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Zeit verändert Menschen. Das, was anfangs noch Schmerz war, wandelt sich langsam zu Hass. Aber ich kann dich nicht hassen, Alec. Egal, wie sehr ich es auch versuche. Egal, wie oft ich mir eingeredet habe, dich zu hassen. Für alles, was du getan hast. Für alles, was du bist. Letzten Endes habe ich mir jedes einzelne Mal bloß etwas vorgemacht. Ich hatte die Hoffnung meine trägen Gefühle verändern zu können, aber wie willst du einen Schmerz verstecken, der sich tief in deinem Inneren verankert hat? Was soll ich jetzt noch fühlen? Hassen kann ich dich wohl nicht, und lieben fühlt sich einfach nicht mehr richtig an. Stattdessen hinterlässt du eine unendliche Leere in mir, die sich nicht füllen lässt. Ist "fühlen" überhaupt noch richtig, oder eine überflüssige Reaktion unseres Gehirns auf die Handlungen der Personen, die uns einst wichtig waren - wichtig sind?

Gefühle verwirren mich. Sie kommen und gehen, ob du sie darum gebeten hast, oder nicht. Sie schleichen sich an und zwingen dich so lange in deine zerbrechlichen Knie, bis sie dich genug damit gefoltert haben. Ich wünschte ich könnte nicht mehr fühlen. Denn das einzige Gefühl, das ich jetzt noch kenne, ist das meines stockenden und krampfhaften Atems, wenn dein Name fällt. Das Gefühl tausender Rasierklingen, die zeitgleich mein Herz durchbohren. Doch wer hätte je damit gerechnet, dass es so kommen würde?

Ich fühle mich so schwach, Alec. Tag für Tag vergeht jede einzelne Sekunde wie eine Ewigkeit, fühlt sich so an, als würde die Zeit still stehen. Sie bleibt stehen im Hier und Jetzt, einem Ort, den ich nicht mehr sehen kann. Wenn ich doch nur wüsste, wo du jetzt bist.  Ich hätte dich gebraucht, hätte dich unterstützt, wie du es auch immer getan hast. Aber du hast mich verlassen. Und ich weiß nicht, ob ich die Schuld daran trage. War ich nicht gut genug für dich? Alles, was mir jetzt noch von dir bleibt, sind bloße Erinnerungen - und selbst diese können vergänglich sein. Meine Gedanken sind jedes Mal bei dir, wenn ich dieses gottverdammte Haus verlasse. Die vier Wände, die mich unausweichlich an dich erinnern - uns.

Diese Welt wandelt sich. Sie wird immer mehr zu dem Ort, als welchen du sie beschrieben hast. Wenn ich durch die Straßen laufe, streifen meine Blicke die hektischen Gesichter zahlreicher müder Menschen. Gesprächsfetzen dringen in mein Ohr, vollkommen zusammenhangslos, und doch verstehe ich mehr, als ich mir je erträumt hätte. Ich gehöre nirgendwo mehr hin, Alec. Sie starren mich an, fangen an zu sprechen, reden über Dinge, die sie nichts angehen, die sie nicht verstehen. Ich bin zu einem lebenden Schauspiel geworden. Zu einer lebenden Marionette, geführt von ihrem verdorbenen Inneren - ihren Dämonen.

Warum ich sie Dämonen nenne? Nun, wie soll man etwas bezeichnen, das vollkommene Kontrolle über einen hat, obwohl man sich trotzdem mit Händen und Füßen dagegen wehrt? Etwas, das gleichzeitig nicht verschwinden will. Verschwinden, so wie du. Versteh mich nicht falsch. Noch nie zuvor hat mich jemand glücklicher machen können, wie du es geschafft hast. Doch als du gegangen bist, ging ebenso ein Teil meiner Seele verloren. Vielleicht ist das auch der Grund dafür, dass ich mich so kraftlos fühle. Weißt du noch, wie wir an diesem Abend gemeinsam auf dem Dach des kleinen Parkhauses am äußersten Stadtrand saßen, um den Sonnenuntergang in seiner vollkommenen Schönheit betrachten zu können? Du hast mir erzählt, wie viel ich dir bedeutete. Mich liebevoll an dich herangezogen und deine Lippen sanft auf meine gelegt, während du mir spielerisch durch meine Haare streiftest. Damals hast du mir noch mit freudiger Stimme von deinen großen Plänen berichtet und ich habe es geliebt dir zuzuhören. Nicht, weil es mich so sonderlich interessiert hat, sondern weil ich den Klang deiner Stimme schätzte. Und weißt du, was das Traurige daran ist? Eben dieser Klang verstummte an dem Tag, an dem du fort gingst. Ich sehne mich nach deiner Stimme. Besonders weil ich weiß, dass ich nie wieder in der Lage sein werde, sie zu hören. War es das wirklich wert, Alec?

Lucia

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⏰ Last updated: Jun 07, 2016 ⏰

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Wenn Sterne verglühenWhere stories live. Discover now