Kapitel 5: Wenn es regnet

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So ging Ahrys Reise weiter, vorbei an leuchtenden Sternen, rotierenden Planeten und den unendlichen Geheimnissen des Universums. Heiß schoss die weiße Flamme durch eine schimmernde Schwade kosmischen Staubs. Sternenstaub, wie Ahry unlängst gelernt hatte. Der Stoff, aus dem das Universum Leben modelliert, permanent. Dankbar war Ahry um die Lektion, wenngleich diese auch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein der brennenden Neugier war. Der Reisende lernte über den Sternenstaub, doch gehörte noch mehr zum kosmischen Zyklus. Leben. Sterben. Tod. Phänomene, die Ahry ebenfalls verstehen wollte, die nur noch mehr Fragen mit sich brachten, gleichermaßen Bruchstücke des großen Ganzen darstellten. Doch Ahry war erpicht darauf, die Bruchstücke zu sammeln. Sie zu sammeln und aus ihnen das ganze Bild zusammenzusetzen. Das ganze Bild vom Universum und seinem Schaffen. Ahry wusste, wie groß dieses Ziel war, doch war es das, was er wollte. Das war seine Reise.

Eine Reise, die ihn in die Nähe eines mit grauen Flecken übersäten Planeten führte. Zwischen jenen Flecken mischten sich verschiedene Farben, doch war das Grau interessanter. Die Aufmerksamkeit des Reisenden war jedenfalls geweckt, was mochten diese Flecken nur darstellen? Was nach den Fragen folgte, war der Sturz auf den Planeten. Mitten ins Zentrum des größten Flecks, den die Flamme erkennen konnte. Sie drang durch die Sphären des Himmelskörpers, das trübe Grau nahm sukzessive ihr Blickfeld ein, bis die Flamme für einen kurzen Moment nichts anderes, im nächsten Augenblick wiederum gar nichts mehr von dem Grau sah. Stattdessen sah sie nun eine trübe Landschaft auf sich zu rasen. Wälder, Flüsse, einen Berg. Doch im selben Moment nagte es an dem Körper der Flamme. Kalt und nass. Es waren eine Myriade kleiner Tropfen, die hinter der Flamme vom Himmel herab fielen. Eine eisige Qual für die heiße Flamme, die Tropfen bissen sich in ihr fest, engten sie ein, verschluckten ihre Funken. Sie raste geradewegs auf den Boden zu, doch spürte sie, wie sie schwächer wurde. Schwächer, da sie gebissen wurde. Kleiner, da sie sich zurückzuziehen suchte. Der Boden war nicht mehr weit entfernt, doch die Flamme hielt es nicht mehr aus. Sie suchte Schutz. Nun war es Ahrys menschlicher Körper, der vom Himmel herabfiel.

Glücklicherweise waren es nur noch wenige Meter, die ihn vom Boden trennten. Er hatte die Flamme nicht mehr aufrechterhalten können. Einen Augenblick später landete Ahry auf nassem Grasboden. Die Landung war alles andere als weich und angenehm, doch glücklicherweise war der Abstand zwischen Ahry und dem Boden so klein gewesen, dass ernsthafter Schaden vermieden werden konnte. Seine Beine und Füße schmerzten ein wenig, doch er konnte sie bewegen. So saß er nun da, seine Beine waren angewinkelt, seine Füße schmiegten sich an das nasse Gras, er blickte in den Himmel. Tropfen. Kalt und nass. Noch immer fielen sie vom Himmel herab, in einer unzählbaren Menge. Ahry schaute auf den grauen Fleck am Himmel, durch den er geflogen war.

„Eine Regenwolke?", sprach er fasziniert.

Dieser Anblick, wenngleich sich der Regen eiskalt auf Ahrys gesamten Körper legte, machte ihn glücklich, hatte er doch schon sehr lange keinen Regen mehr gesehen. Damals, bevor er seine Reise antrat, war der Regen eines der wenigen Dinge gewesen, die ihm etwas bedeuteten, dort, auf dem Planeten, der für ihn schon lange keine Heimat mehr war. Welch' nostalgisches Gefühl für Ahry, er streckte einen Arm nach vorne, drehte die Handinnenfläche in Richtung Himmel. Er wollte die Tropfen an seiner Hand spüren, wie sie seine Haut benetzten, sich komplett über sie ergossen, den Jungen zittern ließen. Und mit einem Mal fühlte es sich für Ahry wieder so an, als würde der Himmel ihn küssen. Dieses Gefühl hatte Ahry damals viel bedeutet. Die Ungewissheit, ob er jemals wieder Regen spüren würde, war einer der schmerzhaften Aspekte, die mit dem Antritt seiner Reise verbunden waren. Umso glücklicher war Ahry nun um diesen Moment. Doch so schön dieses Gefühl auch war, es änderte nichts daran, dass Ahry langsam zu frieren begann. Und er sorgte sich. Um die Flamme. Der Regen hatte sie bezwungen. Ohne sie war Ahry gefangen. So beschloss der Reisende, einen Unterschlupf zu suchen, um herauszufinden, was mit seiner Flamme passiert war. Der Junge stand auf und lief in Richtung des Berges, den er bereits zuvor vom Himmel aus gesehen hatte. Es war ein nicht gerade kurzer Weg bis dahin, währenddessen tropfte es weiterhin auf Ahrys Körper. Seine Kleidung und sein Haar waren nun schon komplett durchnässt, seine Gliedmaßen glatt und getrübt, seine Füße traten permanent durch große Pfützen und durchnässtes Gras. Nach einiger Zeit fand Ahry jedoch eine Höhle, relativ nah am Fuße des Berges. Dort würde er vor dem Regen sicher sein. Der Junge kletterte das kleine Stück des Berges bis zur Höhle hinauf. Kein einfaches Unterfangen ob der Glätte, die der Regenschauer über die Bergwand gelegt hatte, doch mit Mühe schaffte er es, die Höhle zu erreichen. Eine trockene Höhle, und in ihr war es schon wesentlich weniger kalt. Ahry beschloss, hier für eine Weile zu bleiben. Das Wasser tropfte von Ahrys Kleidung und seinen Gliedmaßen. Nachdem er wenige Meter tief in die Höhle hineingegangen war, schüttelte Ahry sich das Regenwasser von den Händen, dann drehte er seine Hand mit der Innenfläche nach oben und versuchte, eine Flamme erscheinen zu lassen, doch nichts passierte. Ahrys Hand war noch immer feucht. Und kalt. Er war sich nicht sicher, ob es daran lag, oder ob die Flamme in ihm noch zu schwach war. Ein paar weitere Male versuchte Ahry es, doch vergebens. Der Junge blickte für einen Moment nach draußen, wo weiterhin der Regen herrschte, anschließend blickte er auf das Buch an seiner Hüfte und erschrak. Als er im Regen gelegen hatte, vergaß er völlig, dass das Buch möglicherweise in Mitleidenschaft gezogen werden könnte. Hastig nahm er das Buch in die Hand und begutachtete es. Doch zu seiner Überraschung war es gänzlich trocken geblieben.

WeltensammlerWhere stories live. Discover now