Kapitel 2

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Meine Mutter kam erst spät am Abend wieder, als ich schon längst schlief. Die nächsten beiden Wochen hatte ich hier noch Ferien und danach musste ich in die Schule, die nur wenige Meter von unserem Haus entfern war. Ich wollte da nicht hin. Es fiel mir so unglaublich schwer, auf andere Menschen zuzugehen. Menschen, die sich untereinander kannten. Ich war doch sowieso nur das schwarze Schaf. In meiner alten Schule kannte ich jeden und hier einfach niemanden. Die ersten Sonnenstrahlen bahnten sich ihren Weg durch das Zimmerfenster, als ich verschlafen meine Augen öffnete. Erst, als ich aus dem Fenster sah, wurde mir bewusst, wo ich mich befand. Erneut breitete sich in meinem Magen ein ungutes Gefühl aus. Nur in T-Shirt und Slip ging ich die Treppen hinunter, in die Küche. Gestern hatte ich mich noch gar nicht weiter in dem Haus umgeschaut. Die Küche war, wie der Flur und mein Zimmer, in einem hellen Farbton gestrichen und relativ groß. Genau, wie das Wohnzimmer, was direkt an die Küche grenzte. Neugierig betrat ich den großen Raum, in dem sich, außer einem Sofa und einem Fernseher, auch eine lange Schrankwand befand. Meine Mutter hatte noch nicht mal die Umzugskartons ausgepackt, sonst würde es hier wesentlich unaufgeräumter aussehen. Ein Lächeln huschte über meine Lippen. So war sie nun mal. Auch in unserem alten Haus, hatte sie es nicht so mit der Ordnung. Ich dachte an ihr Arbeitszimmer. Ich fand es nicht schlimm. Immerhin war ich auch nicht die Ordnung in Person. Da der Kühlschrank noch nicht voll war, nahm ich mir vor, nachher mal einen Laden aufzusuchen. Es war Samstag und die Läden hatten hier bestimmt auch bis Mittag auf. Hoffte ich zu mindestens. Mit knurrendem Magen ging ich zurück in mein Zimmer und zog mir ein weißes Top und eine schwarze Hotpants an. Draußen schien die Sonne und hier war es garantiert wärmer, als am Meer. Außerdem hatte ich meine langen Klamotten noch im Auto. Ich schnappte mir mein Portemonnaie, was ich immer in meiner Jacke trug und mein Handy und schlich leise nach unten. Auf dem Küchentisch hinterließ ich meiner Mutter eine Nachricht. „Bin einkaufen. Bis später." Kurz und knapp. Das musste reichen. Ich war immer noch etwas sauer auf sie, was den Umzug betraf, aber ändern konnte ich es sowieso nicht mehr. Zumindestens nicht, solange ich noch keine achtzehn war.

Als ich nach draußen trat, stieg mir schwüle Luft entgegen. Im Gegensatz zu gestern, war es heute sommerlich warm und das war ich absolut nicht gewöhnt. An der Ostsee waren immer angenehme Temperaturen und Wind. Das komplette Gegenteil zu hier. Ich schloss die Tür hinter mir und ging durch den Vorgarten Richtung Fußweg. Erst jetzt fielen mir die zahlreichen Häuser auf, die sich die Straße hinunterschlängelten. Ich war noch nicht mal zwei Minuten an der frischen Luft und mir lief schon der Schweiß von der Stirn. „Ganz schön warm hier, oder?" Erschrocken drehte ich mich um und erblickte einen jungen Mann am Nachbarzaun. „Ja.", antwortete ich knapp und wollte weiter gehen. „Sag mal, ihr seid gestern erst neu hier eingezogen, oder?" Ich rollte mit den Augen. Konnte mich dieser Typ nicht einfach in Ruhe lassen? Ich hatte keine Lust darauf, neue Leute kennen zu lernen. Anstandsweise ging ich zu ihm, damit ich nicht so schreien musste. „Ja, wir haben vorher an der Ostsee gelebt.", murmelte ich bedrückt. „Da waren mein Bruder und ich auch schon Mal." Erst jetzt fielen mir seine glänzenden, braunen Augen und die blonde Strähne in seinen Haaren auf. „Wie kommt man denn dazu, nach Bünde zu ziehen, wenn man am Meer groß geworden ist?", fragte er und lächelte mich dabei an. „Meine Mutter wollte hierher. Du, ich muss weiter. Einkäufe erledigen." Obwohl mir der Typ, dessen Name ich noch nicht wusste, ziemlich sympathisch war, brach ich das Gespräch ab. „Wir sehen uns bestimmt mal wieder.", verabschiedete er sich von mir. Ich nickte kurz und machte mich dann auf den Weg zum Laden. Ehrlich gesagt, wusste ich noch nicht mal, wo es hier überhaupt einen gab. „Du Doofnuss, hättest den Typen ja auch mal fragen können.", fluchte ich innerlich, aber umdrehen wollte ich nicht. Das wäre peinlich geworden. Also schnappte ich mir mein Handy und fragte Dr. Google um Rat. „Nächster Laden in zwei Kilometern." Na super. Bei dem Wetter auch noch auf Wanderschaft gehen. Ich hatte mir meinen Samstag eigentlich anders vorgestellt. Genervt lief ich immer weiter die Straße hinunter. Jedes Haus hatte einen eigenen Vorgarten. Es erinnerte mich ein bisschen an mein Zuhause, aber im nächsten Moment fiel mir ein, dass es hier ganz anders war. Kein Meer. Keine Strände. Nur Häuser und ab und zu ein paar kleine Seen oder Teiche. Endlich hatte ich den Laden erreicht. Er war klein, aber ich fand alle Sachen, die ich kaufen wollte. Mit vollgepacktem Einkaufswagen stellte ich mich an die Kasse. Dank der Klimaanlage, war es hier drin wesentlich angenehmer, als draußen und das war auch gut so. „43,79€, bitte." Ich gab der Kassiererin einen Fünfzigeuroschein. Nachdem ich das Wechselgeld und den Kassenzettel entgegen genommen hatte, schob ich den Wagen nach draußen. Sorgfältig verstaute ich die gekauften Sachen in zwei große Einkaufsbeutel. „Na klasse und die darfst du jetzt noch zurück tragen." Ich stellte den Einkaufswagen zurück zu den anderen und machte mich auf den Heimweg. Schon an der Ausfahrt des Supermarktes riss der erste Henkel. Der Beutel fiel zu Boden und alles kullerte raus. „So ein Mist!", schrie ich und versuchte, alles wieder einzusammeln. Ich hockte mich hin und griff nach einer Tomate, die gerade davon rollen wollte. Plötzlich sah ich einen Schatten neben mir. „Kann man dir behilflich sein?" Ich sah nach oben und erblickte den Typen vom Gartenzaun. „Ähm, nein. Geht schon." Ich rappelte mich auf und sah ihn lächelnd an. „Ich bin mit dem Auto hier und könnte dich mit zurück nehmen." „Geht schon, danke." Ich wollte mich gerade rumdrehen und gehen, als der Typ nach meiner Hand griff. „Ich bin im Übrigen Chris und du?" „Ehh, Leo. Also eigentlich Leonie, aber alle nennen mich Leo." Ich zog meine Hand weg und sah ihn erneut an. „Kann ich dich jetzt mitnehmen oder nicht?" Ich lächelte ihn dankend an und nickte.

Das Leben ist eine IllusionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt