It Seems Like Hate

01. Should I Know Who You Are?

Ilenia hetzte durch die belebten Straßen der Innenstadt Berlins. Wie immer eigentlich war sie zu spät dran, weil sie noch ein Kapitel ihres neuen Buches hatte fertig bringen wollen. Sie schrieb schon lange, seit sie klein war, und konnte auch schon immer einfach an der spannendsten Stelle nicht aufhören. Für sie war das schreiben wie das Lesen: Sie wusste immer nicht, was als nächstes geschehen würde, nur ihre Finger verrieten es ihr, indem sie über die Tastatur ihres Computers huschten. Sie ließ ihre Figuren handeln, und zwang sie nicht dazu. Die Personen hatten eigene Gedanken und Gefühle, als wären sie lebendig und nicht auf ein Blatt Papier verbannt.

In ihren Gedanken versunken, stieg sie in die nächste U-Bahn und setzte sich. Sie hatte sich vor einigen Monaten schriftlich bei Germany's Next Topmodel beworben. Nicht etwa, weil sie unbedingt gewinnen wollte. Eher, weil sie unbedingt Erfahrung brauchte, mit Fotoshootings. Ihr Onkel hatte einen Fotoshop in Berlin, und brauchte unbedingt innerhalb der nächsten zwei Jahre ein Mädchen, das ihm die Werbefotos schoss. Er hatte seine Nichte sofort gefragt, diese wollte jedoch auf keinen Fall ohne jegliche Übung vor die Kamera, und nun saß sie hier in der U-Bahn, um zu der Halle zu kommen, wo das Casting stattfinden sollte. Die Jury hatte sie nach der schriftlichen Bewerbung und einem eigenen Video vorgeladen, um sie einmal live zu sehen.

Ilenia war jedoch in keinem Fall aufgeregt. Sie hatte hier ja doch kein anderes Ziel, als Erfahrung zu sammeln und wenn das nicht klappte, konnte sie auch woanders anfangen. Hier war jedoch auf jeden Fall die beste Voraussetzung zu einem guten Shoot, mal abgesehen davon, dass ihr Onkel damit super Werbung machen konnte. An der richtigen U-Bahn Station stieg sie aus und lief zwischen den Menschenmassen Richtung Ausgang, der fast direkt zum Eingang der Halle führte.

Als sie endlich draußen stand atmete sie einmal tief durch, um sich dann in die Halle zu begeben.

Am Eingang zeigte sie ihre Karte vor, die ihr mit der Post zusammen mit der Vorladung geschickt worden war.

Die Frau, welche den Eingang sicherte, nickte Ilenia freundlich zu und wandte sich dann wieder stur nach vorne. Verwirrt sah das Mädchen auf den Brief mit der Vorladung und kramte einen kleinen, silbernen Schlüssel aus dem Umschlag. Dieser war für ihren Spind mit der Nummer... Mist, dachte sie. Welche Nummer war das nochmal?

Sie überflog noch einmal das Schreiben und ihr Blick hakte sich an einer Nummer fest. 1369, da stand es schwarz auf weiß.

Die Neunzehnjährige nahm sich den beigelegten Plan des riesigen Gebäudes und suchte ihren Standpunkt. Als sie diesen endlich gefunden hatte, lief sie durch eine Tür in den Backstage Bereich. Es war voll mit kahlen, grauen Wänden und langen Gängen, mit Rohren an den Decken. Es führten viele Treppen nach unten und sie bekam eine Gänsehaut, weil es hier unten recht kalt war. Ilenia warf einen Blick auf den Plan und erschrak: Sie hatte überhaupt keine Ahnung mehr, wo sie sich befand! Seufzend blieb sie stehen und studierte den Plan noch einmal genauer.

"Was stehst du hier und seufzt, obwohl du vor Heidi Klum auf dem Catwalk laufen könntest?", fragte eine männliche Stimme auf Englisch mit leichtem Akzent Ilenia von hinten.

"Ich hab mich verlaufen...", murmelte sie und drehte sich um. Kurz hatte sie sich erschrocken, aber sie hatte keine Angst. Wieso auch? Er wollte ihr bestimmt nur helfen. Sie blickte in ein jugendliches Gesicht, doch er schien etwa in ihrem Alter zu sein. Seine Haare waren blond gefärbt, was ihr sofort am Ansatz auffiel, und er lächelte sie freundlich an.

"Wo musst du denn hin?", fragte er nun.

"Ich wollte zu den Spinden, Nummer 1369", erklärte sie ihm seufzend.

"Hey, du seufzt ja schon wieder! Solltest du nicht eigentlich vollkommen ausflippen vor Freude und mir um den Hals fallen?", fragte er amüsiert.

"Warum sollte ich dir um den Hals fallen?", fragte sie verwirrt. Er blickte sie nur an. "Ähm, sollte ich dich kennen?", fragte sie nun noch verwirrter.