Das gelbe Band

Beginne am Anfang
                                    

Sie entfaltete ihr Ticket, damit Mark es abscannen konnte, da fiel ihr seine Wortwahl auf: „Was meinst du eigentlich, ausgerechnet heute?"

Nachdem er ihre Eintrittserlaubnis bestätigt hatte, drehte er sich um und zog ein gelbes Bändchen aus einer der vielen Kartons hinter sich: „Heute ist dein Glückstag, Johanna. Hier."

Mit geübten Griff befestigte er das Band an ihrem rechten Handgelenk. Stirnrunzelnd blickte sie ihn an und wartete auf eine Erklärung. Zu ihrer Überraschung verzog Mark verstimmt das Gesicht: „Das Band da gibt dir Zutritt zum Backstage-Bereich für die Party nach der Show. Gratuliere. Du hast es offiziell auf die Liste der Groupie-Mädels geschafft."

Johanna konnte hören, wie einige Mädchen in der Schlange hinter ihr anfingen, sehr fiese Sachen über sie zu flüstern, doch das hatte gerade keine Priorität. Ihr Mund klappte mehrmals auf und zu, ehe sie einen sinnvollen Gedanken fassen konnte: „Bitte was?"

Mit einer Kopfbewegung bedeutete Mark ihr, dass sie hinter seinen kleinen Tresen treten sollte, damit er die Schlange der Wartenden weiter abarbeiten konnte. Routiniert überprüfte er jedes Ticket, während er ihr leise erklärte: „Du hast offensichtlich bleibenden Eindruck bei John hinterlassen. Du bist ein F... ein Fan, der ihm durch die Lappen gegangen ist, sowas lässt er nicht auf sich sitzen."

Sie errötete, wusste sie doch nur zu genau, welches andere Wort er eigentlich hatte sagen wollen. Genau das war der Grund gewesen, warum sie John hatte zurückweisen müssen. Sie wollte nicht einfach irgendeine schnelle Nummer für ihn sein. Es war gar nicht nötig, dass er ihr ewige Liebe schwor, aber zumindest sollte er genau wissen, mit wem er es zu tun hatte. Sie wollte nicht untergehen in einem Meer aus andere Groupies.

Und nun hatte er den ersten Schritt getan, um doch genau dafür zu sorgen.

Wütend starrte sie das Band an ihrem Handgelenk an: „Ist das eine Einladung, die ich ablehnen kann?"

Die finstere Miene von Mark hellte sich auf: „Natürlich. Niemand kann dich zwingen. Du wärst damit allerdings auch die Erste ..."

Verärgert blickte Johanna auf ihre rot lackierten Fingernägel. Ausgerechnet heute hatte sie sich für ein Bardot-Kleid entschieden, das mit seinem tiefen Ausschnitt deutlich verführerischer war als ihre übliche Kleidung. Sie hatte sich so gut gefühlt, war so stolz auf sich gewesen, dass sie einfach mal etwas wagemutiger sein wollte. Die Aussicht, Micha wieder an ihrer Seite haben zu können, hatte ihr zusätzlich die Courage verliehen, das gewagte Outfit zu tragen. Sie war sich sicher, er würde auf sie aufpassen.

Und jetzt das.

Sie wollte John verführen. Sie wollte, dass die Fackel im wahrsten Sinne des Wortes für sie brannte. Sie wollte seine Augen auf sich spüren. Und gleichzeitig fürchtete sie sich davor. Sie wollte nicht so wirken, als ob sie ihn verführen wollte. Dass er sie wie einen gewöhnlichen Groupie zu seiner Backstage-Party befahl, ärgerte sie. Noch mehr ärgerte sie, dass sie sich geschmeichelt fühlte und alles in ihr danach schrie, die Einladung anzunehmen. Sie wollte ihn, aber sie wollte es ihm gegenüber nicht zugeben. Sie wollte den typischen Groupie-Onenightstand mit ihm, aber sie wollte in seinem Gedächtnis bleiben und etwas Besonderes sein.

Sie war so erbärmlich. Vermutlich waren das exakt die Gedanken, die jedes andere Mädel, das jemals in Johns Armen gelegen hatte, auch gedacht hatte. Sie sah vielleicht anders aus, aber im Grunde unterschied sie nichts von diesen ganzen willigen Fans. Ihre Hände fingen an zu zittern.

„Hey, Johanna!", riss sie die ernste Stimme von Mark aus ihrem negativen Gedankenstrudel. Überrascht bemerkte sie, dass die Schlange verschwunden war. Sie war diesmal tatsächlich spät dran gewesen. Eine schwere Hand legte sich auf ihre Schulter, ehe Mark sie dazu zwang, zu ihm hochzuschauen: „Hier geht es nicht um Leben und Tod. Wenn ich gewusst hätte, dass meine lebenslustige und selbstbewusste Johanna sich in ein Häufchen Elend verwandelt, weil ich ihr gesagt habe, dass die Fackel sich für sie interessiert, hätte ich niemals was gesagt. Vergiss das Band einfach, ja? Geh rein, genieß das Konzert, sag Micha Hallo ... er wartet vorne links vor der Bühne auf dich. Hab extra organisiert, dass ihr zusammen vorne stehen könnt. Also lass dich jetzt hier nicht so hängen, ja?"

Der Sommer ihres Lebens ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt