Thomas und die Lindwürmer

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Eines nachts war Kicki, der frechen Fee, so richtig langweilig. Sie flog von Fenster zu Fenster und blickte in die Kinderzimmer. Alle Kinder schliefen, ganz so wie es sein sollte und brauchten keinen Zauberstaub, der ihnen schöne Träume bescherte. Nur bei Thomas brannte noch ein Licht – er lag mit seiner neuen Taschenlampe unter der Bettdecke und las eines seiner Abenteuerbücher. Neugierig kam sie näher und beobachtete das Licht, das von links nach rechts wanderte und dann kurz pausierte, als Thomas die Seite umblätterte. Immer und immer wieder, bis selbst Kicki fast eingeschlafen war. Da erschrak der Junge plötzlich, riss sich die Decke vom Kopf, schaltete die Taschenlampe aus und warf sich auf das Kissen, als hätte er die ganze Zeit entspannt geschlafen. Die Flügel der kleinen Fee flatterten ganz aufgeregt. Was war denn nur passiert?

Die Tür zum Kinderzimmer öffnete sich einen Spalt und Thomas Mama steckte ihren Kopf hinein. Da aber alles ruhig zu sein schien, ging sie wieder. Kurz darauf schaltete Thomas seine Taschenlampe an und las weiter, bis die Sonne am Morgen die restliche Welt weckte. Die kleine Fee spürte die wärmenden Strahlen auf ihren Flügeln, kehrte müde nach Hause zurück und kuschelte sich in eine der Blüten, in der sie sicher schlief, bis der Abend hereinbrach. Sie streckte sich ausgiebig, gähnte herzhaft und schüttelte sich den Blütenstaub ab. Die anderen Feen flitzten schon zusammen durch die Blumen des Parks und erzählten einander von den Träumen, die sie in der vergangenen Nacht verschenkt hatten. Kicki allerdings kehrte gedanklich zum kleinen Thomas zurück und ohne groß Federlesens beschloss sie, ihn heute wieder zu besuchen. So spannend seine Bücher auch sein mochten, er musste doch auch schlafen und träumen! Gedacht, getan.

Und tatsächlich! Da saß der Junge im Bett, eingekuschelt unter der Bettdecke und las im Schein der Taschenlampe. Entschlossen umrundete sie das Haus und suchte einen Weg hinein. Endlich! In der Küche stand das Fenster einen Spalt breit offen. Dort quetschte die Fee sich erfolgreich durch und flatterte zum Kinderzimmer. Mit ihrem Traumstaub würde sie Thomas ein paar tolle Träume verpassen und dann würde er sich hoffentlich bald auf das Schlafen gehen freuen! Aufgeregt vergrub sie ihre Hand in dem kleinen Beutel an ihrer Hüfte, wo der Traumstaub schon auf seinen Einsatz wartete.

„Schläft er schon?", hörte sie da Thomas Papa aus dem Wohnzimmer.

„Wahrscheinlich noch nicht", gab seine Mama als Antwort zurück. „Aber irgendwann fallen ihm schon die Augen zu, egal wie spannend das Buch wohl ist."

Kicki schüttelte den Kopf. Geschichten waren Magie, die sich beim Lesen entfaltete und das spürten gerade Kinder sehr deutlich. Wenn es spannend wurde, würden sie niemals von sich aus aufgeben. Sie hielt sich im Schatten der gedimmten Lampen und flog zum Kinderzimmer, dessen Tür ebenfalls nur angelehnt war. Doch der Türspalt war zu knapp! Mit dem Schwung ihrer Flügel versuchte sie, die Tür zum Aufschwingen zu bringen, doch außer ihren Flügeln bewegte sich nichts. Frustriert pustete sie ihre Ponyfransen aus der Stirn. Da hörte sie Schritte hinter sich und erschrocken suchte sie sich eine dunkle Ecke zum Verstecken. Thomas' Mama kam den Gang hinunter und linste wie gestern Abend ins Kinderzimmer. Im Schutze der Dunkelheit ließ sich Kicki so tief wie möglich sinken, wie sie konnte und huschte durch den Schatten zwischen den Füßen hindurch. Geschafft. Atemlos vor Aufregung setzte sie sich auf ein Bücherregal und wartete ab, bis sie mit Thomas wieder alleine war. Der hatte nicht einmal gemerkt, dass seine Mama nach ihm gesehen hatte, so vertieft war er in seinem Abenteuerroman. Die kleine Fee sah sich in seinem Zimmer um. Am Fenster stand ein Schreibtisch, auf dem sich einige Hefte und viele Stifte tummelten. Die Wände waren voll mit Postern exotischer Orte und in den Bücherregalen fanden sich neben allerlei Abenteuerbüchern auch Comics und achtlos hineingestopftes Spielzeug. Über seinem Bett schwebte ein Mobile, was Kicki seltsam fand. War er nicht ein wenig alt dafür? Sie nahm es vorsichtig in Augenschein. Da verstand die kleine Fee, warum er es nie abgenommen hatte: Es waren acht Lindwürmer, die bei der kleinsten Luftbewegung anfingen zu tanzen. Die kleinen Figuren hatten echt aussehende Flügel, vier Füße mit Krallen und spitz zulaufende Schwänze. Sie waren aber so klein, dass sie richtig niedlich aussahen und plötzlich kicherte Kicki. Sie wusste genau, wie sie Thomas aus seinem Buch reißen konnte! Ohne weiter nachzudenken, griff sie ihren Traumstaub und stäubte ihn nicht über den Jungen, sondern das Mobile! Hätten die anderen Feen sie gesehen, wären sie sehr erschrocken. Denn was Menschenkindern einen friedlichen Schlaf mit schönen Träumen schenkte, bewirkte bei Gegenständen das genaue Gegenteil! Und so kam es, wie es kommen musste: Die acht kleinen Lindwürmer wurden lebendig.

Kindergeschichten - zum vorlesen, einschlafen, zusammen Spaß habenWhere stories live. Discover now