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Es war seltsam im Auto zu sitzen und im Navigationssystem meine alte Adresse zu sehen. Nun war es wohl an der Zeit mich meinen Dämonen zu stellen. Ich hatte das viel zu lange aufgeschoben und hatte es dadurch wahrscheinlich nur noch schlimmer gemacht. Müde griff ich nach meinem Kaffee und nahm einen großen Schluck aus der Tasse. Auf dem Bildschirm stand, dass es nur noch zehn Minuten bis nach La Push waren und alles in mir sträubte sich davor zurückzukehren.

"Lucy, gibst du mir mal bitte den Traubensaft?", fragte mich meine Mutter leicht geschwächt. Die einst so starke Frau, sah inzwischen gebrechlich aus. Ihre schwarzen Haare hatten ihren Glanz verloren und sie bestand aus nichts weiter als Haut und Knochen. Aus der Tasche, neben der die kleine Hope gemütlich schlief, zog ich ein Päckchen Traubensaft heraus, welches ich ihr reichte.

"Danke", meinte sie fast schon tonlos und trank still ihren Saft, solange bis sie die Stille erneut durchbrach. "Bist du mir sehr böse, dass wir wieder zurück nach La Push ziehen?", fragte sie mich so leise, dass es fast schon ein Flüstern war.

"Nein, bin ich dir nicht. Ich weiß wie sehr du dich darüber freust zurückzukehren, also freu ich mich auch", beantworte ich ihre Frage, nur so halb wahrheitsgemäß. Als Bestätigung nickte sie nur. Es machte mich fast verrückt meine Mutter so zu sehen, wenn der Arzt den Tumor früher hätte feststellen können, dann hätte er nicht gestreut und ich müsste mir heute keine Sorgen machen. Vielleicht hätte der Arzt ihr dann nicht nur ein paar Monate gegeben. Ich fühlte mich einsam und verlassen, wenn sie von mir gehen würde, hätte ich nur noch Hope. Krampfhaft umschloss ich das Lenkrad und kämpfte mit den Tränen. Nicht hier und nicht jetzt. Vorsichtig löste ich eine Hand vom Lenkrad und gab Hope wieder ihr Kuscheltier, das ihr heruntergefallen war. Hope war jetzt schon fast zwei Jahre alt und der einzige Sonnenschein in meinem Leben.

Bevor Mom ihre Diagnose bekam, führten wir ein schönes Leben. Ich besuchte die Highschool, Mom kümmerte sich morgens um Hope und nach der Schule tat ich es, da sie arbeiten musste. Doch dann bekam sie Krebs und es änderte sich vieles. Aber erst letzten Donnerstag brach meine Welt vollends zusammen.


Hope und ich saßen gemütlich am Esstisch, als Mom die Treppen herunterkam. Vor genau vier Stunden hatte sie ihre erschütternde Nachricht erhalten, also war sie noch immer leicht aufgelöst als sie den Raum betrat. "Ich will zurück nach La Push!", sagte sie bestimmt und starrte an mir vorbei aus dem Fenster.

Verwirrt schaute ich zu ihr auf und ließ den Löffel sinken, mit dem ich gerade Hope gefüttert hatte, das sie sich weigerte ihre Erbsen zu essen. "Warum?", war das einzige, was ich rausbrachte.

Sie sah mich nicht an, während sie anfing zu reden: "Weil ich nicht hier sterben möchte. Lu ich will dir nicht wehtun, aber das Ganze ist jetzt schon zwei Jahre her. Es wird dir und mir guttun, bitte", flehte sie mich an.

"Wenn du das willst", antwortete ich. Eigentlich wollte ich hier nicht weg, vor allem wollte ich nicht dahin zurück. Doch Mom's Wünsche waren auszuführen. Das musste ich einfach machen, ich würde alles tun, um sie glücklich zu machen. Zurückzukehren würde viel Wunden aufreißen.


Mit einer scharfen Rechtskurve bog ich in die Einfahrt ein. Als der Wagen zum Stehen kam, gab er ein lautes Stöhnen von sich. Hinter uns kamen auch die Transportlaster, mit all unseren Möbeln zum Stehen. Als Erstes holte ich die kleine Hope aus ihrem Kindersitz heraus und nahm sie auf den Arm. Dann hob ich den Rollstuhl meiner Mom aus dem Kofferraum, den sie benötigte, um sich fortbewegen zu können. Liebevoll knuffte ich Hope in die Wange. "Sieh mal Hope, da werden wir ab jetzt wohnen", erklärte ich Hope.

Forgive | 𝑃𝑎𝑢𝑙 𝐿𝑎ℎ𝑜𝑡𝑒Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt