Chapter One

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Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn. Ob es in der Zwischenzeit vielleicht schon längst wegen Unterernährung verreckt ist, schließt das Sprichwort natürlich nicht mit ein. Typisch, solche Redewendungen mussten ja immer positiv sein. Für jemanden, dessen Glas in den meisten Fällen ganz deutlich halb leer war, ein echtes Kreuz. Darüber konnte man sich übrigens ganz hervorragend aufregen. Genau wie über leider überdurchschnittlich unterbelichtete Menschen, selbige, die an der Bushaltestelle stehen und erst anfangen ihr Kleingeld zu zählen, wenn der Bus längst da ist. Oder die Spezialisten, die beim Kauf ihrer quietschgelben Multifunktionsjacke mit eingearbeiteten Reflektionsstreifen jede Umkleidekabine blockieren, weil sie die Innentasche der zweiten Vliesschicht nicht finden, aber unbedingt wissen müssen, ob ihr wasserfestes Portemonnaie auch wirklich hineinpasst. Mindestens genauso grässlich: Leute, die mich fragten ob ich krank sei, was ich mir eingefangen hätte, ob ich verkatert sei und ich lediglich mit einem Nein, ich bin bloß ungeschminkt antworten konnte und-

»Schatz, ich bin jetzt weg, kannst du bitte noch das Katzenklo sauber machen?«

Obwohl ich eigentlich keinen Alkohol trank, war mir manchmal wirklich nach einer Flasche Wodka.

»Aber klar. Wann kommt Dad morgen zurück?«, rief ich zurück und hoffte, dass meine Mom mich noch hörte. Dank meiner Erkältung klang ich nämlich eher nach einer rostigen Kettensäge, als nach einem achtzehnjährigen Teenager mit massiven Minderwertigkeitskomplexen.

»Erst am Nachmittag«, kam die Antwort. Gut. Meine Kuchenbackpläne waren also noch realisierbar.

Ich warf noch einen schnellen Blick auf die Uhr, dann klappte ich das Laptop zu, stand vom Bett auf und schlüpfte in meine Sneaker. Mit Umhängetasche und Kopfhörern in den Ohren verließ ich kurz nach meiner Mom die Wohnung. Auf dem Weg vom dritten Stock nach unten grüßte ich Mrs. Hanson, die zugegebenermaßen ziemlich schräge alte Frau, die länger in dem Haus lebte, als ich mich erinnern konnte. Niemand wusste genau, wo sie herkam oder ob sie Familie hatte. Ihre leckeren Hefebrötchen verspeiste ich jedoch zu gerne. Im Flur machte ich kurz bei den Briefkästen halt und fischte stirnrunzelnd zwei Umschläge aus unserem heraus. Rechnungen. Ich schluckte und schob sie rasch ins Seitenfach meiner Tasche.


Die kleine Buchhandlung, in der ich vier Mal die Woche als Aushilfe arbeitete war nur wenige Straßen entfernt. Sobald ich die Tür öffnete und das leise Glöckchenklingeln ertönte, schlug mir der herrliche Geruch von Büchern und Ingwertee entgegen.

»Hallo Elizabeth«, begrüßte mich der Inhaber, Mr. Chesterfield mit seinem typischen, warmen Lächeln und sah mich über den Rand seiner Lesebrille gutmütig an. Schmunzelnd schüttelte ich den Kopf. Als ich begonnen hatte hier zu arbeiten, hatte ich in jeder freien Minute Stolz und Vorurteil verschlungen. Deshalb nannte er mich nicht bei meinem richtigen Namen und erinnerte mich so immer wieder an mein absolutes Lieblingsbuch. Im Unterschied zu Elizabeth fehlte mir aber leider eindeutig ein Mr.Darcy.

»Sind viele Bestellungen aufgesetzt worden?«, erkundigte ich mich, band mein Haar zurück und stellte meine Tasche hinten im Abstellraum ab.

»Oh ja, ein gewisser Eric Blaze hat eine ganze Reihe an Klassikern bestellt. Insgesamt zwölf Stück«, erwiderte er und trank einen Schluck Tee. Lächelnd bemerkte ich, dass an meinem Platz an der Rezeption schon eine Tasse mit dampfendem Inhalt stand. Ebenfalls Ingwertee, allerdings mit ein paar frischen Pfefferminzblättern darin. Ganz so wie ich es am liebsten mochte.

»Irgendwoher kenn ich den Namen Blaze«, murmelte ich verwirrt und nahm neben meinem Boss Platz.

Er reichte mir die Bestellungsliste und einen Zettel, auf dem er ordentlich aufgeschrieben hatte, welche der neu eingetroffenen Bücher ich noch in die Regale einsortieren sollte. Damit würde ich also den Abend verbringen. Obwohl der Job vielleicht klang wie der langweiligste Mist auf Erden, war ich gern hier. Es war wie eine kleine Urlaubsinsel von 40 Quadratmeter. Mr. Chesterfield war beinahe so etwas wie ein Großvater für mich und obwohl ich irgendwo anders eventuell etwas mehr verdienen würde, wollte ich die Arbeit hier nicht mehr missen.

»Na gut, dann lass ich dich mal allein. Heute muss ich pünktlich sein, Lauren macht Lasagne«, erklärte Mr. Chesterfield, trank seinen Tee aus und verstaute die Brille sorgfältig in ihrem Etui. Er verabschiedete sich mit einem herzlichen Lächeln und dann war ich allein. Seufzend lehnte ich mich zurück und öffnete die unterste Schublade des Schreibtisches und zog eine abgegriffene Ausgabe von Anna Karenina heraus. Bevor ich mich an die Arbeit machte konnte ich es mir nie verkneifen noch ein bisschen zu lesen.

Etliche Bücherstapel und zwei Stunden später war ich auch schon wieder vertieft in die tragische Welt von Anna und Wronskij.

»Beeindruckend zu sehen, wie Liebe die Menschen in den Selbstmord treibt, nicht wahr?«, erklang ganz plötzlich eine tiefe, männliche Stimme, auf eine seltsame Art und Weise samtweich und rau zugleich. Ich hatte nicht bemerkt, dass jemand herein gekommen war. Verlegen sah ich auf und legte das Buch schnell zur Seite.

Too DeepWaar verhalen tot leven komen. Ontdek het nu