Prolog - Gwendolyns Sicht

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„Bonjour, Bambi. Du sollst mich doch Gwen nennen", erwiderte ich grinsend den Gruß meiner Zimmernachbarin und klappte die nervigen Hausaufgaben zu, genug gemacht fürs Erste. Man hörte während ich sprach deutlich meinen französischen Akzent heraus. Ich wurde in Paris geboren und hatte auch 13 Jahre meines Lebens in diesem Land verbracht, ehe ich mit meiner Mutter und meiner Schwester nach Deutschland gezogen bin. Deshalb klang ein 'ch' bei mir eher nach einem 'sch' und 'h's' sprach ich teilweise gar nicht aus. Dadurch klang der Satz eher wie 'Bonjour, Bambie, Du sollst misch doh Gwen nennen'. Dass wäre eigentlich kein Problem, doch dass so viele Deutsche diesen Akzent anscheinend 'süß' fanden, brachte mich manchmal wirklich auf die Palme.

Den Spitznamen Bambi hatte ich Mary gegeben, da sie mich mit ihrer Unsicherheit und ihren unschuldigen großen Augen an das ungeschickte, süße Rehkitz aus dem Disneyfilm erinnerte. Da sie nichts dagegen sagte und auch nicht so schien, als hätte sie etwas dagegen, ließ ich es mir, seit mir dieser Vergleich in den Sinn gekommen war, nicht nehmen, sie so zu nennen.

Mary lächelte leicht bei meinen Worten und setzte sich, ohne noch etwas zu sagen, neben mich. Wie erwähnt, sie war nicht besonders gesprächig.
"Was wolltest du eigentlich bei deinem Bruder?" Wenn sie geblieben wäre, hätte ich es ja noch logisch gefunden, doch sie war lediglich eine halbe Stunde später als ich hierher gekommen.
"Ich musste ihm einen Pulli klauen." Schüchtern lächelte sie mich an und ich zog ungläubig die rechte Augenbraue hoch. Der warme zu große Pulli den sie trug, fiel mir erst jetzt auf. Ich achtete nicht unbedingt darauf, wie andere Mädels sich anzogen, sie konnten schließlich tragen was sie wollten.
"Wir haben den 10. Juni und 24 Grad, wofür brauchst du einen Pulli?" ungläubig sah ich das zierliche Mädchen mit schief gelegtem Kopf an. Ich selbst saß hier in kurzen, schwarzen Shorts und weißem Top und sie trug einen Pulli.
Leicht zog Mary die Schultern hoch und sah auf ihre ineinander verschränkten Hände. "Naja, mir ist eben schnell kalt."
"Du solltest eindeutig mehr essen, du bist schließlich nur Haut und Knochen, da wäre mir auch dauernd kalt."
"Ich hab eben keinen Hunger."
An dieser Stelle beendete ich das Gespräch mit einem Seufzen und diskutierte nicht weiter. Warum? Weil wir dieses Thema in den 3 Monaten, in denen ich mir mit ihr ein Zimmer teilte, gefühlte tausend Mal hatten. Da verging irgendwann selbst mir die Motivation an einer Diskussion, doch die leichte Sorge um Mary, die ich mittlerweile sogar als Freundin bezeichnen würde, blieb. Anstatt also weiter darauf herumzuhacken, widmete ich mich einem viel spannenderem und erfreulicherem Thema. Der Klassenfahrt am Montag. Alle zehnten, elften und zwölften Klassen würden mit den Bernardinis - sie waren das Lehrerehepaar unserer Schule - Herrn Jacobs und Frau Feé für eine Woche nach Spanien ans Meer fahren.

"Ich hab Frau Feé übrigens dazu überredet, dass du mit mir auf ein Zimmer darfst. Dann bist du die einzige Zehntklässlerin, die die Ehre hat, das Zimmer mit einer coolen älteren Schülerin zu teilen." Frech grinsend sah ich meine Freundin an, die leise über meine Bemerkung lachte.
"Ich freu' mich schon", sagte sie mit ihrer leisen Stimme, während sie mich anlächelte.
Kritisch beäugte ich sie einen Augenblick, um sicher zu gehen, dass sie es ernst meinte und es nicht einfach nur sagte, weil sie nicht zur Last fallen wollte. Es schien jedoch ehrlich zu sein, weshalb ich ihr Lächeln kurz darauf erwiderte. Eigentlich war ich kein Fan von großer Hitze, wie man sie in Spanien vorfand. Man konnte durch sie nicht richtig trainieren, da man schwitzte wie Sau und fast einen Hitzschlag bekam. Wenn man dann wie ich jeden zweiten Tag über mehrere Stunden trainierte, wurde diese Hitze zur Folter, vor allem wenn man Hitze auch so schon nicht mochte. Hatte man jedoch das Meer direkt vor der Nase, war es etwas ganz anderes. Das kühle Nass war der perfekte Ausgleich zu den hohen Temperaturen. Ich war mir sicher, ich würde wahrscheinlich jede freie Minute in den türkisen Fluten verbringen.
"Gwen?"
"Oh, sorry ich hab nicht zugehört, was ist?" Ich war so ins Schwärmen geraten, dass ich Mary vollkommen ausgeblendet hatte.
"Du scheinst ihn Gedanken wohl schon am Strand zu liegen."
"Du hast mich erwischt, aber ich war noch nie am Meer, also wieso hast du mich aus meinen schönen Tagträumen gerissen?" während meine Stimme vorwurfsvoll klang, lag auf meinen Lippen ein schiefes Grinsen, das deutlich zeigte, dass es nur scherzhaft gemeint war. Mary erwiderte dieses Grinsen mit einem Schmunzeln.
"Ich habe nur gefragt, ob es ein von den Lehrern organisiertes Programm gibt?", wiederholte Mary geduldig ihre Frage.
Ich zuckte nur mit den Schultern. "Ich weiß nichts, ist aber bestimmt der Fall."
Anstatt noch etwas zu erwidern nickte Mary lediglich und widmete sich wieder ihrem Beistift und dem Zeichenblock. Sie war unglaublich begabt im Umgang mit Stiften und Farben. Mich faszinierten ihre schönen und realistischen Bilder aus diesem Grund immer wieder aufs Neue. So saßen wir noch eine ganze Weile da. Ich beobachtete, wie Marys Zeichnung von ihrem Pferd Gestalt annahm, während wir uns über lauter Belanglosigkeiten unterhielten.

Nach 3 Stunden trennten sich unsere Wege jedoch wieder. Während sie auf unser Zimmer ging, verschwand ich mit meiner Sporttasche in die etwas abseits stehende Sporthalle des Internats. In der Umkleide tauschte ich meine schwarzen Shorts gegen dunkelrote Sportshorts und mein Top gegen einen Sport-BH. Meine Haare band ich zu einem hohen Pferdeschwanz zusammen. Nach mehreren Runden durch die Halle und ein paar Aufwärmübungen, begann ich mit dem richtigen Training. Mit 6 Jahren hatte ich angefangen zwei Mal die Woche die Kampfsportschule zu besuchen. Aus 2 Stunden an 2 Tagen die Woche wurden 2-3 Stunden an 4 Tagen und ich spezialisierte mich auf Judo, Krav Maga sowie Kickboxen, also das Rundumprogramm. Ich war Feuer und Flamme gewesen. Der Kampfsport schien mir fast schon im Blut zu liegen und ich war heute so gut, dass ich bereits einmal den Landesmeistertitel ergattert hatte. Auch, wenn ich nun nicht mehr meine frühere Kampfsportschule besuchen konnte, so gab ich das Training deshalb lange nicht auf. Schließlich war ich mittlerweile gut genug, um alleine trainieren zu können. Um 20 Uhr ließ ich mich letztendlich verschwitzt auf eine der Matten fallen und wartete, bis mein Atem sich beruhigte. Dieses Gefühl nach dem Training war wie ein Rausch. Das Adrenalin rauschte noch durch meinen Körper und alle Muskeln im Körper kribbelten sowohl vor Erschöpfung als auch vor Energie. Es war ein Hochgefühl, das mir das Gefühl gab, stark und unbesiegbar zu sein. Es gab mir das Gefühl, alles erreichen zu können, wenn ich mein Ziel vor Augen hatte und es zeigte mir, dass ich etwas geleistet hatte.
Nachdem mein Atem sich wieder beruhigt hatte, lief ich gemächlich zurück auf mein Zimmer. 2 meiner 3 Zimmernachbarinnen befanden sich bereits in diesem, als ich die Tür aufschloss. Eine davon war Mary, die auf ihrem Bett saß und augenscheinlich Hausaufgaben machte, während Linneá mit Kopfhörern in den Ohren bäuchlings auf ihrem Bett lag und im Internet surfte. Ich hielt mich nicht lange mit ihnen auf und machte mich lediglich durch ein kurzes "Bin duschen", bemerkbar. Meine leere Sporttasche schmiss ich in den Schrank, meine Kleidung in den Wäschekorb und mich selbst in die Dusche, wo ich den Schweiß von mir abwusch und meine Muskeln durch das warme Wasser entspannte.
Nach 30 Minuten verließ ich zusammen mit einer Dampfwolke, die dem heißen Wasser zu verdanken war, das Bad. Ich hätte eigentlich nur halb so lange gebraucht, da ich 15 Minuten einfach nur tatenlos unter der Dusche gestanden und das heiße Wasser genossen hatte, das auf mich niedergeprasselt war.
In meinen Schlafsachen, bestehend aus einer blau-weiß karierten Shorts und einem blauen Top, verließ ich das Bad, während ich mir mit dem Handtuch die Haare trockenrubbelte. So trocken es eben ging zumindest, denn sie hingen mir danach immer noch ziemlich feucht auf den Schultern, tropften aber immerhin nicht mehr. Hannah, das letzte von den 3 Mädchen, mit denen ich mir ein Zimmer teilte, war mittlerweile ebenfalls eingetrudelt und lag mit ihrem Handy im Bett. Als sie jedoch sah, dass das Bad nun frei war, lief sie stumm an mir vorbei in dieses und schloss die Tür ab. Wir beide hatten kein wirklich gutes Verhältnis. Meistens schwiegen wir uns einfach nur an, wie man ja gerade so schön mitbekommen hatte. Mir sollte es recht sein, ich zwang keinen mich zu mögen. Ich mochte ja auch nicht jeden.
Entspannt schmiss ich mich auf mein Bett, welches das obere des linken Hochbettes war. Unter mir lag Mary bereits in ihrem Bett und zeichnete wieder mal, während sie leise vor sich hin summte, wobei ich es nur dadurch hörte, dass ich direkt an ihr vorbei gelaufen war.
Ich hatte mir zuerst überlegt ein Buch weiter zu lesen, verwarf den Gedanken jedoch ziemlich schnell wieder, da mir die Augen bereits nach den ersten paar Sätzen zu fielen. Das Training hatte mich ausgelaugt und dadurch, dass ich gestern noch auf die grandiose Idee gekommen war, bis um halb 4 mit meiner besten Freundin Sophie zu Skypen, die leider nicht auf das Internat ging, war ich jetzt schon total fertig, obwohl es nicht mal 10 war. Deshalb wunderte es mich auch nicht, dass ich, kaum dass ich die Augen schloss, bereits nach 5 Minuten einschlief.

Die nächsten 3 Tage verliefen ziemlich ereignislos. Naja, fast. Am Samstag hätte ich mir fast eine Prügelei mit Aiden, dem größten Schläger der Schule, geliefert. Er meinte mich anschnauzen und mir drohen zu müssen, weil ich auf 'seiner Bank' saß. Das ließ ich mir natürlich nicht gefallen. Für wen hielt der Kerl sich eigentlich? Der einzige Grund, weshalb es nicht eskalierte, waren Herr Jacobs und und Frau Feé, die zufällig gerade vorbei kamen und die Sache regelten. Dass ich mich im Nachhinein darüber freute, dass es nicht zu einer Schlägerei gekommen war, lag nicht daran, dass ich Angst vor diesem Arschloch hatte. Niemals. Es lag daran, dass es ziemlich wahrscheinlich war, dass man uns beide von der Reise nach Spanien ausgeschlossen hätte und wer blieb schon gern an der Schule, während alle anderen in Spanien am Strand lagen?
Sonst hatte es jedoch keinerlei Probleme mehr geben. Ich hatte es sogar geschafft, meinen Koffer pünktlich zu packen. Genau genommen stand er bereits seit Samstag gepackt neben meinem Bett. Es konnte also nichts mehr schief gehen.

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