#1 - Ehrlichkeit auf Papier

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11. März 2016

Hallo an den, der das hier liest.

Du bist mir vollkommen fremd, ich weiss nicht, mit wem ich es zu tun habe. Deshalb werde ich damit anfangen, mich dir ein bisschen vorzustellen.

Allgemein bin ich eher ein schüchterner Mensch, traue mich selten, fremde Personen ohne weiteres anzusprechen. Deswegen bin ich glücklich darüber, an diesem Projekt teilnehmen zu können. [...]

Nachdenklich starrte er das Blatt vor sich an, drehte den Stift zwischen seinen Fingern. Wie komisch es sich anfühlte, einen Brief zu schreiben. Das Schlimmste daran war, dass er die Empfangsperson nicht kannte, somit auch nicht wusste, wie diese auf seine Worte reagieren wird.

Die Uhr über seinem Kopf tickte leise vor sich hin, seine Konzentration zerbröckelte mit jedem Atemzug mehr und mehr. Was wird er oder sie ihm antworten? Den Gedanken beiseiteschiebend, presste er seine Lippen aufeinander, widmete sich erneut seinem Brief.

[...] Du glaubst nicht, wie sehr mich meine Uhr gerade vom Schreiben ablenkt, obwohl sie bloss leise tickt. Das bekräftigt, dass ich ziemlich einfach abzulenken bin und mich nicht gut konzentrieren kann. Während den Prüfungen ist es frustrierend, aber ich habe mich inzwischen daran gewöhnt. Ich weiss nicht, wie ich dafür sorgen kann, meine Konzentrationsfähigkeit zu steigern. Vielleicht hast du einen Tipp für mich?

Auch werde ich des Öftern wegen meinem Dialekt belächelt. Manche nennen ihn süss, andere finden es nur nervig. Die immer wieder vorhandenen Aufforderungen, endlich mehr zu sprechen, um meine Schüchternheit abzuschütteln, treiben mich beinahe in den Wahnsinn. Trotzdem tue ich meinem Umfeld den Gefallen, spreche möglichst dialektfrei Hochdeutsch und rede mehr, als mir lieb ist. Manchmal wünsche ich mir, einfach nur alleine in meinem Zimmer zu sitzen, einen Augenblick Ruhe von Allem zu haben. Und wenn ich 'Allem' schreibe, meine ich das auch so, wie es dasteht. Die Schule ist im Moment so langweilig, ich muss mich jedes Mal zwingen, wieder aufzustehen und in den Bus zu steigen. [...]

Sollte er das so stehen lassen, wie er es aufgeschrieben hatte? Seine Gedanken waren ziemlich vom eigentlichen Thema abgeschweift, sein ursprüngliches Vorhaben war zu einem Kummerkasten ausgeartet. Seine Hand schwebte über dem Papier, bereit, es zusammenzuknüllen und in den Papierkorb zu befördern. Doch etwas hielt ihn zurück. Vielleicht war es gar nicht so schlecht, seine Sorgen mit einer ihm fremden Person zu teilen. Sie würde nicht über ihn urteilen, bevor sie ihn nicht besser kannte oder zumindest gesehen hatte. Erneut nahm er den Stift in die Hand, schrieb weiter.

[...] Tut mir leid, ich bin etwas abgeschweift. Aber das gehört zu meiner Natur. Nichts verläuft bei mir perfekt nach Plan.

Ich belasse es für diesen Brief besser bei dem, was ich bereits geschrieben habe. Lass doch etwas von dir hören, ich würde mich freuen, dich auch ein wenig kennenzulernen.

~ S

Zufrieden lehnte er sich zurück, lächelte schwach. Der erste Schritt war getan, jetzt gab es kein Zurück mehr. Das Projekt war angelaufen, sein Postfach würde am Mittag den Brief erhalten.


Letters to X || StexpertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt