Neumondnacht

318 41 2
                                    

Der Wind rauschte kräftig und einsam durch die zwei alten Kastanien draußen und fuhr pfeifend und zitternd durch die Ritzen der alten Hütte. Er war ein ungebetener, ungerufener Gast, doch die Tür konnte ihn nicht mehr aufhalten.

Marieka beugte sich tief über die einzelne Kerze, deren Flamme noch nicht erloschen war und schirmte das kleine Feuer mit der Hand vor der Natur ab, deren unsichtbare Finger nach ihnen griffen. Ihr Vater hatte ihr untersagt, die kostbaren Kerzen zu verbrennen, aber er würde es verstehen, wenn er zurückkehrte.

Wenn er zurückkehrte ... Er hätte längst wieder da sein sollen, mit leerem Handkarren und vollen Taschen. Und dem Knoblauch.

Sie fröstelte, obwohl ihre Hand so nah an der Kerzenflamme lag, dass sie fast verbrannte.

Es würde alles gut werden, es würde trotzdem alles gut werden, versuchte sie sich einzureden, es ist nie genug Knoblauch da und wer weiß, vielleicht kommen sie heute Nacht nicht zu uns. Ihr Dorf war nicht das einzige, das so nah am Schloss lag.

Dies war nicht die erste Nacht, die Marieka ohne Knoblauch verbrachte, und es war auch nicht die erste Nacht, in der sie in der Hütte allein ohne ihren Vater war. Aber es war die erst Nacht, in der beides mit dem Neumond zusammenfiel.

Der Wind zerrte heulend an den losen Brettern um sie und sie zitterte, als sie die Kerze auf dem Kerzenständer befestigte, um sie nicht die ganze Zeit in der Hand tragen zu müssen. Ihre Finger glitten über ihre Gebetsschnur, die sie sich vor ein paar Jahren selbst geknüpft hatte und sie wisperte den Namen ihres göttlichen Retters, wieder und immer wieder, in der Hoffnung dass er sie diese Nacht überstehen ließ.

Die alten Dielen knarzten unter ihren vorsichtigen Schritten, als sie sich zu der Leiter aufmachte, die in ihren kleinen, notdürftig mit Pferdedecken ausgestopften, Dachverschlag führte.

Wenn die Angst nicht dunkel und schwarz bis zu ihrem Hals gestanden wäre, hätte sie sich vielleicht selbst gescholten dafür, dass sie nicht schlauer gewesen war. Etwas Geld war noch da, das sie zumindest ein paar Wochen durch den Winter bringen sollte. Es hätte für die teuren Knoblauchknollen im Dorf gereicht, selbst wenn der restliche Winter mager geworden wäre. Doch Geld für Essen nutzte einem Toten nicht mehr viel.

Aber Marieka hatte dem Wort ihres Vaters blind vertraut. Er würde rechtzeitig kommen, hatte er gesagt, mit genug Geld, um den Winter nicht zu hungern und dem billigen Knoblauch aus den weiter entfernten Städten. Schon am Morgen hätte er da sein sollen, aber sie hatte stur weiter gewartet, bis sich die Dämmerung rot wie Blut über sie alle herabsenkte und im Dorf die letzten Fenster und Türen knallend verriegelt wurden. Zu spät, um irgendwelchen Knoblauch zu besorgen.

Sie wusste, dass sie nicht die Einzige war. So manch einem der anderen Bauern ging es schlechter als ihnen und mit dem Winter waren die Preise für alles und ganz besonders den Knoblauch um horrende Summen gestiegen, die sich kaum einer leisten konnte.

Nur bis jetzt hatte es ihr Vater immer geschafft. Wo er wohl steckte? Marieka fröstelte bei dem Gedanken. Es gab so viel, was ihm geschehen sein könnte. Für die Landesherren waren sie wenig mehr wert als Ungeziefer, viele ihrer Landsleute zogen längst raubend durch die Wälder und von der Grenze kamen die Osmanen immer wieder aufs Neue, trotz des versprochenen Friedens.

Von ihrer Region hielten sie sich um den Neumond herum allesamt wohlweislich fern, aber da draußen konnte einen der Tod das ganze Jahr über noch willkürlicher ereilen als hier in ihren armseligen Hütten.

Manchmal, wenn draußen die Sonne schien und der nächste Neumond in weiter Ferne lag, fühlte sie sich nahezu so, als hätte sie Glück gehabt, dass die üblichen Bedrohungen sie weitgehend verschonten. Doch zu oft erinnerte sie sich – wenn einem das Dach über dem Kopf angesteckt wurde, war das eine Sache. Die Seele von Kreaturen der Hölle geraubt zu bekommen eine ganz andere.

Der Spiegel der WahrheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt