Kapitel 4: Der Stoff, aus dem das Leben gemacht ist

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„Bevor wir anfangen, möchte ich einen Gedanken korrigieren, der vielen Geschöpfen, die ich getroffen habe, innewohnt", begann der Geist zu sprechen, „nämlich die Dichotomie von Leben und Tod. Diese existiert überhaupt nicht."

Diese Situation und die Ausdrucksweise des Geistes, Ahry fühlte sich, als wäre er ein Schüler, der mit einem Lehrmeister sprach, welcher im Begriff war, ihm eine Weisheit über das Leben beizubringen. Gespannt lauschte der Junge, was sein Gegenüber zu sagen hatte.

„Leben und Tod sind nichts weiter als Teile des Zyklus der Geschöpfe. Dabei ist nur eines davon eine bedeutende Phase des Zyklus. Nämlich das Leben. Dem Leben steht die Phase der stellaren Reformation gegenüber, mein Volk nennt diese Phase Alachýa."

Volk? War dieser Geist Teil einer Zivilisation? Ahry war fasziniert, auf was für ein Geschöpf er getroffen war.

„Die Alachýa wiederum setzte sich aus zwei Teilen zusammen. Die erste ist der endgültige Zerfall des Körpers", erklärte er, „zu Sternenstaub."

Sternenstaub? Diesen Begriff hörte Ahry nicht das erste Mal. Es war ein Teil einiger Mythen und Philosophien, von denen er auf seinem Heimatplaneten erfuhr. Doch diesen Begriff aus dem Mund eines kosmischen Wesens zu hören, statt ihn von marodem Papier abzulesen, hatte eine ganz andere, inspirierende Wirkung auf den Jungen.

„Passiert dies gerade mit den Leichen, die du hierher gebracht hast?", fragte Ahry.

„Gewiss, jetzt in diesem Moment. Wenn du dich umdrehst, kannst du es sehen", antwortete der Geist.

Ahry drehte seinen Oberkörper und blickte hinter sich auf die Leichen, doch sah er absolut gar nichts. Sie lagen weiterhin regungslos da, umgeben von scheinbarer Leere.

„Ich sehe es nicht."

„Dann hör mir zu und du wirst es sehr bald sehen", sprach der Geist, woraufhin Ahry sich wieder nach vorne drehte.

„Der Sternenstaub, zu dem ein Körper zerfällt, steigt zurück in das Universum hinauf. Dort findet anschließend der zweite Teil der Alachýa statt, nämlich die Zusammensetzung des Sternenstaubs zu einem neuen Körper. Ist dieser Teil abgeschlossen, findet auch die Alachýa ihr Ende, und ein neues Leben kann entstehen."

Ahry dachte gründlich über diese Worte nach, versuchte sie zu einem Bild in seinem inneren Geiste zusammenzusetzen.

„Das bedeutet, dass sich Leben und Alachýa gegenüberstehen, sie sind Gegensätze", versuchte Ahry, den Zyklus herzuleiten.

„Das ist richtig. Der Tod stellt hierbei den Übergang vom Leben in die Alachýa dar, die Geburt hingegen jenen von der Alachýa wieder in das Leben."

„Es ist ein Zyklus, kein abschließender Prozess", schlussfolgerte Ahry flüsternd, was der Geist bestätigte.

Ahry dachte darüber nach. Er hatte von all dem noch nie etwas gehört. Diese Worte und Gedanken waren gänzlich neu für ihn. Umso mehr inspirierten ihn die Erklärungen des Geistes. Und wenn dieser Zyklus alle Geschöpfe betraf, dann war auch Ahry ihm unterworfen. Sein Herz brannte vor Wissbegierde.

„All die Zeit lernten wir, dass das Leben schlicht eine Zeitperiode sei, die mit dem Tod endet."

„So etwas wie ein absolutes Ende gibt es nicht. Alles fließt. Ununterbrochen", korrigierte der Geist.

„Bitte, erzähle mir mehr, weiser Geist. Was -", Ahry senkte seinen Kopf, dachte einen kurzen Moment nach, „hat es mit dem Sternenstaub auf sich?"

Der Geist richtete seinen Blick gen Himmel, und schwieg. Ahry fragte sich, warum er dies tat, also blickte auch er nach oben. Doch sah er nur den dunklen Himmel.

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