Mobbing

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Ich betrete den Klassenraum von meinem Deutschkurs und sehe Liz in der letzten Reihe sitzen. Nicht auf ihrem eigentlichen Platz neben mir.  Ich beiße die Zähne zusammen und gehe durch die Reihen zu meinem Tisch in der zweiten Reihe am Gang. Als ich meine Sachen auspacke wird mir der Nachteil an diesem Platz bewusst. Ich sitze hier wie auf dem Präsentierteller und alle starren mich an. Und sie reden und lachen und lästern. Neben Liz sitzt ein großer blonder Typ, der sie gerade mit Weintrauben füttert.
Liz. Sie kann ihnen alles über mich erzählen, weil sie einfach alles über mich weiß. Vielleicht hat sie es ja schon. Es klingelt. Die Pause ist zu Ende und langsam kommen alle rein, die sich noch mit anderen auf den Fluren getroffen haben. Neben mir sitzt keiner.
Ich starre in mein Heft und beginne einen Comic-Hund zu zeichnen, der sich dann zu einem größeren Rudel spielender Hunde gesellt, die noch aus der Doppelstunde Mathe eben stammen.

Die Tür öffnet sich und Franzi betritt den Raum. Sie trägt ein eng anliegendes Top und eine Jacke aus weichem Stoff über den Schultern. Als sie mich mitten im Klassenraum alleine sitzen sieht strafft sie die Schultern und meint: "Soo, ihr sitzt mir hier alle zu weit weg. Liz und Tom, hr kommt hier in die erste Reihe." Und so löst sie die komplette letzte Reihe auf, bis ich zwischen zwei Jungs sitze, die bestimmt knapp an die zwei Meter hoch und doppelt so breit sind wie ich. Sie sind solche typischen Kerle, die ihre kompletten Tage im Fitnessstudio verbringen und am Wochenende ihre Modelfreundinnen von Party zu Party schleppen und am Ende mit fünf Weibern gleichzeitig im Bett landen.

Einen von ihnen kenne ich sogar. Er wohnt bei meinen Eltern nebenan und heißt Rob? Todd? Irgendwie so. Er ist der, der eben noch neben Liz saß. Mama ist mit seiner Mutter befreundet und seine Patentante. Nach ungefähr einer halben Stunde rammt er mir seinen Arm in die Seite und meint: "Deine Mum sitzt den ganzen Tag zu Hause und dein Dad hat dein komplettes Zeug im Garten verbrannt. Du ist doch nur lesbisch, weil du bis jetzt noch keinen vernünftigen Kerl im Bett hattest." Ich ignoriere ihn. Als ob ich jetzt anfangen würde ihn anzubetteln, dass er mich bitte flach legt.

"Lass mich in Ruhe du Arsch!", zische ich ihn an und er wendet sich ab. Idiot. "Wir sind noch nicht fertig miteinander!", flüstert er leise und ich starre wieder auf den Comichund, der alleine abseits steht und irgendwie verloren aussieht. Schnell zeichne ich einen zweiten hinter ihn, der ihn zum Spielen auffordert. Besser.

Ich schaue nach vorne und mein Blick bleibt an Franzis Haaren hängen. Sie riechen nach Kokosshampoo. Das weiß ich, doch ich würde mich am liebsten noch einmal davon überzeugen. Gedankenverloren streicht meine Hand über den Block und meine Gedanken schweifen ab zu gestern Abend.


"Alex. Bitte, wir... wir sollten nicht miteinander schlafen. Der ganze Rest, das ist schon zu viel. Lass und noch warten und... und uns klar werden, was wir wirklich wollen und was das hier werden soll, okay?" Sie kniet über mir auf ihrem Bett, ihre Haare fallen hinunter bis auf meine Schultern und ihr Atem geht noch schnell. Auch ihre Lippen sind noch leicht geschwollen und ihr T-Shirt ist leicht verrutscht.
Sie legt sich neben mich und ich rücke nah zu ihr, bis ich ihren Atem auf meiner Stirn spüre. Spüre, wie er langsamer und ruhiger wird.


Franzi sieht mich während der ganzen Stunde nicht einmal näher an und obwohl ich weiß, dass das nur Tarnung oder so ist, tut es weh. Es ist, als würde sie sich nicht an gestern erinnern, als hätte sie mich vergessen und aus ihrem Leben gestoßen, in dem ich doch erst seit gestern einen Platz habe. Ich gehe langsam den Gang hinunter, bis ich von der Seite heftig gegen die Wand geschubst werde und mir kurz schwarz vor Augen wird. Als ich wieder hoch sehe kauere ich an die raue Wand gepresst und Blut läuft meine Stirn hinunter.
Als erstes sehe ich ein paar verschreckte Fünftklässler, die schnell weg rennen. Dann sehe ich die fünf paar Turnschuhe und ein paar, dass ich viel zu gut kenne. "Liz!" Dass ich es ausspreche merke ich erst, als zwei der Turnschuhträger beginnen zu lachen. Einer von ihnen tritt mir heftig zwischen die Rippen und ich keuche auf, als sich mein Oberkörper zusammenkrümmt. Ich zittere und schaue ihnen hinterher, während sie schnell den Gang hinunter verschwinden.

Nach einer Weile ziehe ich mich an einer Heizung hoch und verstecke mich auf dem Klo, wo ich erstmal das Blut aus meinem Gesicht wasche und ein bisschen Wasser trinken. Auf meiner Stirn klafft eine große Platzwunde, die immer noch nicht aufhört zu bluten.
Ich warte bis die Pause zuende ist und als die Flure sich leeren, laufe ich schnell aus der Schule und mache mich auf den Weg zu Franzis Wohnung.

Franzi [girlxgirl]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt