Als die Nacht langsam über die Stadt kroch und ich immer noch nicht wusste, wo ich war, entschied ich mich trotz meiner Paranoia, die Leute zu fragen.
Die meisten ignorierten mich.
Andere schauten nicht einmal hoch, als stünde ich gar nicht vor ihnen.
Unsichtbar.
Oder besser: ungewollt.
Dann sah ich sie.
Die Frau aus der Vorstadt, die mit dem grünen Wagen.
Ihr Grinsen schnitt durch die Dunkelheit, als hätte sie nur auf mich gewartet.
Wohl oder übel ging ich zu ihr.
„Hallo, Fremder", sagte sie.
Ihre Stimme war freundlich, doch zu glatt, zu leer.
„Sie wirken so, als hätten Sie auf mich gewartet?!" erwiderte ich, mit einem Unterton, den ich selbst nicht deuten konnte.
„Oh nein, nein ... ich schaue nur gerne."
Ihr Lächeln war verloren, fast traurig.
„Super."
Meine Antwort war zynisch, schärfer als nötig.
„Sie wissen nicht zufällig, wie ich aus dieser Stadt herauskomme?"
Ihr Blick wanderte in eine schmale Gasse neben uns.
Doch ihre Augen verrieten nichts – kein Ja, kein Nein.
Nur Schweigen, nur dieses vage Andeuten.
Ich konnte nicht mehr mit ihr sprechen.
Irgendetwas an ihrer Haltung machte mich nervös, ließ die Pfeife in meiner Tasche schwerer wirken als sie war.
Also drehte ich mich zur Gasse.
Und ging hinein.
Die Schatten dort waren dichter als auf der Straße.
Jeder Schritt hallte, als gehörte er nicht mir.
Wenn hier jeder so wäre wie der andere, dann würde es schwer werden, Rasp zu finden.
Zu schwer.
Ich wollte nach Hause.
Oder besser: irgendwohin, wo nicht jedes Auge auf mir und meinen Fäden lag.
Denn auch wenn ich allein in der Gasse stand – ich spürte sie.
Blicke. Unsichtbar.
Wie Nadeln, die sich in meinen Rücken bohrten.
Nach einigen Schritten blieb ich stehen.
Der Asphalt glänzte feucht, und erst da sah ich es: Blutspuren.
Eine Pfütze, dunkel und dick, als hätte jemand sein Innerstes direkt hier ausgegossen.
Und eine zweite Spur, die sich scharf darüberzog, verwischt, verschmiert, als wäre etwas – oder jemand – über den Boden gezerrt worden.
Beide Linien schwangen aufeinander zu.
Wie zwei Wege, die füreinander bestimmt waren.
Ein unheilvolles Zusammenlaufen, das mir die Kehle zuschnürte.
Ein Pärchen?
Zwei, die brutal hier ermordet wurden?
Der Gedanke bohrte sich sofort tiefer.
Ich und Jolika.
Blutlinien, die sich kreuzen.
Für einen Moment sah ich uns in diesen Spuren liegen.
Ich schüttelte den Kopf, hart, als müsste ich mir selbst die Bilder vertreiben.
Nicht jetzt.
Nicht hier.
Es war mittlerweile Mitternacht.
Die Gasse atmete Kälte, und irgendwo tropfte Wasser, gleichmäßig, wie ein Herzschlag, der mich verhöhnte.
Unwohl folgte ich dem Tropfen, das wie ein gleichmäßiger Takt durch die Gasse hallte.
Jeder Schlag trieb mich tiefer, bis ich schließlich vor einem Gebäude stand.
Dead Wood Library.
Der Name hing verwittert über dem Eingang, als würde er selbst gleich herabfallen.
Ich trat ein.
Drinnen roch es nach Staub, Schimmel und etwas Metallischem.
Auch die Bibliothek wirkte wie eine Ruine – Regale geborsten, Bücher zerfetzt, der Boden übersät mit Papierresten, die mit der trockenen Luft eins geworden waren.
Meine Beine fühlten sich schwer an, meine Lider sanken, als würden sie sich weigern, noch länger zu tragen, was mein Kopf an Lasten mit sich schleppte.
Doch ich zwang mich weiter hinein.
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Strings of Control
HorrorWas hat mich wirklich motiviert, sie zu erschaffen? War es Neugier? Macht? Einsamkeit? Vielleicht eine Mischung aus allem. Oder hab ich sie einfach nur zu sehr vermisst? Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr. Sie weiß nicht, was sie ist. Nicht wirk...
