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Johnny - 12 Tage vor dem Abflug

»Dankeschön für deine Hilfe, Jonathan«, sagte Frau Wagner und nahm mir die schmutzigen Teller ab, um sie in den Geschirrspüler zu räumen.
»Kein Problem. Ich danke Ihnen für das Essen und die Einladung.«
Ich war verwirrt, warum sie mich extra eingeladen hatten. Es war zur Gewohnheit geworden, dass ich die zwei Kleinen ohne Einladung einmal im Monat besuchen kam. Aber gegen gute alte Hausmannskost zwischendurch hatte ich auch nichts einzuwenden. Frau Wagner richtete sich auf, stützte sich mit den Armen auf die Küchenzeile und sah mich mit großen Augen an, so dass ich nicht einfach wieder Richtung Esszimmer abhauen konnte. Ich wusste, etwas war im Busch und ich hatte das Gefühl, dass es mir nicht gefallen würde. Da öffnete sie auch schon den Mund: »Ich wollte einen Moment alleine mit dir reden.«

Jep, das war's. Sie wollten wahrscheinlich nicht, dass ich weiterhin Kontakt zu Stefan und Anja hatte. Aber ich verstand nicht warum. Okay, mein Lebensstil war nicht für jeden etwas, aber bisher hatten sie kein Wort darüber verloren. Zugegeben, sie wussten auch nicht genau, wie ich mein Leben gestaltete. Oder etwa doch? Aber wie konnten sie von den ganzen Frauen erfahren haben? Vielleicht war eine darunter gewesen, die eine Tochter ihrer Freunde war, eine Nichte oder eine andere Verwandte? Verdammt, die Welt war einfach zu klein und die Menschen darin tratschten zu viel. Unruhe machte sich in mir breit und in meinen Fingern kribbelte es. Aber ich unterdrückte das Gefühl und widerstand dem Drang, mit den Fingern über meine Augenbraue zu streichen. »Klar, worum geht's?«

Mir fiel auf, wie sich ihr Körper anspannte und sie von einem Bein auf das andere trat. »Es ist wegen Stefan und Anja.«
Das ist mir klar. Nachdem ich meinem vorigen Impuls doch nachgegeben und über meine rechte Augenbraue gestrichen hatte, richtete ich mich zur vollen Größe auf, die immerhin um die 1,85 m betrug, und verschränkte die Arme vor der Brust. Wenn sie mir die Kleinen vollkommen wegnehmen wollten, würde ich das hier für sie kein bisschen leicht machen.
»Wir, also Tom und ich, wir wissen, wie viel dir an ihnen liegt, daher wollten wir es dir zuerst sagen.«

Natürlich lag mir viel an ihnen! Wir hatten so viel miteinander durchgemacht. Ich hatte mit ihnen gemeinsam bei meiner sechsten oder siebten Pflegefamilie gewohnt, so genau hatte ich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr mitgezählt. Jedenfalls war ich um die fünfzehn Jahre alt gewesen und hatte zwei Jahre dort verbracht, bis ich endlich jemanden von dieser Scheißbehörde überzeugen konnte, uns in einer anderen Familie unterzubringen. Für mich war es nicht die schlimmste Unterkunft gewesen. Ich hatte von einem anderen Pflegevater schon Schläge abbekommen und war in ein kleines, fensterloses Zimmer gesperrt worden, wenn ich Ärger gemacht hatte. Aber in der Unterkunft von Anja, Stefan und mir war selten geheizt worden und nicht immer hatte es etwas zu essen gegeben. Anja war damals erst zwei und Stefan sieben Jahre alt gewesen – das konnte ich nicht mit ansehen. Sie waren mir damals beide viel zu schnell ans Herz gewachsen. Normalerweise versuchte ich Abstand zu halten, mich nur um mich selbst zu kümmern, aber diese zwei wollten einfach nicht lockerlassen und nun waren sie noch immer in meinem Leben.

Als ich mich damals gegen unsere Pflegefamilie durchgesetzt hatte, waren sie erst zu einer ganz netten Familie gekommen. Die allerdings hatten später selbst ein Kind bekommen und Anja und Stefan wieder weitergereicht – zum Glück an die Wagners. Was wollte Frau Wagner mir bloß sagen?

Entweder, dass Anja und Stefan wieder die Familie wechseln müssten oder dass sie mich als schlechten Einfluss sahen und ich nicht mehr vorbeikommen durfte. Zwei beschissene Szenarien, aber beide möglich. »Und, was wäre das?«

»Wir werden es ihnen gleich sagen und wollten dich vorwarnen, damit du dich nicht vor den Kopf gestoßen fühlst. Wir möchten sie adoptieren und haben endlich das Okay von den Behörden bekommen. Wir werden bald eine offizielle Familie sein.«

Road to Hallelujah (Herzenswege 1) - XXL Leseprobe Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt