Kapitel 1

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„Das waren die schönsten Ferien meines Lebens!" er lächelte mich mit seinen strahlend weißen Zähnen an und drückte mir einen Kuss auf die Wange. „Ich werde dich vermissen.." murmelte ich und sah betrübt zu Boden. „Hey.." er hob mein Kinn mit einem Finger an und sah mir tief in die Augen. „Wir werden uns wieder sehen!" seine grünen Augen funkelten mich an. Sie sahen gefährlich aus. „Versprochen!" dieses mal gab er mir einen Kuss auf die Stirn, stieg auf sein Motorrad und fuhr davon..

Ich klappte mein Buch zu und sah zu meinem Lehrer hoch, der uns allen noch schöne Ferien wünschte. Dann standen auch schon die ersten hyperaktiven Menschen auf, nahmen ihre Taschen und gingen. Endlich bin ich diesen Zirkus mal für 6 Wochen los. Es ist ja nicht so, als würde ich meine Klasse nicht mögen, aber ihr müsst es euch so vorstellen: Ihr steht jeden gottverdammten Morgen um 6 Uhr auf, nur, um euch in den Dschungel zu begeben. Dort laufen angezogene Tarzans und halbnackte Janes herum, wenn ihr versteht was ich meine. Wie auch immer. Ich packte meine Sachen ein und nahm ebenfalls meine Tasche. „Dir wünsche ich besonders schöne Ferien, Maddie!" sagte Mr. Gumble, mein Lehrer, zu mir. „Vielen Dank, ihnen auch" ich lächelte ihm zu und verließ den Saal. Ich war eine seiner Lieblingsschülerinnen. Er war unser Musiklehrer. Meine Klasse hasste Musik. Ich nicht.

Zuhause angekommen saß mein Bruder Max auf dem Sofa und sah mich gebannt an. „Wo bleibst du denn? Wir wollen fahren!". Seine Sporttasche stand bereits im Flur. „Ich gehe noch schnell meinen Koffer holen" gab ich ihm Bescheid und rannte hoch in mein Zimmer. Es ist der erste Urlaub ohne unsere Eltern. Nur er, ich und seine Kumpels. Max war bereits 23 und studierte. Für ihn war es okay mit seiner 16 Jährigen Schwester in Urlaub zu fahren. Ich war in einer guten Aufbruchstimmung. Nachdem Max meinen Koffer ebenfalls in seinen Land Rover verstaut hatte, stiegen wir ein und fuhren los. Seine Freunde würden gegen Abend nachkommen. „Ich war schon so lange nicht mehr weg" fing ich an und lehnte meinen Kopf gegen das Fenster. Max konzentrierte sich weiter auf die Straße. „Das wird bestimmt lustig" fügte ich noch hinzu. Max schwieg weiter. Stirnrunzelnd sah ich zu ihm herüber, er starrte auf die Straße. „Was ist los?" „Hm?" er blickte für eine kurze Sekunde zu mir herüber. „Was ist mit dir los?" fragte ich ihn etwas lauter. „Maddie, was ich dir jetzt erzähle, wird dir nicht gefallen" er seufzte. Ich hatte meinen Bruder schon lange nicht mehr so traurig gesehen. „Mum und Dad.." er hielt an. Eine rote Ampel. Mein Herz blieb ebenfalls stehen. Mum und Dad? „Mum wird mit dir wegziehen, sie halten es nicht mehr zusammen aus". Max schaute mich nicht an. Er schaute hoch zur Ampel. Ich starrte das gelbe Auto vor uns an. Abby und Cindy an Bord stand dort drauf. Eine glückliche Familie. Eine Regenbogenfamilie sehr wahrscheinlich. Doch die waren wir doch eigentlich auch? Wieso mussten Mum und Dad es zerstören? Sie würden sich nicht trennen. Sie gehören zusammen. Genau so wie diese Abby und Cindy zusammen gehören. Sie können doch nicht einfach die Familie in die Mülltonne kippen.

„Bis in 2 Wochen Dad" verabschiedete ich mich von meinem Vater und stieg auf mein Motorrad. Es war bereits Abend und ich solle in einer Stunde am See sein. Ich würde mit meinen Kumpels dort die ersten zwei Wochen der Ferien verbringen. Der Motor stöhnte auf. Es war ein hammer geiles Gefühl. Ich fuhr die Landstraße entlang und ließ alles hinter mir. Den ganzen Stress und vor allem die Schule.

Ein Land Rover fuhr hinter mir, sie hörten laut Musik. Ich sah kurz hinter und blickte direkt in die braunen Augen eines jungen Mädchens. Sie erinnerten mich an Rehaugen, so unschuldig. Ich blickte wieder vor, als ich nur noch spürte, wie mein Körper sich vom Motorrad löste und ich einen harten Aufprall verspürte..

„ACH DU SCHEIßE" schrie ich, als der Motorradfahrer vor uns plötzlich von der Fahrbahn abkam und gegen einen Baum prallte. Der Fahrer flog durch die Luft und prallte mit dem Rücken auf die Straße auf. „Was muss der dich auch so anstarren!" schrie Max und legte eine Vollbremsung hin. Ich rutschte vor und stieß dabei mit meinem Handgelenk gegen etwas. Meine Armbanduhr zersprang. Sie blieb auf halb sieben stehen. Mein Herz pochte. Ich sah nur den Fahrer vor mir liegen. Max starrte ihn an, die Hände an das Lenkrad verkrampft. In meinem Kopf gingen plötzlich alle Alarmglocken los. Oh Gott. Liegt da gerade ein Toter vor unserem Auto. „GEH VERDAMMT NOCHMAL RAUS!" schrie ich meinen Bruder an, der immer noch wie gefesselt da saß. Langsam stieg er aus und schlich sich nahezu an den Motorradfahrer an, als wäre er ein Tier. Mein Herz schlug immer schneller, ich spürte wie die Tränen auf meinen Wangen brannten. Mir wurde heiß. Ich bekam kaum Luft. Habe ich gerade tatsächlich hautnah den Tod von jemanden mitbekommen? Max beugte sich über den Fahrer. Ich kramte in meiner Handtasche herum und tippte mit zittrigen Händen die Nummer des Notrufs ein.

Immer wieder hörte ich den Schrei eines Mädchens. Ach du Scheiße. Ich sah nichts. War ich tot? Ich versuchte meinen Körper zu spüren, doch ich spürte nichts, einfach gar nichts. Es war alles leer. Die Rehaugen. Sie gingen mir nicht aus den Kopf. Diese unschuldigen Augen. Was ist bloß passiert..

Langsam konnte ich wieder meine Umgebung wahrnehmen. Ich hörte Sirenen. Ich hörte Männer reden. Ich hörte ein schluchzen. Ich versuchte meine Augen zu öffnen. Da sah ich sie. Die Rehaugen! Ich konnte immer noch nicht meinen Körper spüren, doch ich sah wie sie meine Hand hielt. Sie strich mit ihren kleinen Händen über sie. Dann drängte sich ein Mann dazwischen, er drückte mir etwas ins Gesicht und ich schlief sofort wieder ein. Doch diese Augen, sie gingen mir einfach nicht aus dem Kopf.


Bad Brother? No Thanks. 2.0Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt