Kapitel 2

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Es war Herbst geworden und der kühle Wind ließ die Blätter rascheln. Der Mond schien mit seinem Licht durch die Bäume und spielte mit der Dunkelheit. Ich bog in den Park ein und hörte den feinen Kies unter meinen Schuhen knirschen. Bäume säumten den Weg, welcher sich schlangenförmig durch die grüne Landschaft grub.

Zügig lief ich durch den fast menschenleeren Park, in Richtung meiner Wohnung. Ich freute mich unheimlich auf mein warmes, großes Bett und eine Tasse Schokolade. Grinsend stellte ich fest, dass sich manches eben nie ändern würde. Ich war noch nie der Mensch gewesen, der irgendwann anfing Kaffee, Cappuccino oder sonstige koffeinhaltige Getränke zu trinken, um sich in die neue, glänzende Erwachsenenwelt einzuleben.

Mit kalten Fingern versuchte ich die Tür zum Haus meiner Wohnung aufzuschließen. Meine Eltern besaßen ein dreistöckiges Haus, in welchem sie das Erdgeschoss bewohnten. Das Dachgeschoss gehörte voll und ganz mir, sodass ich mich wunderbar farblich aber auch einrichtungsmäßig austoben konnte. Ich lief die Treppen zu meiner Wohnung hinauf und hob ein paar Briefumschläge von dem Türvorleger auf.

Seufzend schloss ich die Tür hinter mir und hängte meinen Mantel an die neue Garderobe. Meinen Schlüsselbund und die Briefe legte ich in die kleine Schale direkt daneben. Ich hatte sie erst vor einigen Tagen, in einem kleinen Laden neben dem Park, gekauft. Sie war aus buntem Perlmuttglas und glänzte, sobald etwas Licht auf sie fiel, in den undenkbarsten Farben.

Nur durch Zufall war mir das Gebäude aufgefallen. Eine ältere Dame führte es schon seit einiger Zeit wieder. Sie hatte mir erzählt, dass es seit Generationen in ihrer Familie lag. Doch damals, als sie noch jünger war, konnte sie sich nicht dafür begeistern. Ihr stand mehr der Sinn danach, in der Welt zu reisen und Neues zu entdecken. Ihre Neugierde zog sie bis in die entlegensten Ecken dieser Erde, in denen sie immer mehr neue, kleine wertvolle Gegenstände fand. Sie brachte immer mehr Souvenirs mit und irgendwann, beschloss sie diese zu verkaufen und mit anderen zu teilen. Die Wände ihres Ladens waren mit hellen Farben gestrichen und harmonierten wunderbar mit den hellen Holzmöbeln, die in dem großen Raum verteilt standen. Auf ihnen lagen die kleinen Wertgegenstände, als warteten sie nur darauf ihre Geschichte zu erzählen. Jedes einzelne, seine eigene.

Ich stand in der Küche und machte mir eine heiße Schokolade, bevor ich mich in meinen riesigen Sessel fallen ließ und aus dem Fenster sah. Mein Handy fing an aufzuleuchten und zeigte Emilys Nummer an. Eigentlich hatte ich keinerlei Lust an mein Telefon zu gehen und zu hören, welchen Typen sie wieder klar gemacht hatte. Ein weiterer Strich auf ihrer langen Liste. Ein weiterer Eintrag, in ihr orange-gelbes Buch. Und ein weiteres Mal, eine Bestätigung für sie. Aber, so war sie. Emily war einfach so. Grinsend schüttelte ich den Kopf und hob ab.

„Elena? Hör mal, echt dumm von dir, einfach zu gehen, ohne mir Bescheid zu geben! Aber noch dümmer, dir diese Gelegenheit entgehen zulassen. Ich hab jetzt nicht nur dieses Typen an der Angel, nein, sogar noch drei Freunde von ihm. Und wo bist du?",säuselte sie leicht angeschwipst ins Telefon.

„Ist ja gut. Ich war so müde plötzlich. Aber dann, viel Spaß, meine Liebe. Lass nichts anbrennen!", log ich.

Manchmal hasste ich mich dafür, dass ich nicht sagte, was mir gerade durch den Kopf ging. Stattdessen äußerte ich das, was mein Gegenüber hören wollte.

„Nein, meine Liebe. So schnell wirst du uns nicht los! Du sollst ihn endlich vergessen und die Welt kennenlernen. Du bewegst jetzt deinen hübschen Hintern wieder her oder wir kommen vorbei.", kicherte sie betrunken vor sich hin.

Er. Ein kleiner Stich durchfuhr mich. Sie hatte etwas angesprochen, dass ich bereits vergessen hatte. Vergessen ist vielleicht der falsche Ausdruck dafür. Verdrängt passte eher. In einer kleinen Kiste verschlossen und in die hinterste Ecke gesteckt, wo diese nun verstaubte.

„Ich weiß. Herzlichen Dank für die Erinnerung! Ich werde jetzt auflegen und du gehst besser nach Hause. Melde dich morgen bei mir, wenn du wieder nüchtern bist!", obwohl ich es nicht wollte, klang meine Stimme zittrig.

Ich legte das Telefon auf den Tisch neben mir und lehnte meinen Kopf mit geschlossenen Augen gegen die Sessellehne. Meine Gedanken kreisten nur so um sich, während ich versuchte, sie wieder einzusammeln und zu ordnen. Mir kam der Tag wieder in den Sinn, an dem Jacob kurz angebunden schrieb:

„Hast du Zeit? Ich komm kurz vorbei.".

Ich hatte ein seltsames Gefühl in der Magengegend, dass ich bisher nur kannte, wenn es auf Prüfungen zuging. Aber ich musste auch nicht viel mehr nachdenken, um zu merken was er wollte. Seit Wochen lief es schon nicht mehr in unserer Beziehung. Er meldete sich nur sporadisch und ging lieber feiern. Von Freunden bekam ich immer mit, wo er wieder war, ohne nachzufragen. Er liebte es von anderen Frauen Bestätigung zu bekommen und der Hahn im Korb zu sein. Einige Male hatte ich bereits mit dem Gedanken gespielt, mich von ihm zu trennen. Doch nie hatte ich den Mut dazu gehabt. Irgendwie hing ich an ihm, konnte nur nie genau beschreiben, wieso oder warum. Es war so lächerlich, dabei zuzusehen, wie diese Beziehung kaputt ging. Wenn man das Ganze, so überhaupt nennen konnte.

Ich wusste genau was er zu sagen hatte, sobald er hier war. Deshalb wollte ich nicht, dass er kam. Nicht weil ich es nicht wahr haben wollte. Nein, im Gegenteil, diesmal war ich erleichtert, ja sogar froh, dass er den Schritt übernahm. Mal wieder. Ich wollte nur nicht, dass er es vor mir aussprach. Ich wollte diesen Satz nicht schon wieder hören, wie zweimal zuvor. Ich wollte nicht, die gleichen Worte mit dem gleichen mitleidigen Ton hören. Wörter, die so typisch für diese Situation sind. Wörter, bei denen ich mir nie sicher war, ob er wenigstens diese so meinte und es ihm wirklich leid tat, mich so verletzt zu sehen.

Kurz schrieb ich ihm deshalb nur: 

„Ist schon okay. Du brauchst nicht vorbei kommen, nur um es zu sagen!". 

Doch er war stur und wollte es mir unbedingt erklären. Nach einiger Zeit stand er vor meiner Haustür und wartete in seinem Auto auf mich. Still setzte ich mich zu ihm und wartete, während ich gerade vor mich hinstarrte.

Wir schwiegen uns beide an, bis ich die Stille durchbrach.

„Und, was möchtest du erklären?", ich war überrascht wie eisig meine Stimme klang. Sie war voller Enttäuschung.

Er strich über sein Lenkrad, an dem er sich festhielt.

„Ich wollte mich entschuldigen. Es tut mir wirklich leid. Ehrlich ... ", stammelte er unsicher vor sich hin. Sein Blick war immer noch verlegen nach außen gerichtet.

„Oh, okay. Es tut dir Leid. Wirklich? Weißt du, davon hab ich aber nichts. Das letzte Mal, hast du versprochen, es wird besser. Du gibst dir Mühe! Aber wo? Wo hast du dir Mühe gegeben? Sich acht Wochen nicht zu sehen und dauernd hinter anderen Frauen her zu sein? Meinst du, das fördert eine Beziehung? ", fragend sah ich ihn direkt an. Er konnte meinen Blick nicht erwidern und schlug einmal gegen das Lenkrad und verschränkte die Arme vor sich.

„Ich habe gesagt, ich versuch es. Was kann ich dafür. Es tut mir doch Leid.", verzweifelt sah er mir in die Augen, doch konnte den Blick nicht lange stand halten. Er sah den Schmerz und die Wut auf ihn, die er verursacht hatte. Wütend liefen mir Tränen die Wange herunter. Sauer wischte ich sie weg. Ich wollte nicht weinen und schon gar nicht vor ihm. Er sollte nicht sehen, wie sehr es mich verletzte, dass er sein Versprechen, mal wieder, nicht gehalten hatte. Ich hatte ihm vertraut, obwohl ich genau wusste, dass er sich nicht geändert hatte. Zumindest nicht für mich.

Er zögerte, als wollte er mich in dem Arm nehmen, sei sich aber nicht sicher. Kopfschüttelnd öffnete ich die Tür und stieg aus. Mit Schwung ließ ich die Tür ins Schloss fallen und atmete einmal tief durch. Die kühle Abendluft legte sich auf meine nassen Wangen und prickelte auf meiner Haut. Ich lief zu meiner Haustür und direkt in die Wohnung. Leise schloss ich diese hinter mir und legte mich in mein Bett. Wie ein Embryo lag ich dort, ohne mich zu bewegen. Die Beine zum Bauch herangezogen und starrte die helle Wand an. Tränen liefen mir mein Gesicht herunter, doch sie störten mich nicht.

Doch das war nun schon Monate her. Ich hatte zwar noch immer nicht das Bedürfnis auf eine neue Beziehung oder darauf einen Mann kennen zulernen, aber Emily ließ nicht locker, mich zu verkuppeln. Wenigstens taten diese Erinnerungen mit der Zeit immer weniger weh.    

Die NarzisstinWhere stories live. Discover now