Kapitel 3 - Gwens Sicht

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Ich war 12 Jahre alt und schob den Kinderwagen, in dem meine 2 Jahre alte Schwester fröhlich lachend saß, in einer Geschwindigkeit über den Bürgersteig der französischen Stadt Cean, die die Passanten verängstigt die Straßenseite wechseln ließ. Ich achtete jedoch nicht auf sie, sondern lachte mit meiner Schwester mit und beschleunigte noch ein wenig mehr, was mir durch die Inliner an meinen Füßen gut gelang. Ich hatte das Gefühl zu fliegen. Um die nächste Kurve schaffte ich es gerade mal so, doch das machte nichts, es klappte schließlich trotzdem. Als ich jedoch anschließend wieder nach vorne sah, sah ich direkt vor mir einen Jungen. Geschockt weiteren sich meine Augen kurz, ehe ich eine Sekunde später scharf bremste und den Kinderwagen zur Seite lenkte. Der Junge hatte mich ebenfalls erst später bemerkt und sah, als er mich wahrnahm, nicht minder überrascht aus. Dass ich ihn jedoch trotz meines schnellen Manövers nicht trotzdem umnietete, lag ausschließlich daran, dass er ebenfalls stark bremste und zur Seite auswich. Zum Glück sind da gerade keine Autos, dachte ich noch und hatte eine Hand auf meinem aufgrund des Schocks schnell schlagen dem Herzen liegen. Entschuldigend grinste ich den Jungen an.

"Sorry, du standest leider echt ungünstig." Meine Entschuldigung schien den Jungen nicht sonderlich zu beeindrucken. Er erwiderte darauf etwas, was ich zwar nicht verstand, weil es wohl kein Französisch war, was jedoch ziemlich unfreundlich klang. Naja, ich würde nicht behaupten, dass ich es nicht verdient hätte.
"Ich denke mal, egal was du gesagt hast, ich hab es verdient", sprach ich wie so oft aus, was ich dachte und blickte mit schiefgelegtem Kopf den Jungen an, der ungefähr so alt wie ich sein musste. Von einem lauten Kinderlachen, das aus dem Kinderwagen vor mir kam, wurde ich jedoch abgelenkt. Anscheinend fand meine kleine Schwester das ganze irre witzig, denn sie klatschte in die Hände und rief laut " Nochmal, nochmal!"
Grinsend lehnte ich mich an den Griff des Kinderwagens. "Ich glaube, der Junge da fand das nicht so witzig Kleine." sagte ich zu ihr und sah wieder zu besagtem Jungen. "Ich bin Gwendolyn, Gwen. Das ist Julia." stellte ich uns beide kurz vor und sah den Jungen neugierig an.
Dieser sah gerade belustigt zu Julia, ehe er seine Aufmerksamkeit mir schenkte, auch wenn er erst einmal nichts sagte und mich einfach musterte, was mich ungeduldig mein Gewicht von einem Bein aufs andere verlagern ließ.
"Mein vollständiger Name wäre zu lang, Juan reicht." antwortete er letztendlich doch noch. So konnte man auch neue Leute kennenlernen.

Seit dem Tag an waren einige Jahre vergangen und das merkte man nicht nur an meiner Persönlichkeit, die mittlerweile eindeutig nicht mehr so fröhlich offen jedem gegenüber war, sondern auch am Umgang Juan gegenüber. Ich konnte nun nämlich auch die Emotionen zuordnen, die ich vorhin nicht hatte richtig einordnen können. Obwohl unsere erste Begegnung eindeutig nicht so super war, wurden wir richtig gute Freunde und ich verbrachte unglaublich gern Zeit mit ihm, Julia war dann manchmal sogar auch mit dabei. Wir hatten Spaß, machten Unfug, was man als 12- und 13-jährige eben so anstellt. Als er mir dann erzählte, dass er bald auf irgendein Internat in Deutschland gehen würde, war ich am Boden zerstört. Ließ mir sowas jedoch schon damals nur teilweise anmerken. Meine Trauer verwandelte sich jedoch in Enttäuschung, als ich ihn nicht mehr erreichen konnte, egal wie oft ich es versuchte. Er war nicht nur einfach nicht mehr hier, er war komplett verschwunden und einen engen Freund, wenn nicht den besten zu verlieren, war niemals leicht.

Das war jedoch alles ganze 5 Jahre her. Als ich Juan also ans Ufer folgte und dort vor ihm stehen blieb, sah ich in ihm nur in Teilen den Jungen von damals. Er war ebenfalls noch distanzierter geworden, jedoch erkannte ich den Juan von damals sowohl in einigen seiner Gesichtszüge, die seit damals deutlich männlicher geworden war, als auch in manchen Worten und in seinem Verhalten.
Als ich mit dem Vorwurf kam, dass er den Kontakt damals komplett abgebrochen hatte, klang ich zwar keineswegs vorwurfsvoll, in meinem Inneren konnte ich jedoch beim Gedanken daran noch heute einen leichten Stich der Enttäuschung spüren. Seine Antwort ließ diesen jedoch ziemlich schnell verschwinden. Ich erinnerte mich noch deutlich an das, was er mir von deinem Vater erzählt hatte. Da war ich fast froh, meinen eigenen nicht zu kennen. "Die Entschuldigung lass ich mal gelten, wie du siehst habe ichs ja trotzdem überlebt." Mein linker Mundwinkel zuckte leicht, jedoch wurde es diesmal kein komplettes Lächeln oder Schmunzeln.

Do You Believe In Fate?Where stories live. Discover now