N E U N

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Phyllis' POV

Schweigend öffnete ich meinem Bodyguard die Tür zu meinem Gästezimmer, trat wie eine waschechte Lady vor ihm ein, da es schließlich meine Wohnung war. Erst beim Hineingehen fiel mir ein, dass ich den kompletten Raum für Lily eingerichtet hatte, in der Annahme, Männerbesuch lediglich in meinem eigenen Bett zu empfangen. Tja, nun war es zu spät, denn Brooklyn musterte das Mobiliar mit wachsamem Blick, der über den rosafarbenen und mit Einhörnern überzogenen Bezug der Bettdecke und der des Kissens auf dem Boxspringbett glitt.
Lily eben.
„Echt jetzt?" Seine Augenbrauen fuhren nach oben, als er sich mir zuwandte.
„Rosa?"
Lily. Aber das konnte ich ihm schlecht sagen, womöglich hielt er mich dann für lesbisch...
„Wenn du dich entmannt fühlst, können wir gerne Shoppen gehen. Bestimmt gibt es dir das Gefühl von vor Testosteron nur so triefender Männlichkeit, wenn du Unsummen von Geld für mich ausgibst", sagte ich also stattdessen und lächelte mein Gegenüber fröhlich an, als könne ich kein Wässerchen trüben.
„Äh... nein. Rosa ist toll. Rosa ist super. Alles cool. Ich stehe auf diese... Einhörner?! Ist das dein Ernst?"
Ich lachte leise in mich hinein und trat an das Gästebett, wo ich behutsam über eines der kleinen Fabelwesen auf der weichen Decke strich. Es lohnte sich durchaus, mehr Geld für Waschmittel auszugeben.
„Ich mag Einhörner."
Brooklyn sah mich unentwegt an, den schönen Mund verblüfft zu einem O geformt.
„Weißt du, ich hätte niemals gedacht, dass du auf diese typischen Mädchensachen anfährst."
„Auf dich fahre ich ja auch nicht ab", log ich vorbildlich, den Kopf kokett schief gelegt, ein Akt der Provokation.
Er runzelte fragend die Stirn, also half ich ihm auf die Sprünge: „Erinnerst du dich an deine Bemerkung mit dem Bad Boy? Tja, die sind definitiv Mädchensache."
Und du fährst voll darauf ab, flüsterte mein Unterbewusstsein.
Ich klimperte übertrieben mit den Wimpern, mitunter, um die nervigen Einwände meines Unterbewusstseins zu vertreiben, und sah ihn triumphierend an.
Er seufzte, fackelte nicht lange und stand plötzlich vor mir. Ich hatte ihn nicht einmal kommen sehen. Das war für einen Bodyguard ganz praktisch, um... na ja, Gegner auszuknocken oder wie man die Bösen in Fachsprache nannte. Für mich allerdings war es alles andere als nützlich, da ich augenblicklich scharf einatmete, was meine vorangegangene Aussage beinahe vollkommen zunichte gemacht hätte.
Beinahe.
Er hätte mich auch einfach erschreckt haben können.
Oder da hätte plötzlich ein Mann auftauchen können, mit gezückter Waffe und dem Bombenarsenal des Islamischen Staats.
Oder so.
„Mir ist bewusst, dass ich hiermit gegen meine Vorsätze und vermutlich auch die des Königshauses verstoße, aber du provozierst mich so dermaßen...", murmelte Brooklyn, der von meinem inneren Gefasel selbstverständlich nichts mitbekam. Und, na ja, bis heute weiß ich nicht, wie zur Hölle er so schnell sein konnte, doch schon im nächsten Moment wurde ich mit dem Rücken gegen die kühle Tür des Kleiderschranks gedrückt, Crightons Hände links und rechts von meinem Kopf auf dem Eichenholz abgestützt. Er war mir so quälend nah, dass ich seinen angenehm warmen Atem auf meinem Gesicht spüren konnte. Er war mir so quälend nah, dass ich unwillkürlich die Luft anhielt.
Oh mein Gott.
Ich... Wie?... Verdammt.
Seine Lippen verzogen sich zu einem raubtierhaften, wissenden, arroganten, selbstgefälligen, nervigen, verdammt attraktiven Grinsen, welches in mir eine Gänsehaut heraufbeschwor. Ich war mir sicher, dass sich binnen Sekunden selbst die Härchen aufgerichtet hatten, die ich erst am Morgen entfernt hatte.
„Ich könnte dich gerade küssen. Das weißt du doch, oder?"
Ach nee, Mr. Ich – rede – zu viel. Jetzt halt die Fresse und tu es einfach.
„Aber das wirst du nicht tun", presste ich mit zitternder Stimme hervor, um irgendetwas anderes zu sagen als ‚Oh' und ‚Mach schon'. Allerdings musste ich mich mehr als nur zwingen, verdammt nochmal ruhig zu bleiben, statt genau das zu beenden, was er hiermit begonnen hatte.Nicht, dass ich es nicht wollte. Nein, so war es ganz und gar nicht. Ich hatte mich selten in meinem Leben so sehr nach etwas gesehnt wie in diesem Moment, in dem ich Brooklyns Lippen unbedingt auf den Meinen spüren wollte. Läppische Millimeter trennten uns noch voneinander, ich müsste mich lediglich auf Zehenspitzen stellen, um seien verdammt perfekten Mund mit meinem berühren zu können. Wenige Millimeter, und wir könnten dort fortfahren, wo wir das letzte Ma so dreist von Lily unterbrochen wurden.
Doch etwas hatte sich seit letzter Nacht verändert, der einzige Grund, warum ich all meine Willenskraft zusammenkratzte, den Blick von Brooklyns verdammt weich aussehenden Lippen löste und meine Hände flach auf seine muskulöse Brust legte, um ihn von mir wegzudrücken. Er war mittlerweile mein Bodyguard, und ich war definitiv nicht die Art von reichem, verzogenem Töchterchen, das einen neuen Beschützer bei Daddy anforderte, weil es mit dem Anderen geschlafen hatte.
Crighton bewegte sich kein Stück. Er sah mich einfach nur durchdringend an, auf der Suche nach Indizien. Er war sich seiner Sache so verdammt sicher.
„Also, wie gesagt, ich könnte dich küssen. Und ich würde es sogar tun, wenn die Umstände etwas... andere wären. Deshalb begnüge ich mich mit der Tatsache, dass du – ganz anders als behauptet – sowasvon auf mich stehst."
Brooklyn spielte mit einer meiner Haarsträhnen und wickelte sie sich gedankenverloren um den Finger. „Aber um auf die Bettdecke zurückzukommen..."
„Wenn du jetzt etwas gegen Einhörner auf rosa Bettdecken sagst, dann kannst du auf den Mülltüten in der Garage schlafen", quatschte ich gespielt fröhlich dazwischen, in dem Versuch, etwas Cooles einzubringen, das meine Würde irgendwie retten würde.
Vergeblich, denn mein Bodyguard redete einfach weiter: „Einhörner sind Geschöpfe, die Regenbögen kotzen und lediglich in den bunten Träumen einer Zehnjährigen existieren."
„Du..." Fassungslos starrte ich ihn an. „Das hast du jetzt nicht gesagt."
„Doch. Doch, das habe ich. Und das meine ich auch so. Komm damit klar, Prinzesschen, sonst wird das hier eine ziemlich unangenehme Wohngemeinschaft", gab das Objekt meines momentanen Hass unbekümmert von sich und schlenderte in die offene Küche, während ich an dem Schrank in meinem Gästezimmer stehenblieb und fassungslos gegen die Wand starrte.
Dieser Kerl hatte soeben Einhörner beleidigt.
Einfach so.
Ohne dafür belangt zu werden.
Bestimmt stirbt gerade irgendwo ein armes Pegasus...
„Ist das dein Ernst?!", kam es aus der Küche.
„Was denn? Hast du schon wieder was mit Fabelwesen gefunden und willst mir das jetzt auch kaputt machen, du Kindheitszerstörer?", gab ich zurück, während ich mich zu Brooklyn begab.
„Nein, ich kommentiere deine Drachen – Tasse lieber nicht. Aber deine Kaffeemaschine... Tut mir leid, aber das geht nicht. Mit dieser Maschine kann ich nicht hier wohnen", empörte sich mein selbsternannter Mitbewohner entzürnt und deutete auf das billige Gerät, das mir morgens die nötige Dosis Koffein beschaffte.
„Beliebt Euch die Farbe nicht, Mister, oder habt Ihr ein anderes Problem?", zischte ich ihm zu, wütend über sein ständiges Herumgezicke wegen meiner Einrichtung.
„Nun, Miss, meiner Wenigkeit beliebt diese Maschine an sich nicht, wenn Ihr erlaubt. Ich würde es doch sehr begrüßen, wenn Ihr mich auf einen Gang in die Innenstadt begleitet, wo ich eine bessere Maschine erwerben werde, Mylady."
„Verfügt Ihr denn über die nötigen Geldmittel, Lord Crighton?", antwortete ich, zu meinem Widerwillen amüsiert, aber definitiv nicht willig, ihm eine neue Kaffeemaschine zu kaufen.
„Nun, werte Dame, ich verfüge über Euch, und Ihr verfügt über die Moneten, die Ihr von Eurem Vater in den Arsch geschoben bekommt."
„Bist du jetzt vollkommen plemplem? Ich kaufe doch keine neue Kaffeemaschine, nur weil dir meine nicht gefällt!", rief ich aus, nun endgültig am Ende mit den Nerven.
„Aber willst du nicht auch etwas... Schmackhafteres als dünner Filterkaffee am Morgen?"
„Das ist kein Filterkaffee."
„Aber ich wette, dass es so schmeckt."Okay, ja, die Geschmäcker ähnelten sich schon, auch wenn mein Kaffee besser schmeckte. Dennoch, ich ließ es mir nicht gefallen, wie sich dieser... dieser arrogante Kotzbrocken in mein Privatleben einmischte!
Gerade als ich ihn anzicken wollte, was denn das ganze sollte, klingelte mein Handy. Und da mir soeben sowieso kein sonderlich cooler Spruch eingefallen war, ging ich ohne viel nachzudenken dran. Es konnte schließlich nicht schlimmer kommen als einen Bodyguard zuhause zu haben, der eine neue Kaffeemaschine wollte.
„Hallo?", schnaubte ich in das Mikro, nicht ohne Brooklyn weiterhin böse anzustarren.
„Hi, Phil, ich bin's, Lily."
Okay, es konnte doch noch schlimmer kommen. 

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