23. Auf der Kreuzung

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Die Zigarette schmiss er weg, in einem weiten Bogen. Dabei traf er fast ein Kind. Egal. Scheißegal. Welche Rolle spielte das noch? 

Es gab nur eine Möglichkeit für ihn, dieser Unruhe ein für alle Mal zu entkommen. Obwohl es eigentlich schade war, ihm blieb keine Wahl. 

Er stand noch einige schnelle Herzschläge dort, vor der Ampel und schaute den Auto zu, wie sie an ihm vorbeifuhren. Manche schneller, manche langsamer. Er musste auf jeden Fall eines der schnelleren erwischen, wenn er erfolgreich sein wollte. 

Er spürte jeden Atemzug, jeden Herzschlag und jede Bewegung, alles übertüncht von diesem Verlangen in ihm drin, dem er nicht nachgeben konnte. Vielleicht wäre es egal gewesen, was passiert wäre und er wäre immer hier gelandet. Nicht unbedingt an diesem Ort, aber in so einer Situation. Vielleicht auch nicht, wer konnte das wissen? 

Ein LKW hielt vor einer roten Ampel. Mit einem Zischen wich der Druck von den Bremsen. Das würde er sein. Innerlich ließ er alles hinter sich, in der Realität lief er ein Stück die Straße hinunter, in die Richtung, in die der LKW fahren würde. 

„Geht es Ihnen gut?" Ein braunhaariger großer Mann kam auf Marko zu, etwas älter als er. Er spürte eine Hand auf seiner Schulter und schüttelte sie sofort ab. 

„Ja", brummte er und ging weiter. Was geht ihn das an? 

Jetzt konnte er es nicht mehr durchziehen. Diese Worte brachten etwas in ihm zum Klingen, von dem er gedacht hatte, dass es schon seit langer Zeit verstummt gewesen wäre. Er wollte sauer auf den Fremden sein, doch aus irgendeinem Grund auch gelang ihm das nicht. 

Also lief er zurück in die Herberge. Dort würde ihn niemand stören. Auf dem Weg dorthin hörte er den Verkehr überdeutlich in seinen Ohren hallen. Die Herberge fand er schnell wieder, aber er legte den Weg zurück, ohne es richtig wahrzunehmen. Bevor er sie betrat, holte er noch einmal tief Luft. 

Erst als er über die Türschwelle trat, merkte er, dass ihm Tränen über das Gesicht liefen.

Geht es dir gut? War es so schrecklich, diese Frage von Freunden zu erwarten, wenn sie sogar ein Fremder stellte? Aber sie hatten geschwiegen und zugesehen. Die ganze Zeit über. 

Schnell ging er durch den unbesetzten Empfangsbereich und wischte sich mit seinem Ärmel über sein Gesicht. Es waren bittere Tränen, die er wegwischte. 

Unruhiger als zuvor kehrte er in sein Zimmer zurück und lief auf den Rucksack zu. Das Verlangen wuchs, sein Herzschlag schwoll an und seine Atmung wurde unruhig. Verdammt seist du, Marko! 

Gefühle herunterschlucken und ertränken, darin war er ein Meister. Immernoch, nach all den Jahren. Was man einmal gelernt hatte, ließ sich nicht so einfach vergessen.

Kurz legte er sich in das Bett, das plötzlich nur noch ungemütlich war, starrte an die Decke und dachte an nichts. Oder fast an nichts. Denn es war wieder da, schlimmer als zuvor. Diesmal begann Marko sogar zu zittern. Aber er hatte es schonmal geschafft. Im Verdrängen war er ein Meister.

Für einige Tage schaffte er das auch. Obwohl sein Verbrechen immer wieder Thema in den Nachrichten war. Er wurde Stammkunde in der Bäckerei. Ironischerweise befand sich direkt daneben ein Geschäft, das Zeitungen verkaufte. An einem Morgen sah er seinen Fall auf dem Titelblatt. Mit einem Symbolbild. Was hätten sie auch sonst nehmen können? Sie wussten lediglich, dass es Freddy Krüger war, der das Verbrechen begangen hatte. Vorausgesetzt, Lisa hatte dichtgehalten.

Und dann kam der Tag, an dem er erstarrte, als er die Herberge verlassen wollte. Im Foyer befand sich ein kleiner Fernseher, der Ton war ausgeschaltet, aber es war nicht nötig. Das Bild, sein Bild, sagte mehr als tausend Worte.

Von Panik ergriffen machte er auf dem Absatz kehrt und rannte in sein Zimmer, knallte die Tür zu und sah sich um. Wo sollte er jetzt hin? Es war egal, sie kannten sein Gesicht. Seinen Namen. Lisa, diese Schlampe!

Seine Augen huschten von dem Bett zum Bad und wieder zurück. Blieben kurz an dem Fenster hängen, bevor er den Rucksack sah.

Es war egal, was er jetzt tat, sie würden ihn erwischen. So oder so. Außer ...

Marko lief auf den Stuhl zu, auf dem er sein Gepäck gelassen hatte.

Als er den Schraubendreher aus dem Rucksack nahm und die Spitze betrachtete, brach die Hölle los. 

Teure RacheWhere stories live. Discover now