"Nein, ich werde das garantiert nicht essen! Vergiss es.", lacht meine 16 jährige Schwester.
Mein Vater antwortet wütend: "Du siehst aus wie ein Stock! Du machst mich wahnsinnig!". Und wieder mal geht er genervt aus dem Zimmer, wirft die Türe zu und mieses Karma hängt in der Luft.
Sel. Das 16 jährige Mädchen, das einst so glücklich war, wenn es Schokolade bekam. Das Mädchen, das meine Schwester ist.
Sie heißt Selina und unterscheidet sich komplett von den anderen in ihrem Alter. Sie trägt fast nie Make-Up, hatte noch keinen Freund und auch nicht wirklich Freunde, ist sehr wenig sozial aktiv, kocht und liest gerne. Sie ist ein Multitalent. Sel lernt fast jeden Tag und hat, abgesehen von einer 2, alles Einsen im Zeugnis der 10. Schulstufe.
Meine Schwester fing, genau wie ich, 2014 an, abzunehmen. Was bei mir noch unter Kontrolle war, geriet bei ihr aus den Rudern.
Sel nahm ab und hörte nicht auf, ehe sie sah, was sie sehen wollte. Aber kotzen ging sie nie, was sehr gut war, sie hatte eine Kotzphobie.
Im November 2015 wog sie 32 kg und wurde in eine Klinik eingewiesen. Am Anfang sah sie nichts ein, war ständig schlecht gelaunt und sagte, dass sie fett war. 4 Kilo später wurde sie in die Jugendpsychiatrie nebenan verfrachtet. Sel weinte fast jeden Tag, aber kam immer besser damit klar. Sie gewann einige "Freunde" dort. Aber für manche war sie auch eine absolute Bestie, da sie nun die Dünnste war. Sel wurde bestohlen.
Ich war ein einziges Mal bei einer Familiensitzung dabei. Sel redete fast garnichts und ihr Psychologe schaltete auf stur. Wenn sie nichts sagte, müsste sie länger bleiben. Meine Mutter heulte, aber die heulte sowieso fast immer also machte sich niemand Gedanken um sie.
Ich wurde gefragt woran ich merke, dass mein Vater glücklich sei. Ich wusste keine Antwort.
Es war schrecklich.
Über Weihnachten und Silvester durfte sie nach Hause und im März wurde sie schließlich mit 46 kg entlassen. Sel bemühte sich. Wirklich. Aber nach 2 Monaten war es ihr wieder egal, sie begann wieder abzunehmen.
Ich höre ihre Gedanken, jedes mal wenn sie vor dem Spiegel steht und ich dabei bin. "Ich hasse mich."
Das ist, was ich höre. Und es bricht mir das Herz, zu wissen, dass es ihr gleich geht wie mir.
Einmal waren wie Essen und mein Vater lobte sie: "Heute hast du normal gegessen. Mach' das jeden Tag und du wirst gesund."
Ich hörte sie nur "ich will hier nicht rausrollen..." murmeln.
Allein, dass mein Vater so etwas sagt brachte mich schon zum kochen. Denkt er, sie fühlt sich gut wenn er ihr sagt dass sie normal gegessen hat? Und warum zum Teufel denkt er, dass man gesund wird, nur weil man sich rauffuttert??? Es ist eine psychische Krankheit und manche Menschen verstehen das nicht. Ich könnte diesen Personen den Hals umdrehen.
Jetzt liege ich im Bett auf Korfu und warte nur noch auf Mittwoch, den an dem Tag fliegen wir zurück und bringen Sel wieder in die Klinik. Das wird toll...
