𝘌𝘐𝘎𝘏𝘛, nie wieder normal

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( noah ) manches sieht man nur,
wenn man die augen schließt
.・。.・゜.・゜・。.

Ich hatte mein Handy ausgeschaltet sobald meine Nachricht die verräterischen blauen Häkchen erhalten und Colin sie somit gelesen hatte. Es war nur eine Mensa-Einladung, das machte man sogar mit Menschen die man erst einmal getroffen, geschweige denn mit jemandem, mit dem man ein Jahr lang ein Zimmer geteilt hatte. Es gab also wirklich keinen Grund zum ausflippen. Wenn er nein sagte, dann hatte das nichts zu bedeuten.

     Rosa rekelte sich und fasste mir unerwartet direkt ins Gesicht. Sie schien sich dabei noch mehr zu erschrecken als ich und zuckte zurück. „Noah!"

     „Gut erkannt", entgegnete ich möglichst cool, obwohl ich mich selbst beim aufwachen auch kurz vor einer Panikattacke befunden hatte. Fakt war aber, dass wir beide noch die Klamotten des letzten Abends trugen und ihr Lippenstift definitiv schon Stunden bevor wir die Party verlassen hatten ruiniert gewesen war. Der pausierte Film auf meinem Laptop und die fünf halbvollen Gläser Wasser neben dem Bett ließen vermuten, dass unser Ziel schnelles Ausnüchtern gewesen war. 

     „Äh, guten Morgen", murmelte Rosa und rieb sich hastig die Augen, als hoffe sie, ich würde nach dem erneuten Blinzeln verschwinden. Tat ich aber nicht, weshalb sie – genau wie ich etwa eine halbe Stunde zuvor – einen prüfenden Blick unter ihren Teil der Bettdecke warf.

     Ich sah sie etwas entschuldigend an. „Ich wäre gegangen, um dir den Schock zu ersparen, aber das hier ist mein Zimmer." Ich sah mich noch einmal um. „Glaube ich."

     Rosa lachte leicht auf, was mich ebenfalls erleichtert einatmen ließ. Dann ließ sie sich wieder auf das Kissen zurückfallen. „Nein, nein, das ist es nicht. Ich... dachte wir hätten – du weißt schon. Und ich schlafe eigentlich nicht mit Erstsemestern."

     „Ach, aber mit ihnen rummachen ist in Ordnung?", fragte ich schnippisch zurück, woraufhin sie schuldbewusst grinsend die Schultern hob. Ich war nicht wirklich sauer, aber definitiv verwirrt. Von mir selbst.

     „Ich war sehr betrunken."

     „Ich weiß."

     „Wie lange bist du schon wach?" Ich zuckte die Schultern.

     „Keine Ahnung. Nicht lang. Willst du einen Kaffee?"

     „Nein, danke, von Koffein muss ich kotzen." Ich sah sie verwirrt und etwas missbilligend an, bevor ich mich quälend aus dem Bett erhob und das Zimmer verließ. Meine Mitbewohner hatten scheinbar beide ebenfalls woanders übernachtet, weshalb Rosa und ich die Wohnung für uns allein hatten. Irgendwie hatte ich den Drang mich um sie zu kümmern, obwohl sie mit ziemlicher Sicherheit sowohl die Ältere als auch die Erfahrenere von uns beiden war.

     Ich hörte nur im Hintergrund wie sich die Badezimmertür öffnete und schloss. Sie würde das schon hinbekommen. Zumal ich selbst vermutlich weniger Orientierung in dieser Wohnung hatte als sie. Hoffentlich gab es noch Zahnpasta.

     Der Kaffee, welchen ich mir eigentlich als Rehabilitationsmittel vorgestellt hatte, schmeckte bitter und war zu heiß. Aber Wasser würde nicht reichen um das elendige Pochen hinter meiner Schläfe unter Kontrolle zu bekommen, weswegen ich die ekelhafte Flüssigkeit so schnell trank wie möglich.

     „Meine Güte, ich sehe furchtbar aus", sagte Rosa, obwohl sie definitiv nicht furchtbar aussah, als sie aus dem Bad kam. Sie hatte sich die Haare gekämmt und abgeschminkt, wodurch sie irgendwie noch verletzlicher aussah als vorher. Doch noch bevor ich etwas Dummes sagen konnte bemerkte sie meinen Blick. „Ich hoffe, du überlegst gerade nicht, wie du mir am besten helfen kannst. Das hier ist nicht einmal mein schlimmster Kater diese Woche." Sie lachte und grinste mich dann vorwurfsvoll an. „Außerdem siehst du noch furchtbarer aus als ich."

     Reflexartig tastete ich auf meinen Kopf und bemerkte, dass sich mein Zopf gelöst hatte und meine Haare deswegen zur Hälfte über meine Schultern hingen und zur Hälfte immer noch straff nach hinten gehalten wurden. Ja, vermutlich hatte sie recht.

     Ich nahm einen weiteren Schluck aus meiner Kaffeetasse und füllte sie dann ungehemmt noch einmal auf. Rosa sah mir etwas angewidert dabei zu, sagte aber nichts. 

     „Also... machst du so etwas öfter?", fragte ich zögerlich. Ich war mir nicht einmal sicher, was genau ich meinte, schließlich hatten wir nichts getan außer uns zu küssen und in einem Bett zu schlafen. Mein Tonfall klang auch etwas vorwurfsvoller, als ich die Frage eigentlich gemeint hatte, weshalb sie eine Augenbraue hob und mich kurz misstrauisch anschaute.

     „Du etwa nicht?"

     „Ehrlich gesagt, nein." Jetzt sah sie doch tatsächlich etwas überrascht aus und ich revidierte meine Aussage. „Na ja, zumindest seit einer Weile nicht mehr."

     „Seit einer Weile? Wie alt bist du, 19?" Sie lachte leicht, schien aber ehrlich interessiert. Ich war mir nicht sicher, ob ich darüber reden wollte oder konnte. Schließlich kannte ich sie kaum. Aber irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass sie sehr viel offener war, als ich glauben wollte. Bisher hatte sie mich schließlich noch nicht verurteilt. Zumindest nicht offen.

     „Ich hatte eine Phase während des Abis."

     „Das klingt ja, als hätte es wahnsinnig viel Spaß gemacht." Ihre Stimme triefte vor Sarkasmus und ich lachte leise auf, bevor ich noch einen Schluck Kaffee trank und den Rest dann in die Spüle kippte.

     „Ich bin nicht unbedingt stolz drauf", antwortete ich wahrheitsgemäß.

     „Hat doch nichts mit stolz sein zu tun", entgegnete sie beinahe bevor ich den Satz beendet hatte. Ich füllte ihr ein Glas Wasser auf und sah sie fragend an. „Wenn du Bock darauf hattest, dann hattest du Bock darauf. Solang die anderen Beteiligten das auch hatten, ist doch alles gut."

     „Ja, natürlich. Ich meine nur... Ach, ne, scheiß drauf."

     „Nein, das will ich jetzt wissen. War Abi-Noah ein Arschloch?" Ich verzog schuldbewusst das Gesicht, was sie zum lachen brachte. „Nein! Wirklich?"

     „Es ist kompliziert. Ich war... unsicher. Und vielleicht ein bisschen schlecht darin, das zu kommunizieren."

     „Typisch Männer. Haben keine Ahnung wer sie selbst sind oder was sie wollen, aber müssen unbedingt herum-vögeln." Sie nahm sich einen Apfel aus dem Korb der in der Mitte des Küchentisches stand und biss hinein. „Sorry, aber ihr seid echt alle gleich manchmal."

     „Ja, vielleicht", murmelte ich mit einem versöhnlichen Grinsen. „Aber jetzt bin ich kein Arschloch mehr."

     „Das wird sich zeigen." Wir schwiegen uns für eine Weile an, doch dann erhellte sich ihr Gesicht, als hätte sie eine Eingebung. „Der Junge von der Party! Er ist einer von deinen es-ist-kompliziert-s!"

     Beinahe wäre mir die leere Kaffeetasse aus der Hand gefallen, doch ich riss mich zusammen. Dann schluckte ich schwer und lächelte sie an. „Das ist auch kompliziert."

𝙁𝘼𝘿𝙀 𝙄𝙉𝙏𝙊 𝙔𝙊𝙐 ⁿᵒˡⁱⁿWhere stories live. Discover now