1. Bienenstich

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Im Jahre 1734, südöstlicher Wald



Was tat man, wenn das eigene Leben eine Ewigkeit angedauert hatte, eine Ewigkeit andauerte und eine Ewigkeit andauern würde?
Ich wusste es nicht.
Warum musste ich denn immer noch am Leben sein?
Ich seufzte.
Das war klar, schon, seitdem ich vor über fünfundsechzig Millionen Jahren auf die Welt gekommen war. Weil ich eine Wosankhidwa, in der alten Sprache 'die Auserwählte', war. Aber wieso ausgerechnet ich? Das Leben war so langweilig! Die Menschen waren immer gleich und taten immer wieder das Gleiche. Es gab immer die gleichen Arten von Menschen.
Reiche, die Forderungen stellend herumlagen und für die alle aufsprangen, sobald sie sie nur fordernd ansahen, arme, die bis zum völligen Zusammenbruch arbeiteten und sich zu Tode hungerten, weil sie kein Geld für Essen hatten. Genauso gab es feige Menschen, die, für genug Geld, sogar ihre besten Freunde verrieten, Hauptsache ihnen geschah nichts und sie hatten genug Geld. Jähzornige Menschen, blutgierige, panische, verschlossene, naive, verfressende,... Ich seufzte erneut.
Die Kette war schier endlos lang.
Verachtung stieg in mir auf, jedes Mal, wenn ich auch nur an sie dachte. Sie benahmen sich, als hätten sie die größte Macht, nur, weil sie einen Verstand hatten. Hatten eine sehr kurze Lebensspanne, handelten unüberlegt, impulsiv und getrieben von Gier. Zerstörten ihre Umwelt, ohne auch nur darüber nachzudenken, dass sie ohne sie nicht leben konnten. Bloß, weil sie auf einige Annehmlichkeiten nicht verzichten wollten. Führten Kriege, weil sie sich vor Menschen oder Dingen fürchteten, die anders waren als sie. Widerliches Pack!
Angeekelt schüttelte ich mich.
Im nächsten Moment seufzte ich jedoch erneut.
Sich über die Menschen aufregen, schön und gut, aber das hatte immer noch nicht die Frage geklärt womit ich mir die Zeit vertreiben konnte, am besten den nächsten Jahre. Ich bewachte zwar diesem Wald, sorgte dafür, dass kein Mensch einen einzigen Baum fällte schon gar kein Tier tötete, aber das genügte nicht, um die Langeweile zu vertreiben.
Ich schnaubte.
Am liebsten hätte ich jeden Menschen komplett umgekrempelt, damit sie die anderen Menschen und alle anderen Lebewesen verstanden und mit anderen Augen sahen. Damit sie aufhörten, all diese Dinge zu tun, wie Krieg, Zerstörung der Natur und so weiter. Doch die meisten hatten sich entschieden, dass die Menschen ihre Fehler selbst erkennen und sie bereuen müssten, also fügte ich mich - aus Höflichkeit - und, weil ich es irgendwie verstand.
Ich wusste:
Wenn die Menschen das taten und es wieder viele Wosankhidwa gab, konnten wir vielleicht die Natur heilen.
Um wieder auf den Punkt zu kommen:
Der einzige Grund, warum ich noch am Leben war, - also vom Freitod aus Langeweile absah - war, dass meine Mutter, kurz bevor es die Meteoriteneinschläge, die überkochenden Vulkane und das Erdbeben gegeben hatte, die Dinosaurier auslöschten - so rasch und effektiv, dass selbst wir es nicht verhindern konnten - mir etwas gab. Danach, noch während der Ausrottung der Dinosaurier, zerstreuten sich die Wosankhidwa und die meisten von ihnen starben.
Aber das, was mir meine Mutter gab - eine silberne Kette mit einem in Silber eingefassten, tränenförmigien, dunkelgrünen Smaragd - verband mich mit den Überlebenden. Der Smaragd glühte sanft und strömte eine kaum spürbare Wärme aus. Das bedeutete, dass noch mindestens ein männlicher meiner Art lebte. Wurde der Smaragd kalt, lebte noch eine Frau oder ein Mädchen und war der Smaragd pechschwarz, war ich vollkommen allein. Aber er glühte sanft und strahlte grün. Ob das hieß, dass ein Mann oder eine Frau und ein Mann lebten, wusste ich allerdings nicht. Aber egal, wie es nun war, ich würde meinen Artgenossen nicht alleine in dieser öden Welt, in der nur Krieg, Misstrauen, Gier, Wut, Hass und vor allen Dingen Langeweile herrschte, nicht zurücklassen.
Irgendwann würden wir uns finden, auch wenn er am anderen Ende der Welt lebte, Zeit spielte keine Rolle. Wir hatten nämlich das Glück, ab dem fünfundzwanzigsten Lebensjahr nicht mehr zu altern, zumindest nicht körperlich. Zwar konnten wir uns verwandeln, also älter oder jünger machen, aber das war nur eine Illusion, um die Menschen zu täuschen. Auch wenn ich mich in eine alte Frau verwandelte, konnte ich trotzdem so viele Gewichte heben, wie eine vierundzwanzigjährige, was ich natürlich nicht tat, um keine Aufmerksamkeit zu erregen.
Gerade war ich ein sechzehnjähriges Mädchen, aber ich konnte mich nach Belieben dem Alter meines Artgenossen anpassen. Mein Artgenosse, mein Lebensgefährte. Zumindest, wenn nicht noch eine andere Frau lebte, die er bevorzugte. Trotzdem,... Mein Lebensgefährte, darauf würde es nämlich hinauslaufen, um meine Art zu erhalten. Gedankenverloren spielte ich mit der silbernen Kette. Wie es wohl sein würde, nach so vielen Jahren, wieder jemandem ähnlichen, einem zu begegnen, der einen verstand? Keine Ahnung.
Plötzlich bemerkte ich, dass unter meiner Hand, die mit der Kette spielte und deswegen einer Stelle zwischen Hals und Schlüsselbein lag, etwas wütend und panisch summte. Ich nahm normalerweise Tiere nicht wahr, einfach, weil sie zu mir gehörten, wie mein Körper. Aber ich war zu langsam und ich wurde gestochen, genau zwischen Hals und Schlüsselbein. Normalerweise war das nicht so schlimm, wenn mich etwas stach, denn es tat höllisch weh, verschwand aber bald wieder.
Dieses Mal jedoch, riss ich die Augen auf und beobachtete, wie sich eine Biene von mir losriss, sich den Stachel ausriss und starb.
Hastig entfernte ich den festsitzenden Stachel, konnte aber einen Fluch nicht unterdrücken.
Verdammt, ich war extrem allergisch gegen Bienen und ihre Stiche!


Die alte Sprache und sieWhere stories live. Discover now