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"Cyn!"
Das Rufen ihres Bruders, schreckte sie aus ihren Gedanken auf.
"Wir müssen aussteigen." sagte Denny mit verwirrtem Gesichtsausdruck.
Cyn blinzelte. Denny. Ihre Gedanken waren bei etwas anderem gewesen, bei etwas, an das sie nicht denken wollte, solange sie Zeit für ihren Bruder hatte. Sie bemühte sich um ein Lächeln. "Entschuldige, ich bin wohl noch etwas müde."
Er nickte. "Trotzdem musst du nicht meine Hand zerdrücken."
"Oh." Sanft ließ sie seine Hand los, woraufhin er sich an ihren Arm klammerte.
"Ist alles in Ordnung, Cyn?" Er klang besorgt und irgendwie traurig. Denny so zu sehen wollte Cyn nicht, ihr Bruder musste glücklich sein, ein fröhliches Leben führen. Mit einem zaghaften Lächeln nahm sie wieder seine kleine Hand in ihre.
"Mir geht es gut, aber danke dass du dich um mich sorgst."
Nachdem sie ausgestiegen waren, machten sie sich auf den Weg zu Dennys Schule. Es war noch früh, weshalb man nur Leuten begegnete, die geschäftig auf dem Weg zur Arbeit oder zur Schule waren, zumindest fast. Instinktiv zog Cyn ihren Bruder näher zu sich, als sie an einem Obdachlosen vorüber gingen. Sie hatte zwar keine Vorurteile oder ähnliches, nur wenn es um Denny ging, war sie steht's besorgt. In ihren Augen war er noch so klein und sie wollte den Schrecken der Welt so lange wie möglich von ihm fern halten.
"Aber in der Schule sind alle nett zu dir, ja?" fragte sie nach einer Weile, da er nur fröhlich vor sich hin summte.
"Hm? Ja, ich verstehe mich mit fast allen gut. Ein paar mag ich nicht so, aber das ist normal, oder?"
Cyn musste lächeln. "Ja das ist normal."
"Gut." Er lächelte zurück. "Ich will nämlich eigentlich ganz normal sein."
Schmerz durchzuckte Cyn bei den Worten ihres Bruders. Obwohl ihr bewusst war, wie er denken musste, hatte sie nicht erwartet, es von ihm zu hören. Allerdings auch nicht, dass es so weh tat.
So schnell es ging fing sie sich wieder, denn auch wenn sie ihre Gefühle gerne geteilt hätte, sie durfte Denny da einfach nicht mit hinein ziehen.
"Schau mal, wir sind gleich da, oder?"
Denny schien verwirrt, über den plötzlichen Themenwechsel, sprach sie jedoch auf nichts an.
"Ja, das da vorne ist meine Schule." antwortete er nur.
Sie bemerkte den leicht erhöhten Druck seiner Finger, an ihrer Hand und wünschte sie wie so oft, dass ihr Bruder weniger verstehen würde, von der Welt. "Was hast du denn heute für Unterricht?"
"Sport und Mathe und Deutsch. Mathe mag ich nicht so, aber Sport ist toll, unser Lehrer war früher ein Soldat!"
Das Stahlen in Dennys Augen stimmte Cyn traurig. "Ein Soldat?" hakte sie nach.
"Ja er war beim letzten Krieg dabei, hat er uns erzählt, aber er sagt auch, dass Kriege etwas dummes sind, und dass die Menschen, die Krieg machen dumm sind. Aber er ist fast so sportlich wie du."
Sie lachte leise auf, ob aus Belustigung oder Bitterkeit, wusste sie nicht.
In den nächsten Minuten hatten sie das Schulgelände betreten und waren zur Sporthalle gelaufen. Ein relativ großes Gebäude, hauptsächlich aus verspiegeltem Glas.

~

"Wir sind die ersten!" Denny hatte seine Schwester extra früh geweckt, um vor allen anderen hier zu sein. Eigentlich traute er sich nicht rauszugehen, während es noch dunkel war, durch den nahenden Winter, doch Cyn gab ihm Sicherheit. Sie war die stärkste, da war er sich sicher.
Mr. Dean war aber auch stark und deshalb wollte Denny ihm seine Schwester vorstellen, deshalb war er heute so früh aufgestanden.
Er zog sie durch den Eingang der Turnhalle, in Richtung des Lehrerraumes.
"Mr. Dean?" zaghaft klopfte er an die hölzerne Türe.
"Herein." kam es gedämpft zurück.
Mit klopfendem Herzen drückte er die Klinke herunter. Was Mr. Dean wohl zu seiner Schwester sagen würde? Wenn Denny ihm zeigte, wie stark seine Schwester war, würde er sich vielleicht endlich keine Sorgen mehr um ihn machen.
"Mr. Dean, ich habe jemanden mitgebracht. Meine Schwester ist für ein paar Tage da, und ich wollte sie ihnen vorstellen."
Dennys, zuvor freudiges Lächeln erlosch, als er die Anspannung zwischen den zweien bemerkte.
"Guten Morgen."
"Guten Tag."
Sie gaben sich die Hand ohne den Blick vom anderen zu nehmen. In Dennys Brust machte sich ein mulmiges Gefühl breit. Er wollte verstehen, was sich abspielte, weshalb sie sich nicht mochten, obwohl er selbst doch beide so gern hatte.
"Denny, warum gehst du dich nicht schon einmal umziehen?"
Mr. Dean klang harsch, ganz anders, als Denny es von ihm kannte. Es machte ihm Angst, also nickte er nur und eilte mit rasendem Herz in den Umkleideraum. Was hatte er falsch gemacht?
Ohne darüber nachzudenken, kletterte er auf einen kleinen Schrank. Ein kleiner Luftschacht führte von dort aus in den Lehrerraum. Denny hatte ihn entdeckt, als er vor ein paar Wochen Verstecken mit Freunden gespielt hatte.
Unter einigen Anstrengungen entfernte er die Abdeckung des Schachtes und zwängte sich hinein. Die metallenen Wände waren eiskalt, und Denny musste sich anstrengen, um überhaupt voran zu kommen, doch schließlich kam er am Ende des Schachtes an und hatte durch die kleinen Schlitze einen freien Blick auf den Lehrerraum.
"Mein Leben geht sie nichts an!" Cyns Stimme war leise und drohend, doch durch den Schacht deutlich zu hören. Seine Schwester stand mit dem Rücken zu ihm, sodass Denny ihr Gesicht nicht sehen konnte.
Mr. Dean stand ihr noch immer gegenüber, die Arme vor der Brust verschränkt. "Und ob es mich etwas angeht. Denny steht unter meinem Schutz und ihre Besuche gefährden sein Leben."
"Lassen sie Denny aus dem Spiel!" Bei der Verzweiflung, in der Stimme seiner Schwester, stiegen Denny Tränen in die Augen.
"Er braucht mich..."
Er verstand nicht was dort unten vor sich ging, über was die beiden diskutierten, doch er hatte seine Schwester, seit dem Tod ihrer Eltern, nicht mehr so gesehen. Der Schmerz in seiner kleinen Brust wurde immer größer, er hätte schreien können.
"Er braucht sie nicht. Ich werde mich um ihn kümmern. Sie sind doch selbst beinahe noch ein Kind. Vielleicht wissen sie etwas über den Krieg, aber was das normale Leben angeht, wissen sie rein gar nichts, Cyn Ferrow."
Cyn drehte sich um, und als Denny die Tränen ihre Wangen hinab rollen sah, wäre er am liebsten aus seinem Versteck geklettert, doch sie durften niemals wissen, dass er mitgehört hatte, das wusste er.
Er unterdrückte einen Aufschrei, als Mr. Dean plötzlich an sie heran trat und ihr die Arme auf den Rücken drehte.
"Wollen wir doch mal sehen, zu welcher Sorte sie gehören."
Denny wand den Blick ab, er konnte es nicht länger ertragen. Das Letzt, was er sah, war wie Mr. Dean seiner Schwester die Klamotten am Rücken nach oben zog.
Es krachte und Denny hörte Sachen zu Boden fallen, sodass er seinen Blick nun doch wieder dem Geschehen zuwandte.
Seine Augen weiteten sich, als er sah wie Mr. Dean, auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes an der Wand zusammengekrümmt kauerte.
Sein hasserfüllter Blick richtete sich auf Cyn. "Sie sind ein Monster... Verschwinden sie endlich aus Dennys Leben."
Sie verließ fluchtartig den Raum und knallte die Türe hinter sich zu.
Denny bemerkte erst jetzt, dass er am ganzen Körper zitterte und ihm die warmen Tränen das Gesicht herunter flossen. Er musste zurück, doch er war wie erstarrt.

CynnerWhere stories live. Discover now