Kapitel 13 - Gwens Sicht

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Letztendlich geweckt wurde ich nicht von Mary und nicht um 22.30 Uhr. Juan war es, der mich weckte. Um 20.23 Uhr.
"Gwen, wach auf und mach die Tür auf!", schallte es durch den Dunst des Halbschlafs zu mir durch. Stöhnend rollte ich mich auf die andere Seite und öffnete die Augen. Mary stand mit versteinerter Miene in der Nähe der Tür und hatte anscheinend nicht vor, Juan reinzulassen. Ein Seufzen unterdrückend quälte ich mich aus dem Bett und schob Mary zu ihrem Bett, wo sie sich so weit wie möglich von der Tür hinsetzte. "Er hat mich total erschreckt, ich dachte eines der anderen Mädchen steht vor der Tür." sie sprach leise und hatte anscheinend einen ihrer schwereren Momente.
Nachdem ich ihr noch einen letzten besorgten Blick geschenkt hatte, ging ich zur Tür und öffnete diese - zwar noch etwas verschlafen - jedoch so energisch, dass Juan mir, der gerade klopfen wollte, fast ein Veilchen verpasste. "Du hast mich geweckt. Nicht gerade angenehm." begrüßte ich ihn grimmig, während er mich skeptisch ansah, was wohl an meinem noch etwas zerknauschten Gesicht und meiner Kisssnfrisur lag. "Jaja, starren kannst du wann anders, ich weiß, ich sehe scheiße aus, was willst du?" Ich kniff die Augen zusammen und sah ihn auf meine nicht gerade freundlichste Weise an.
"Ich hätte dich ja gerne angenehmer geweckt, doch noch bevor ich auch nur einen Schritt in euer hübsches Zimmer setzen konnte, hat Mary mir die Tür vor der Nase zugeknallt." Juan blieb ganz sachlich. Ich warf einen Blick zurück ins Zimmer, wo Mary mich und vor allem Juan genau beobachtete. Nach kurzer Überlegung, schloss ich die Tür hinter mir. "Sie mag dich nicht besonders, tut mir leid, ist nicht deine Schuld, nimms also nicht persönlich." Ich lehnte mich Juan gegenüber an den Türrahmen meines Zimmers, die Arme vor meinem Oberkörper verschränkt.
"Also, was willst du?"
"Du musst aus Ausrede für mich herhalten, wieso ich nicht mit Ezra an die Bar kann."

Ein wirklich interessantes Anliegen, mit dem Juan hier ankam, doch ich mochte seine 'Forderungen', sie waren immer so schön unkompliziert. "Na wenn das alles ist. Was hast du ihm denn gesagt, was du machst oder eher was denkt er was du machst, wenn du ihm gesagt hast du gehst zu mir." ich spielte damit darauf an, dass Ezra, unseren Wortwechsel im Bus bestimmt ebenso wie Mary, in den falschen Hals gekriegt hat.
"Du scheinst wohl ein ähnliches Problem wie ich gehabt zu haben. Er hat mir nicht verraten, was er denkt. Sein Grinsen konnte aber sowieso nichts Gutes bedeuten."
Ich verdrehte die Augen. Ezra war ganz sicher penetranter als Mary, weshalb ich fast schon Mitleid für Juan empfand, der sich mit ihm in Zimmer teilte.
"Okay und was willst du machen? In meinem Zimmer rumhängen können wir nicht, ich will Mary nicht aus ihrem eigenen Zimmer verjagen, bleibt euer Zimmer oder der Strand."
"Strand. Ezra hat gesagt alleine geht er nicht an die Bar." Ich nickte, um meine Zustimmung auszudrücken und klopfte anschließend an die Tür, damit Mary mich wieder rein ließ. "Okay, ich nehm nur schnell mein Handy mit und sag Mary bescheid." Diese öffnete in dem Moment die Tür einen Spalt breit, lugte kurz raus uns verschwand wieder von der Tür, als sie Juan erblickte. Immerhin ließ sie sie offen, sodass ich ins Zimmer konnte. "Sie gewöhnt sich schon noch an dich." mitleidig sah ich ihn an, denn es war sicher nicht so toll, wenn man so verängstigt von jemandem angesehen wurde ohne einen Grund dazu geliefert zu haben.
Im Zimmer schnappte ich mir mein Handy und kämmte mir nochmal durch die unordentlichen Haare.
"Ich bin mit Juan am Strand." teilte ich Mary mit, die mich so skeptisch ansah, wie vorhin, als wir vom Bus ins Zimmer gekommen waren. "Nachts. In trauter Zweisamkeit einen Spaziergang am Strand." Sie fügte nicht mal mehr etwas hinzu, da die Aussage selbst eigentlich deutlich genug war.
"Seh ich aus, als wäre ich ein blödes Klischee? Ich mag den Strand, ich mag die Nacht und-"
"Du magst Juan?"
Ich schnaubte "UND ich habe kein Problem mit Juan, dem ich etwas schulde." beendete ich meinen Satz so, wie ich es eigentlich vorgesehen hatte und ging nicht auf Marys Aussage und ihr Seufzen ein. Ich verstand nicht, wieso sie immer wieder damit ankam, obwohl sie sich doch eigentlich freuen sollte, dass ich antwortete, wie ich es tat, zumindest wenn man bedachte, wie sie auf ihn reagierte. Und trotzdem rollte sie das Thema immer wieder auf. Manchmal war Mary mir eben doch ein Rätsel.
Kopfschüttelnd öffnete ich die Tür und verließ mit einem "Bis dann" mein Zimmer.
Stumm lief ich neben Juan her die Treppe hinunter in die Lobby, die zu Juans Glück nur einen Tag lang gesperrt gewesen war. Dass wir, bis wir am Strand ankamen, kein einziges Wort miteinander wechselten, machte mir nichts aus und Juan hatte mit Stille sowieso keinerlei Probleme.
Der Strand war, wie auch das letzte Mal schon, als ich im dunklen hier gewesen war wunderschön durch Laternen und Lichterketten beleuchtet. Leicht lächelte ich bei diesem Anblick, was Juan zu merken schien. "So Lächeln solltest du öfter, steht dir gut", wiederholte Juan in etwa die Worte, die ich im Museum zu ihm sagte, als ich das erste Mal ein echtes Lächeln an ihm gesehen hatte.

Ich sah zu ihm, behielt das Lächeln dabei sogar bei. "Ich hab angenehme Gesellschaft und eine tolle Aussicht, also habe ich einen guten Grund so zu lächeln." Die ganze Situation gerade, ließ eine alte Erinnerungen in meinem Gedächtnis wieder aufleben.

Ungeduldig sah ich auf die Uhr, die über meinem Bett hing. 23.45 Uhr, viel länger wollte und konnte ich nicht mehr warten. Juan und ich hatten uns zwar für 00.15 am See verabredet, um die Sternschnuppen, von denen heute hunderte von Himmel fallen sollen, zu beobachten, doch ich hatte Angst, durch meine Unruhe am Ende noch jemanden zu wecken. Ein letztes Mal lauschte ich, ob auch wirklich Alles still in der Wohnung war. Doch sowohl im Zimmer meiner Mutter als auch in dem meiner Schwester rührte sich nichts. Die Luft war also rein. Da ich, um durch die Tür aus dem Haus zu gelangen, direkt an Mamas immer offener Tür hätte vorbei müssen, entschied ich mich für den Balkon.
Da wir im Erdgeschoss wohnten, befand sich dieser gerade einmal 20cm über dem Boden und verursachte mir somit auch keine Übelkeit, als ich über die Balkonbrüstung kletterte und lautlos draußen im Gras landete. Genauso lautlos lief ich durch die Straßen der Stadt, die 10 Minuten zum Haus von Juans Onkel. Dort brannte nur noch in einem Fenster schwaches Licht, in dem, das zu Juans Zimmer gehörte. Zuerst überlegte ich mir, einfach hier unten auf ihn zu warten, doch als ich die Regenrinne direkt neben seinem Fenster entdeckte, kam mir eine bessere und gleichzeitig dümmere Idee. Das Bessere überwog jedoch, meiner Meinung nach. Ich durfte nur nicht runtergucken. Meine Schuhe zog ich aus, da ich ohne sie besser klettern konnte. Sie würden hier unten brav auf mich warten. Geschickt bewegte ich mich die Regenrinne hinauf, wobei mein Puls und meine Atmung sich nicht aufgrund der Anstrengung beschleunigten, sondern wegen der Höhe, die ich bewusst verdrängte, weshalb ich ausschließlich das beleuchtete Fenster anstarrte, während ich kletterte. Ob man es als mutig oder als dämlich bezeichnen konnte, dass ich trotz meiner ausgeprägten Höhenangst hier hochkletterte, konnte gerne jeder für sich bestimmen. Am Fenster angekommen, sah ich Juan nicht. Er war wohl im Bad. Lange konnte ich hier jedoch nicht bleiben, da ich die Tatsache dass sich unter mir die Höhe eines ganzen Stockwerks befand, nicht ewig verdrängen konnte. Dass eines der zwei Fenster gekippt war, kam mir somit gerade recht. Ich kniete mich auf das Fensterbrett, behielt jedoch eine Hand weiter am Rohr, während ich die zweite durch den Schlitz des Fensters steckte, um den Griff des anderen zu drehen und es somit ganz zu öffnen. Nachdem ich zuerst fast nicht ran kam, probierte ich es aus einem anderen Winkel und schaffte es diesmal, trotz mittlerweile zitternder Hände. Okay, die Idee mir dem Hochklettern war doch blöd gewesen.
Sobald das Fenster offen war, stürzte ich mich ins Zimmer und blieb mir ausgebreiteten Gliedmaßen auf dem Teppich in der Mitte von diesem liegen. Stoßweise atmete ich zuerst tief ein, dann aus - immer wieder - froh, festen Boden unter den Füßen zu haben.
Gerade als ich mich wieder einigermaßen unter Kontrolle hatte, ging die Tür auf und Juan kam rein. Als er mich sah, zuckte er so stark zusammen, dass er wahrscheinlich gegen die Decke geknallt wäre, wäre das hier ein Comic. "Gwen, droga! Que diabos soll der Mist?! Willst du mich umbringen?" Es war das erste Mal, seit der Sache mit dem Fast-Kinderwagenunfall, dass ich Juan so aufgebracht sah, ohne dass sein Vater Thema war. Schuldbewusst stand ich auf und sah ihn entschuldigend an. "Tut mir leid, ich wollte dich nicht so erschrecken. Und du lebst ja noch." ich grinste unschuldig, was Juan schnauben ließ. Er schien sich jedoch schon wieder einigermaßen beruhigt zu haben. "Was machst du überhaupt schon hier? Wir hatten gesagt um viertel nach am See."
"Ich hatte keine Lust mehr zu warten."
Kopfschüttelnd strich Juan sich mit beiden Händen über das Gesicht. "Dieu, du bist unverbesserlich."
"Sag mir einfach dass wir durch die Tür und nicht durchs Fenster hier raus müssen." Wir sahen uns kurz an und brachen danach in prustendes, gezwungen unterdrücktes Gelächter aus.

Die Erinnerung an diese Frühsommernacht ließ mich grinsen. "Woran witziges denkst du denn?" fragte Juan nach, als er, aufmerksam wie immer, auch das bemerkte. "An die letzte Nacht in Frankreich, die wir gemeinsam verbracht haben", antwortete ich gedankenlos und erhielt dafür einen überraschten Blick von Juan. Als mir einige Sekunden später klar wurde, was ich da gesagt hatte, entkam mir ein kurzes "Oh..."
"Ja, das klang etwas falsch." Juan grinste lediglich.
"Ich meinte die, in der ich dir fast einen Herzinfarkt verpasst habe, weil ich durchs Fenster in dein Zimmer eingebrochen war." Juan schien sich ebenfalls zu erinnern, denn seine Augen leuchteten amüsiert auf und er lachte sogar kurz leise.
Als wir uns später in den Sand setzten, redeten wir das erste Mal so richtig über die Zeit von vor 5 Jahren und erinnerten uns an vergangene schöne, witzige oder dumme Momente. Irgendwie hatte ich, als ich mich an meiner Zimmertür wieder von Juan verabschiedete, kurz das Gefühl, als hätte es diese 5 Jahre dazwischen nie gegeben und ich stände wieder Juan, dem besten Freund, gegenüber.

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