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„Mom?", rief ich durch unser Haus.

Wer wusste schon wo sie wieder steckte. Ich hatte nur noch wenige Stunden bis mein Flug zum Sommercamp in die tiefste Pampa von Ohio startete und mein Koffer war noch halb leer.

„Mutter!?"

Sie musste doch irgendwo hier sein, oder war sie durch den Schrank nach Narnia verschwunden? Ich brauchte noch Handtücher und die speziellen für Reisen, waren im Keller. Ich würde sie ja holen, aber ich hatte keinen Plan, wo sie sein könnten. Aus Neugier ging ich auf den Balkon, um einen Blick auf unseren Garten zu werfen. Ich hätte es mir denken können, denn meine Mutter schien sich lieber um ihre Rosen zu kümmern, als mir beim Packen zu helfen. Dabei würde sie doch acht Wochen Indiana freie Zeit haben.

„Mom! Kannst du mir die Handtücher holen? Ich brauch noch ein bisschen, in einer viertel Stunde können wir fahren", informierte ich sie.

Schnell holte ich ein paar Shorts und Tops aus meinem Kleiderschrank, welche, ordentlich zusammengefaltet, ihren Platz in meinem großen schwarzen Koffer fanden. Endlich kam Mom mit meinen Handtüchern in mein Zimmer.

„Danke."

Lächelnd nickte die große, blonde Frau vor mir. Ich war ihr Ebenbild, äußerlich. Vom Charakter her, waren wir wie Tag und Nacht. Wahrscheinlich kam ich da mehr nach meinem Vater, den ich nie kennenlernt hatte. Meine Mutter wusste selbst nicht genau wer es war, denn mit sechzehn hatte sie sich auf einer Party schwängern lassen. Demnach konnte man mich einen „Unfall" nennen.

Jedoch rechnete ich es meiner Mutter hoch an, dass sie mich nie wie einen Unfall fühlen ließ. Sie war immer für mich da und hatte ein offenes Ohr für mich. Ob es jetzt um einen modischen Fauxpas oder Liebeskummer ging, war unwichtig. Wir waren ein eingespieltes Team, denn durch unsere unterschiedliche Art, ergänzten wir uns perfekt. Natürlich stritten wir auch ab und zu, aber wir konnten einfach nicht lange ohneeinander. Ein Streit zwischen ihr und mir dauerte nicht länger als ein paar Stunden und darüber war ich froh.

In meinem Kopf ging ich nochmal meine imaginäre Packliste durch.

Hygieneartikel? Check.

Genügend Kleidung? Verstaut.

Reiseapotheke? Yes.

Laut der Liste müsste alles in meinem Koffer oder der Handtasche Platz gefunden haben.

„Bist du soweit, Indi?", fragte Mom mich. Sie stand mit verschränkten Armen am Türrahmen gelehnt und beobachtete mich.

„Eigentlich schon. Sollte ich was vergessen haben kannst du es mir ja per Post schicken."

Ein letztes Mal drehte ich mich um, um zu kontrollieren, ob mir nicht doch etwas ins Auge stach. Doch es lagen keine Klamotten mehr auf dem Bett oder irgendwelche Kabel auf dem Schreibtisch.

Mit meinem Koffer lief ich aus meinem großen Zimmer und polterte die Treppe runter. Meine Mom saß schon in unserem schwarzen SUV und wartete auf mich. Der schwere Koffer wurde im Kofferraum verstaut und ich ließ mich auf dem Beifahrersitz nieder. Sie machte den Motor an und ordnete sich in den Verkehr ein.

„Bist du schon aufgeregt", fragte sie mich irgendwann.

Seufzend überlegte ich und antwortete, dass ich es nicht genau wusste. Der ganze Prozess erfolgte viel zu schnell. Vor knapp einer Woche, hätte ich nicht daran gedacht meine Sommerferien als Betreuerin in einem Sommercamp mit Kindern zu verbringen. Der Leiter des Camps, Felix, war ein alter Collegefreund meiner Mutter und bei einem ihrer ellenlangen Telefonate kam er darauf zu sprechen. Zufälligerweise war ein Betreuer kurzfristig abgesprungen und Felix suchte einen Ersatz. Irgendwie kam er auf die Idee, mich in Betracht zu ziehen. Da ich keine Pläne für den Sommer hatte, bot sich das natürlich an. Felix wohnte zur Hauptzeit, also im Sommer, in seinem Camp und im Winter lebte er nur drei Straßen weiter von uns, in Columbia. Als kleines Kind dachte ich immer, er wäre mein Vater. Doch irgendwann wurde mir klar, dass sie einfach nur zwei Lebewesen waren die sich insgeheim liebten aber es sich nicht eingestehen konnten. Vielleicht hatten sie auch Angst vor einer Veränderung und das man sich plötzlich fremd wäre. Manche Geständnisse hatten negative Auswirkungen, und machten die Situation schlimmer, als weiterhin in Verleumdung zu leben.

Besonders freute ich mich auf die Natur dort. In Columbia gab es zwar auch schöne Parkanlagen, jedoch war dies nicht mit acht Wochen Camping zu vergleichen.

Ich war so in meinen Gedanken versunken, dass mir nicht auffiel, wie wir am Flughafen angekommen waren. Elegant manövrierte meine Mutter das Auto in eine Parklücke, im hell erleuchteten Parkhaus.

Am CheckIn-Schalter angekommen mussten wir nicht lange warten, bis ich an die Reihe kam. Der nette Herr hinterm Schalter machte seinen Job und ich versuchte nicht allzu unfreundlich zu gucken. Nicht, dass ich mit Terroristen in Verbindung gebracht wurde, auch wenn ich nicht wie der typische Terrorist aussah. Aber man wusste schließlich nie, was in den Köpfen eines Menschen abging.

Ich konnte von Glück sprechen, dass mein Koffer kein Übergewicht hatte. Es wäre mir wirklich schwer gefallen ein paar Sachen hier zu lassen, denn alles in ihm war wichtig. Außerdem hätte ich definitiv keine Lust meine Unterwäsche schaulustigen Passagieren vor die Nase zu halten.

Mein Koffer würde, hoffentlich, seinen Weg in mein Flugzeug, nach Cleveland, finden. Falls nicht, wäre ich aufgeschmissen. Dann werde ich die Fluggesellschaft einfach verklagen. In Amerika war das doch relativ einfach zu handhaben.

Mit meinem Ticket in der Hand wendete ich mich Mom zu. Wir standen mitten in der Eingangshalle. Wären wir fremde Menschen gewesen, würde ich diese mit meinem Blick zu Asche verbrennen lassen oder aus Protest durchlaufen, doch da dies meine Mutter und ich waren, war das legitim.

Mom stand vor mir, atmete tief ein, und sprach: „Also, jetzt ist es wohl ernst. Ich hoffe du hast eine schöne Zeit dort und nimmst viele Erfahrungen mit nach Hause."

„Danke, Mom. Wehe du weinst, du weißt ich mag das nicht", ermahnte ich sie lächelnd.

„Werde ich nicht! Mach keinen Unfug, ruf mich an wenn du ankommst und grüß Felix von mir."

„Mach ich. Du lässt das Haus bitte auch stehen, nur weil du acht Wochen sturmfrei hast, bedeutet das nicht, dass du Project X Parties schmeißen musst", neckte ich sie.

Lachend nahm sie mich in ihre schlanken Arme.

„Ich hab Kondome in deinen Koffer getan, für alle Fälle", informierte sie mich.

„Mom!"

„Man weiß nie was es da für Erlebnisse geben wird."

Diesmal war ich diejenige die lachend ihren Kopf schüttelte. Als würde es dort nur eine Person geben, außer Felix, die ich ausstehen konnte.

Winkend verabschiedete ich mich von ihr und stürzte mich Hals über Kopf in acht lange Wochen voller Abenteuer.

Indiana in OhioWhere stories live. Discover now