Rasp

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Ich setzte mich ihr gegenüber. Das Buch lag aufgeschlagen zwischen uns, sein vergilbtes Papier roch nach Staub und Eisen. Sie sah mich an, regungslos, mit diesem kindlichen, künstlichen Gesicht, das manchmal zu viel von ihr trug – und gleichzeitig nichts.

„Lies."
Mein Finger tippte auf die erste Passage.

Jolika beugte sich vor, ihre Stimme war monoton, wie ein stumpfes Messer, das man gegen Stein schleift.
„Disziplin bedeutet: gehorchen, bevor man gefragt wird. Eine Waffe wartet nicht. Sie handelt."

Ich nickte, langsam.
Gut. Genau so sollte es klingen.

„Noch einmal."
Sie wiederholte den Satz. Ohne Zucken. Ohne Tonfall.

Es gefiel mir.
Es war stumpf, kalt, maschinell.
Und doch ... irgendwo in meinem Innern nagte der Gedanke, dass ich mir insgeheim wünschte, sie würde einen Hauch Stolz in ihrer Stimme tragen. Ein Restmensch. Ein Funke.

Ich vergrub den Gedanken sofort.
Nein. Das hier war keine Tochter.
Das war meine Schöpfung.
Meine Waffe.

Ich griff nach dem Buch, schlug die nächste Seite auf.
„Tarnung. Manipulation. Überzeugung."
Meine Stimme war nun fest, fast schon ein Befehl.
„Lies es. Und speichere es so, wie ich es sage."

„Tarnung. Manipulation. Überzeugung."

Sie sprach es nach, jedes Wort einzeln, glatt, ohne jede Betonung.
Wie ein kalter Spiegel.

„Tarnung", wiederholte sie, „bedeutet, unsichtbar zu sein. Unwichtig. Niemand darf dich bemerken, bevor es zu spät ist."

Ich hörte zu.
Der Satz war richtig – aber zu leer.
Sie sprach wie eine Maschine, die einen Befehl abarbeitet.
Das war nicht genug.

„Nein, Jolika."
Ich lehnte mich nach vorn, meine Stimme ein Schatten.
„Tarnung heißt nicht nur, unsichtbar zu sein. Tarnung heißt, dass du gesehen werden kannst – aber dass niemand erkennt, was du bist."

Ich packte ihren Arm, hielt ihn hoch, als würde ich eine Marionette präsentieren.
„Du kannst mitten in einer Menschenmenge stehen. Sie werden denken, du bist nur ein Mädchen. Harmlos. Schwach. Das ist Tarnung."

Sie nickte, stumm.
Speicherte.
Aber ich wusste, dass sie die Bedeutung noch nicht verstand.

„Sag es mir zurück."

„Tarnung bedeutet ... man darf gesehen werden. Aber niemand erkennt, was man ist."

Ein leichtes Zucken zog durch ihren Mundwinkel, als hätte sie etwas Neues begriffen.
Ich ließ ihren Arm sinken und klappte das Buch weiter.

„Manipulation", las sie weiter, „bedeutet, andere zu Handlungen zu bringen, die sie nicht selbst wollen."

Sie sah mich an, stumpf, wie ein Automat, der auf Input wartet.
Das war mir zu wenig.

„Nein", sagte ich leise, meine Stimme ein Messer, das über Stein kratzt.
„Manipulation bedeutet, dass sie glauben, es wäre ihre Idee gewesen. Dass sie lächeln, während du ihnen das Messer in die Hand gibst – und sie nicht merken, dass du ihre Finger führst."

Ich sah, wie ihre Augen kurz aufflackerten, ein Hauch von etwas, das an Verstehen grenzte.
Sie nickte langsam.

„Sag es mir zurück."

„Manipulation bedeutet ... dass andere glauben, es wäre ihre eigene Entscheidung, während sie tun, was ich will."

Ich spürte einen kalten Schauer über meinen Rücken laufen.
Nicht vor Angst – sondern vor der Bestätigung, dass sie es speicherte.

Strings of ControlWhere stories live. Discover now