Kapitel 1

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Sekunden reichen uns und die gesamten Perspektiven des eigenen Lebens verschieben sich. Unsere Wünsche, Träume, ja selbst unsere tiefsten Ängste ergeben eine neue Basis, unseres bisher geführten Lebens. Der Wichtigste Punkt verändert sich und alles geht in eine neue Richtung. Ein Weg, den wir neu bestreiten müssen, um das Ziel zu erreichen. Diese Sekunden nennen wir Augenblick. Aus diesen Augenblicken bauen wir Erinnerungen. Sie prägen uns und formen den Menschen, der wir am Ende sind. Es sind gute und schlechte Augenblicke, dennoch lernen wir aus jedem eine Lektion. Sie lassen uns reifen und irgendwann sehen wir lächelnd auf unsere Vergangenheit zurück und erkennen, dass wir alles richtig gemacht haben, selbst wenn der Weg ein anderer ist, als den, den wir eigentlich gehen wollten.

Unsicher betrat ich nach meiner Freundin Emily die Bar. Laute Musik und vibrierende Bässe umhüllten uns, als der dicke rote Vorhang zu schwang. Selbstbewusst bahnte sich Emily den Weg zur Bar, durch die tanzende Menge. Dunkle schemenhafte Gestalten bewegten ihre Körper rhythmisch im Beat der Musik. Ab und an erhellte ein bunter Lichtstrahl die Decke und verschwand in dem endlosen Getümmel zu meinen beiden Seiten.

„Zwei Martini, Morten. Und vergiss bloß nicht wieder die Oliven, Darling!", rief Emily laut dem Barkeeper zu, während sie sich über die Theke beugte und sich eine lockige braune Strähne verspielt um den Finger wickelte.

Morten sah prüfend in Richtung der Stimme und schickte ein kühles Lächeln hin, bevor er sich an die Drinks machte.

„Du musst selbstbewusst wirken, Schätzchen. Dann hast du sie alle in der Hand. Elena, wir leben im 21. Jahrhundert. Wir sind jetzt an der Macht und können machen, was wir wollen. Schau dir nur den Barkeeper an. Er frisst mir wie aus dem Händchen. Letzte Woche habe ich ihn solange um den Finger gewickelt, bis er mir einen Drink nach dem anderen ausgegeben hat. Es ist so leicht und du machst es dir so schwer, Liebling. Männer stehen da absolut drauf, wenn man die unnahbare Frau mimt. Glaub mir, Schätzchen, ich weiß wovon ich rede. Wir wollen doch alle nur etwas Spaß haben, nicht?", sie zwinkerte mir verschwörerisch zu und wandte sich zu Morten.

„Danke, Schätzchen, du bist der Beste!", sie formte einen Kussmund und blinzelte mit ihren langen Wimpern. Lächelnd nippte sie an ihrem Drink und fuhr sich langsam mit der Zunge über die Lippen.

Emily hatte leicht reden. Sie war schlank, hatte aber an den richtigen Stellen genug Kurven, dass es sexy wirkte. Ihre lockigen Haare fielen immer durcheinander in das Gesicht und ließen sie frech und unschuldig zugleich wirken. Durch ihre langen Wimpern und den vollen Lippen, brauchte es nicht viel an Make-Up um perfekt gestylt für den Abend zu sein. Sie liebte es, sich in Szene zu setzten und die Aufmerksamkeit der Männer auf sich zu lenken.

Ich fragte mich, wieso ich mich nochmal überreden lassen hatte, heute Abend mit ihr weg zugehen. Gedankenverloren rührte ich in meinem Martini und spielte mit der Olive. Ich war eigentlich gar nicht in Laune gewesen, feiern zu gehen. Lieber wollte ich mich daheim auf meiner Couch verkriechen und nichts tun. Vielleicht einen guten Film oder ein Buch, ja selbst nur dazu liegen und Musik zu hören, wäre mir jetzt lieber gewesen, als an der Bar zu sitzen.

„Da schau, den schnapp ich mir! Sieh zu und lerne, meine kleine Elena.", grinsend deutete sie auf einen jungen Mann, welcher gerade den Club betreten hatte. Er schaute gelangweilt über die Menge und ging in Richtung Treppe, die zur Lounge führte.

Ehe ich mich versah, war Emily auch schon in die tanzende Meute geschlüpft und darin verschwunden.

„Ja super, geh nur. Ist schon okay!", grummelte ich und drehte mich wieder in Richtung der Bar.

„Nicht jeder Mann denkt so wie deine Freundin. Ein anständiges Mädel reicht uns auch vollkommen.", Morten stellte mir lächelnd einen weiteren Drink hin.

„Meinst du? Schau sie dir doch an. Alle tanzen nach ihrer Nase. Sie wickelt euch Männer so schnell um den Finger und ihr springt darauf direkt an. Wenn man schüchtern ist, fällt man euch doch nicht auf.", seufzend nahm ich das Getränk dankend an und trank einen großen Schluck.

„Kleines Mädchen, denk nicht immer so von uns. Glaub mir, deine Freundin ist vielleicht für den Moment ganz toll und interessant. Aber wer will jemanden, der wie ein Schmetterling überall hin will, um Aufmerksamkeit zu bekommen?". Mit dieser Frage ließ er mich an der Bar stehen und trug die benutzten Gläser weg.

Ob es wirklich so war, wie Morten beschrieb? Den Eindruck hatte ich bisher noch nicht gewonnen. Gedankenverloren kramte ich in meiner Handtasche und holte zwei zerknitterte Scheine heraus. Ich legte sie neben mein Getränk und begab mich wieder zum Ausgang. Als ich durch den Vorhang hinaus trat, zog ich den Kragen meines Mantels höher und lief los.

Die NarzisstinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt