Kapitel 1.

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"Skylar?", ertönte eine tiefe Stimme von draußen. Ich liebte es, wenn er meinen Namen aussprach. So schwungvoll und sanft. Doch ich war nicht glücklich. Ganz und gar nicht. Es würde das letzte Mal sein, dass er das tat.

Ich drehte mich vom Fenster, an dem ich bis eben noch gestanden hatte weg und lief durch meine geöffnete Zimmertür in den kühlen Flur hinaus. Die Haustür im unteren Stockwerk stand offen und ich lief zur Treppe. Elegant schwang ich ein Bein übers Geländer, danach das andere. So rutschte ich die spiralförmige Treppe hinunter, bis ich am Ende absprang und mit den Füßen auf dem kalten Fliesenboden aufkam.

Wir hatten tatsächlich eine spiralförmige Treppe, so wie man sie früher immer gehabt hatte. Man konnte darauf einfach durchrutschen und das liebte ich an ihr.

Das Haus in dem ich zusammen mit meiner Mutter und meiner kleinen Schwester lebte, war grundsätzlich schon sehr alt.

Verschörkelte Muster zierten das Treppengeländer aus dunklem Buchenholz. Der alte Kamin in der Küche war bei diesen kühlen Frühlingstemperaturen ständig am Laufen. Doch es störte mich nicht, dass das Haus so alt war. Ganz im Gegenteil: Es hatte vorher meiner Urgroßmutter gehört, die aber leider vor ein paar Jahren an Krebs erkrankte und das Haus meiner Mutter vererbte.

Sie war davon anfangs alles andere als begeistert gewesen und hatte trotz Kylas und meinen ständigen Versuchen, sie davon abzuhalten, nach Käufern oder Mietern gesucht. Letztendlich meldete sich aber niemand, der das Haus kaufen wollte. Und meine Großmutter hatte darauf bestanden, dass wir in das Haus ziehen sollten.

Meine kleine Schwester Kyla hatte dieses Haus anfangs sehr unheimlich gefunden. Es war riesig und besaß so viele unbewohnte Räume. Doch ich liebte das Haus. Schon als Kind hatte ich hier mit meiner Cousine verstecken gespielt, oder wir waren auf den Speichern gegangen, um alte Sachen meiner Urgroßmutter zu suchen.

"Sky, jetzt komm!", hörte ich ihn wieder rufen, diesmal ungeduldiger. Ich drehte mich um und lief ohne Schuhe durch die offen stehende Tür nach draußen. Kühle Luft umgab mich sofort. Als wäre ich ein Magnet, der sie anzieht.

Ich lächelte, als ich ihn sah. Jasper stand in der Aprilsonne, in der einen Hand einen Schwamm voll Schaum und Wasser, mit der anderen stützte er sich an unserem Auto ab.
"Wäschst du jetzt neuerdings auch noch Autos?!", fragte ich lachend als ich ihn so sah. Seine hell-blonden, fast weißen Haare scheinen in der Sonne zu glitzern und ich spürte das Verlangen danach, sie mit der Hand zu zerstrubbeln.

"Ich helfe euch jedenfalls...", murmlete er grinsend und senkte den Blick wieder auf das ebenfalls in der Sonne schimmernde Metall des Autos. Sein Blick verriet mehr über sich, als es ihm lieb war. Ich konnte an seinem Augen und an der Art, wie er sich hielt sofort ablesen, wie es ihm ging.

Jaspers sonst so strahlende, fröhliche grüne Augen glänzten matt und freudlos. Sein gesenkter Oberkörper verriet, dass er traurig war. Ich wusste genau warum, weshalb ich ihm nicht drauf ansprach. Er war nicht oft traurig, doch wenn er es war, dann war es schon ein Grund zum traurig sein.

Vor einer Woche hatten wir uns getrennt. Und das ganz plötzlich. Nachdem meine Mutter mir verraten hatte, dass wir umziehen würden, aufgrund ihres Jobs, redete ich noch am selben Tag mit Jasper darüber. Zu diesem Zeitpunkt waren wir schon 2 Jahre zusammen gewesen. Und das war ziemlich viel, wenn man erst 15 war.

Wir waren uns beide nicht sicher, ob eine Fernsbeziehung stand halten würde. Er hatte gleich gemeint, dass er es nicht ertragen könne, mit dieser Distanz zu leben. In eine andere Stadt zu ziehen wäre eine Sache, doch in ein anderes Land zu ziehen, wäre nochmal eine ganz andere Sache, hatte er gemeint. Und ich konnte ihn ja verstehen.

"Man Sky...", kam es plötzlich hervor von ihm. "Ich schaff' das nicht ohne dich." Ich sah ihm in die Augen. Tränen kullerten über seine Wangen. Langsam zog er mich in eine Umarmung. Sein Herzklopfen war schneller als gewöhnlich und er zitterte etwas.
"Du schaffst das schon...", murmelte ich in seine Schulter hinein. Als wir uns lösten, waren seine Augen ganz glasig.

"Hallo Jasper!", hörte ich die Stimme meiner Mutter von hinten. "Wie schön, dass du nochmal her kommst." Ich Blick fiel auf das Auto. "Das hättest du doch nicht waschen müssen!"
Jasper zwang sich ein Lächeln auf. "Hab ich gern gemacht."

Meine Mutter mochte ihn wirklich gerne. Sie hatte immer gemeint, was für ein toller Junge er doch sei und, dass er immer herzlich willkommen wäre hier. Deshalb war sie auch umso bestürtzter gewesen, als sie von unserer Trennung erfuhr. Sie meinte, wir könnten doch skpen und er könne mich regelmäßig besuchen, aber es half alles nichts. Letztendlich war Jasper es, der die Trennung wollte.

"Skylar, bist du soweit fertig?", richtete sich meine Mutter nun an mich. "Kyla wartet in der Küche auf dich. Geh doch Mal zu ihr." Sie lächelte und ich nickte. Dann betrat ich erneut den kühlen Flur unseres Hauses.

"Sky?", hörte ich meine kleine Schwester traurig fragen. Ich betrat die Küche. Alles war schon leer geräumt, nicht mal Kartons waren noch da. Das meiste hatten wir verkauft und der Rest stand schon abgepackt in Kartons in der neuen Wohnung in London.
"Ja?", ich setzte mich neben sie und strich ihr über die Hand. Ihr Wangen waren feucht von Tränen und sie stützte den Kopf auf ihre andere Hand.
"Ich will Rosie nicht abgeben", schluchzte sie leise.

Rosie war unser Meerschweinchen. Kyla hatte solange gebettelt, bis wir sie gekauft hatten. Ich war anfangs nicht sehr überzeugt gewesen von dieser Idee, aber nach und nach war das kleine, weiße Tier mir ans Herz gewachsen.
"Sie wird es gut haben bei Oma", ich lächelte sie zögerlich etwas an, da ich wusste, dass es wirklich ein Verlust für Kyla war, ihr Haustier abzugeben.

"Kommt ihr, meine Mäuse?", rief unsere Mutter von draußen. Mäuse, so nannte sie uns schon immer. Seid wir ganz klein waren. Wir verließen die Küchen mit einem letzten Blick und machten uns auf den Weg nach draußen. Dort warteten Jasper und meine Mutter. Kyla lief sofort zu Jasper und er hob sie hoch in die Luft.

"Tschüss meine Große", rief er nun wieder fröhlich.
"Jasper... Ich bin 13. Ich weiß selbst, dass ich groß bin.", murrte Kyla und wir lachten. Als Jasper Kyla wieder runtergelassen hatte, umarmte ich ihn zum letzten Mal, bevor wir fahren würden.

"Alles Gute, Sky", murmlete er.
"Wir Skypen, ja?", fragte ich als, wir uns wieder voneinander gelöst hatten. Er nickte und ich stieg ins Auto nach vorne ein. Als auch meine Mutter und Kyla saßen, startete sie den Motor und fuhr Rückwärts aus unserer Einfahrt.

Zum letzten Mal winkte ich Jasper, bevor er endgültig hinter einer Hecke verschwand. Ich lehnte mich in meinem Sitz zurück und atmete tief durch.

Goodbye, Germany!

Verrückt nach dirWhere stories live. Discover now