1. Zwischenspiel

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Verflucht sei das Chaos. Verflucht seien die Herolde. Verflucht seien die Götter.
Harald klappt wütend das Buch der Stadt zu und legt den Stift weg. Er blickt nicht einmal auf, als sein Bruder durch das steinerne Tor des Rathauses eintritt. "Alles normal, keine Anzeichen von Unheil", verkündet er. Harald spürt den zögernden Blick von ihm und seufzt. "Gibt es noch was?" Sein Bruder nimmt die Einladung an und tritt zu ihm an seinen Schreibtisch. "Die Leute könnten mal wieder ermunternde Worte von ihrem Bürgermeister gebrauchen", sagt er mit gedämpfter Stimme. "Die letzten Wochen waren nicht gerade rosig." "Wann waren sie das schonmal?", fragt Harald gereizt zurück. "Die Information, dass die Chaoskrieger uns in Ruhe lassen muss Beruhigung genug sein." Erst jetzt hebt er den Blick und sieht in die stechenden blauen Augen seines Bruders. Er steht in voller Rüstung und mit Degen an seiner Seite vor ihm und strahlt wie immer mehr Autorität aus als Harald. Seine langen glatten Haare hängen offen auf seinen Brustpanzer, seinen Helm scheint er heute nicht mit auf die Patroullie genommen zu haben. Er ist weitaus größer, muskulöser und attraktiver als Harald, und wie er findet auch wesentlich besser geeignet für den Job als Bürgermeister. Es ist ihm unbegreiflich, wie er auf sein Recht als älterer Bruder verzichten konnte, nur um Hauptmann der Wache zu werden.
"Sieh mich nicht so an, Lorian", sagt Harald, als er seinem Blick nicht mehr standhalten kann. "Was soll ich ihnen denn sagen? Es ist ja nicht so, dass ich irgendeine Hoffnung hegen würde, dass bessere Zeiten kommen werden." Lorian schüttelt nur den Kopf und sieht seinen jüngeren Bruder enttäuscht an. "So hat Vater uns nicht erzogen." "Dich vielleicht nicht!", keift Harald beinahe. "Mich hat er überhaupt nicht beachtet!" Sein Bruder verdreht nur die Augen und dreht sich um. "Dann eben nicht." Als er die Hälfte des Raumes durchquert hat wendet er sich nochmal um. "Du magst die Hoffnung verloren haben, aber ich werde meine Hoffnung für dich niemals aufgeben." Harald will etwas erwiedern, doch ihm fällt nichts passendes als Antwort ein. Also nickt traurig und blickt Lorian hinterher, als dieser weiter Richtung Tür geht.
Als diese aufgerissen wird, zucken beide Brüder zusammen. Ein Soldat stürmt hektisch in das Rathaus und beginnt zu schreien: "Ein Angriff! Dämonen! Sie sind hier!" "Wie-" weiter kommt Harald nicht, denn etwas reißt den Soldaten zurück nach draußen und ein Schrei dringt in das Gebäude. In Sekundenbruchteilen gesellen sich etliche weitere Schmerzensschreie dazu und während Harald wie betäubt auf seinem Stuhl sitzt reißt Lorian seinen Degen aus der Scheide und stürmt Befehle rufend nach draußen. Einen Moment später erwacht aus Harald aus seiner Starre und springt auf. Im Gegensatz zu seinem Bruder besitzt er keine Waffe, aber er hat das Bedürfnis trotzdem irgendwas zu tun. Also rennt er bis zur Tür und muss sich zusammenreißen, als ihn die Übelkeit überkommt. Dutzende Leichen von brutal hingerichteten Dorfbewohnern liegen überall auf dem Hauptplatz herum. Er sieht alte Bekannte und Freunde, den alten Bauern Maggot und seine Frau, den jungen Soldaten, der vor wenigen Momenten noch schreiend in das Rathaus gestürmt war. Voller Schrecken sucht er den Boden nach seinem Bruder ab, da stößt ihn genau dieser an. "Was machst du hier?! Geh wieder rein, verbarrikadiere die Tür und beschütze dein Leben!" Er wird zurück in den Raum gestoßen und fällt fast hin, doch er schafft es, sich auf den wackeligen Beinen zu halten. Aber bewegen kann er sich nicht. Wie hypnotisiert betrachtet er das Gemetzel vor der Tür. Auf dem Hauptplatz des Dorfes steht seit Ewigkeiten eine alte Eiche, die jetzt von ersten Flammen rot angeleuchtet wird. Es laufen Chaoskrieger durch das Dorf, seltsame Monstrositäten, große Muskelberge mit Tierköpfen und Waffen aller Art. Er sieht Speere, Morgensterne und bei einigen Kriegern mit Bärenköpfen sogar tatsächliche Krallen, wie bei einem echten Tier. Und dahinter stehen zwei Personen - zwei Dämonen. Beides scheinen Frauen zu sein, die eine mit orangenen Augen und dämonischen Flügeln, die andere ohne Flügel und mit bläulichen Augen. Sie strahlt keine so überwältigende Bosheit aus wie die erste, deren Augen sich jetzt auf Harald fokussieren. Von entsetzlicher Angst ergriffen setzt sich sein Körper schließlich doch wieder in Bewegung und er rennt zurück zu seinem Schreibtisch.
Er hat ihn noch nicht ganz erreicht, da hört er schon das Splittern der Rathaustür.

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