohl ich, als auch Mik waren der Überzeugung das alles in Ordnung war. Außerdem wollten wir beide mittlerweile einfach nur so schnell wie möglich wieder ins normale Leben zurück kehren.

Drei Jahre hatte ich mittlerweile hier verbracht. Mik sogar vier. Wir galten zwar schon seit einem halbem Jahr als offiziell geheilt, aber aufgrund des langen Zeitraums in dem wir keinen Kontakt zu unserem sozialen Umfeld gehabt hatten, wollte man uns zuerst langsam wieder an das normale Leben gewöhnen. Das bezeichneten unsere Pfleger auch als Grund wieso wir uns ein Zimmer teilten. Angeblich um uns wieder an das Zusammenleben mit anderen Menschen gewöhnen, aber wir wussten das es in Wirklichkeit einfach nur Platzmangel gab.  Doch niemand von uns hatte ein Problem damit. Mittlerweile waren wir sogar echt gute Freunde geworden.

Ich hatte es nie für möglich gehalten, aber die Zeit hier hatte mir wirklich geholfen. Der ängstliche, schüchterne und depressive Kostas war inzwischen Geschichte. Jetzt existierte nur noch der gut gelaunte und aufgeschlossene Kostas und ich war stolz darauf. Zwar war ich immer noch eher introvertiert, aber mein Selbstbewusstsein war wieder in den positiven Bereich gestiegen. Anfangs hatte ich die Methoden hier verabscheut, aber dann merkte ich, dass sie mir wirklich  halfen. Gestartet hatten wir nach 2 Jahren Behandlung mit dem Ansprechen wildfremder Leute auf der Straße. Es hatte eine Weile gedauert, aber irgendwann bekam ich keine Panikattacken mehr, wenn ich Menschen nach der Uhrzeit oder sonstigem fragen musste.

Die Tür ging auf und mein Mitbewohner unterbrach meine Gedankengänge. Mik lächelte mich an. Er trug seinen Arm immer noch in einer Schlinge, aber sein blaues Auges war schon fast wieder verheilt. "Und wie ist der Termin gelaufen?" fragte ich aus Nettigkeit. "Naja, Herr Zimbelton hat gesagt, dass der Arm nur verstaucht ist und bald wieder heilt. Dann kam noch Herr Bergmann und hat gesagt, dass Sebastians Aktion für ihn und seinen Pfleger Folgen haben wird." erzählte er. "Oh, der arme Palle. Dabei kann er ja gar nichts dafür." "Ich hab gehört, dass er eigentlich hätte Rewi eine Zwangsjacke anziehen müssen. " sagte Mik darauf hin.

Es folgte ein langes Schweigen. Und auf einmal überkam mich schon wieder diese eine Frage. Ein einziges mal hatte ich sie Mik gestellt und er hatte mir sofort klar gemacht, dass ich darauf sicher nie eine Antwort erhalten würde.
Bei mir war die Sache klar. Man sah es mir an, die Narben auf meinen Armen sprachen für sich. Es schien als würden sie der Welt zu schreien wollen, dass ich unter Depressionen gelitten hatte. Einzig und allein die Gründe blieben verborgen. Tief in meinem Innerem pulsierte der Schmerz immer noch. Seine eisernen Krallen hatten sich tief in mein Herz gebohrt und auch wenn ich ihn mittlerweile besiegt hatte, blieben seine Spuren immer noch als klaffende, offene Wunde zurück. Manchmal hatte ich das  Gefühl, dass ich nur halb geheilt war. Klar, mir ging es seit der Therapie deutlich besser, aber manchmal, wenn ich Abends wieder wach war und nicht einschlafen konnte, holte mich alles wieder ein. Es war als würde mir mein Gehirn einen Kinofilm vorspielen. Einen Film über damals. Außer der Ärztin hatte ich mich noch nie jemanden so wirklich anvertraut und auch ihr hatte ich nur von meinen Problemen erzählt, damit ich hier wieder raus konnte. Zwar ging es mir hier wesentlich besser, aber ich wusste genau: je länger ich hier drinnen war, desto schlimmer würde es später werden wenn ich wieder draußen bei ihnen war.   

Und schon war sie wieder da. Meine alte Freundin, die Verzweiflung. Über 2 Jahre lang hatte ich es erfolgreich geschafft sie bewusst einzusperren. Aber in dieser Zeit war sie stärker geworden. Hatte sich von allen meinen Zweifeln ernährt, selbst die kleinsten Zweifel hatte sie genüsslich aufgesaugt, nur um genau jetzt, in diesem Moment mit aller Kraft zurück zuschlagen. Und sie schaffte es. Meine schon lange rissigen Schutzmauern waren eingebrochen und wie eine Sturmflut brach sie jetzt über mich herein. Sie spülte das ganze Selbstvertrauen weg, dass ich mühevoll aufgebaut hatte und brachte all die schlechten Erinnerungen an damals mit sich. Ärzte würden das, was mit gerade passierte wahrscheinlich als Rückfall bezeichnen. Doch für mich war es einfach nur die Vergangenheit, die es geschafft hatte mich wieder einzuholen. Und sie brachte genug Zweifel und Versagensangst für mindestens 3 Menschen mit sich.


Und auch hier ein neues Kapitel. So langsam habe ich jetzt auch schon alle in der Geschichte vorkommenden Hauptcharaktere abgearbeitet und bald wird es dann auch "richtig" losgehen. Wünsche, Ideen und Kritik ist wie immer gern gesehen.

Heilanstalt Bergmann (Abgebrochen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt