Kirchenglocken

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Die Erde war hart und unnachgiebig unter Mariekas Füßen. Es dauerte ein paar Schritte, bevor sie aufhörte, mit jedem Auftreten ins Stolpern zu geraten.

Sie hörte nichts hinter sich, aber das machte ihre Angst nur stärker. Es gab keine Hinweise darauf, wie nah ihr Verfolger bereits war, ob er längst in der Luft über ihr wartete, die Klauen ausgestreckt und nur wenige Fingerbreit von ihren Schultern entfernt. Vampire waren lautlose Kreaturen, wenn sie es sein wollten.

Aber sie konnte keine Zeit verschwenden, sich darüber Gedanken zu machen. Sie musste einen Ort erreichen, an dem sie Schutz fand. Irgendwo, wo sie sich selbst einsperren und sich mit der Tür allein die Vampire vom Leib halten konnte, bis die Sonne wieder über den östlichen Wald stieg und sie alle erlöste.

Ihr Atem ging kurz und stoßweise, als sich die kalte Nachtluft brennend wie Feuer in ihre Lungen fraß. Das Dorf war immer gut zu sehen von ihrer Hütte aus, und schnell zu erreichen. Nur jetzt, wo sie rannte wie sie noch nie gerannt war, schien die kleine Ansammlung der Häuser nicht näher kommen zu wollen.

Marieka rannte sonst nicht. Sie lief manchmal mit schnellen, hastigen Schritten, den Kopf gesenkt um keinen durchziehenden Soldaten aufzufallen bevor sie ihre schützende Hütte erreicht hatte, aber sie rannte nicht. Der Rock ihres Kleides war zu lang und eng geschnitten, als das sie große Schritte hätte machen können, und obwohl er ihr hochgerutscht war, fielen seine Falten immer wieder zwischen ihre Beine und machten sie noch langsamer.

Für einen kurzen Moment tanzte ein einzelner, grauer Gedanke durch Mariekas Kopf. Der dreieinige Gott musste schon in den ersten Jahren ihrer Kindheit beschlossen haben, sie in diesem Moment nicht retten zu wollen, oder er hätte sie damals spielen und rennen lassen.

Doch sie wollte nicht glauben, dass der Gott, dem sie immer treu geblieben war, sie auf diese Weise verriet, es konnte nicht sein ... Die Glocke des Kirchturms schlug laut und wiederhallend an, lauter als sie es bisher gehört hatte. Der Turm ragte hoch über den Dächern des Dorfes hinaus, auch wenn er sich blass in der Dunkelheit des Himmels verlief.

Gott war gütig! Sein Haus würde ihr die Sicherheit bringen, die sie brauchte, es musst einfach sein ...

Die Verzweiflung die wie ein schwerer, grober Wollmantel über ihr lag, durchdrungen von feinen, seidigen Fäden der Hoffnung, trieb sie trotz aller Hindernisse an.

Sie musste nicht lange rennen – nur lange genug, um die Kirche zu erreichen. Dort drinnen hatten die Vampire keine Macht.

Eine leise, wispernde Stimme die zischte wie die wütenden Vampire, meldete sich in ihrem Kopf und erinnerte sie, dass sie der Pfarrer genauso wenig wie die anderen Armen in der Kirche hatte haben wollen, aber die kalte Luft stach in Mariekas Lungen, ihre Beine wurden schwer und ihre Füße schmerzten von den Steinen im Feld. Ihr Körper war zu überfordert, als dass sie irgendetwas anderem hätte Energie schenken können, schon gar nicht derartig dunkeln Gedanken.

Marieka rannte weiter.

Ihre Arme flogen wild und unkontrolliert um ihren Körper und brachten sie ins Schlingern. Vielleicht meinte es der Herr doch gut mit ihr, denn in dem Moment, als sie deswegen zur Seite wegknickte, rauschte der Vampir so eng an ihr vorbei, dass die Spitze seines ledernden Flügels ihr durchs Gesicht peitschte.

Sie schrie auf, mehr vor Schreck als Schmerzen, während sie den Vampir endlich wieder vor sich sehen konnte, wie er hoch in die Luft sauste und sich dann im Fliegen wieder zu ihr umdrehte.

„Du wirst es bereuen, wenn du nicht aufgibst", flüsterte er. Gegen das Licht des Dorfes war er nicht mehr als ein geflügelter Schatten. Eine Kreatur des Teufels, die zwischen ihr und der Kirche in der Luft stand.

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