03 Harry

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Am nächsten Morgen verließ ich das Haus gegen halb neun. Als ich die Straße entlanglief, weder verkatert noch unausgeschlafen, war ich beinahe etwas stolz auf mich.
Ich hatte mich gestern Abend weder dazu hinreißen lassen Poppy zu schreiben, noch hatte ich nachgegeben und war mit meinen Kumpels mal wieder bis in die Morgenstunden auf irgendeiner Party versackt. Ich hatte das Handy zur Seite gelegt, die Augen auf den Fernseher geheftet und meine Einsamkeit mit offenen Armen empfangen.
Okay nein, das stimmte nicht. Ich hatte sie wohl oder übel über mich hinein brechen lassen und versucht sie auszuhalten.
Das konnte ich nicht, eigentlich.

Doch Luke, mein bester Freund und Arbeitskollege, hatte mir vor ein paar Tagen den Kopf gewaschen.
Er hatte genug von meinen Drogenexzessen, Sauftouren und all den gebrochenen Herzen, die ich auf diesem Wege verursachte und welche mich dann nicht weiter scherten.
Zumindest hatte er das so gesagt.
Luke neigte dazu, Dinge zu überdramatisieren. Aber er hatte einen wunden Punkt getroffen, denn tief in mir, wusste ich auch, dass es so nicht weitergehen konnte.
Doch verdammte scheiße war das schwer.
Durch die Arbeitszeiten in der Küche lag ich oft tagsüber im Bett, ich war nicht selten verkatert, hatte grundsätzlich zu wenig Schlaf und der Stress in der Küche nagte an mir.
Mein Umfeld und Freundeskreis war die pure Versuchung. Die Menschen um mich herum lebten zu großen Teilen ein ähnliches Leben und da ich in London gut vernetzt war, fand ich auch immer jemanden, der mit mir feiern wollte.
Aber ich hatte den Boden unter den Füßen verloren.
Deswegen versuchte ich all dem etwas aus dem Weg zu gehen, um mir und Luke zu beweisen, dass ich auch anders konnte.
Aber konnte ich das?
Ich seufzte und schüttelte den Kopf. Genug davon.

Als ich an dem Hotel ankam, in dem ich als Koch arbeitete, lief ich direkt Luke in die Arme. Er arbeitete sich hier gerade zum Hotelmanager hoch und wir waren vor Schichtbeginn verabredet.
Er stieg gerade aus seinem Wagen, wir begrüßten uns und ich zündete mir eine Zigarette an „Und alles klar?", fragte er locker und steckte die Hände in die Jackentaschen.
Ich nickte.
Meine Gedanken kreisten noch immer etwas zu sehr, um Party und Konsum und ich war genervt, denn es zeigte mir, dass es mir bereits fehlte, meinem Körper bereits fehlte und das nach drei Tagen Pause.
Ich seufzte. Nickte noch einmal und fragte dann: „Hast du Lust was um die Ecke essen zu gehen?".

Luke entschied sich für einen kleinen mexikanischen Laden, in dem es die besten Frühstücksburritos in ganz London gab.
Während wir hinliefen, es war nicht weit, erzählte Luke mir ein wenig von seinem Morgen.
Er und seine Frau Isla suchten zurzeit nach einer größeren Wohnung und er hatte heute bereits drei Besichtigungen hinter sich. Die Hölle.
Ich fragte mich, ob die beiden bereits Kinder in Planung hatten. Ich wusste, dass Luke unbedingt welche haben wollte, doch konkret hatte ich dazu nichts gehört.
Ich wollte fragen, ließ es aber dann doch bleiben.
Sein Alltag unterschied sich in unglaublichen vielen Dingen von meinem. Wenn ich mir das vor Augen führte, schwankte ich oft zwischen Neid, auf seinen geregelten Lebensweg und Dankbarkeit, dass mein Leben nicht so aussah.
Wir hatten uns vors Restaurant gesetzt und tranken einen Kaffee während wir auf unser Essen warteten.
Die Luft war kühl heute, doch die Sonne kam heraus und wärmte angenehm meine Haut.

„Und", fragte Luke, „was hast du gestern Abend so gemacht?".
Er warf mir einen ganz unschuldigen Blick über seine Kaffeetasse hinweg zu und nahm dann einen schlürfenden Schluck. Ich verdrehte die Augen.
„Ich war Zuhause, aufm Sofa und bin um 12 ins Bett gegangen".
Luke grinste. „Harold", sagte er anerkennend, „Abend Nummer drei".
Ich schnaubte, trank ebenfalls einen Schluck Kaffee und dachte plötzlich an Liz, Jamies schöne Freundin.
Ob die zwei was miteinander am laufen hatten?
„Erinnerst du dich an meinen Nachbarn, Jamie?", fragte ich dann und Luke überlegte kurz. Luke hatte eine Weile bei mir gewohnt, als er aus seiner alten Wohnung raus musste und er und Isla noch nicht bereit waren, um zusammen zuziehen. Das war schon eine Weile her, aber Jamie hatte damals auch schon bei mir im Haus gewohnt.
„Der Musiker? Von eins obendrüber?".
Ich nickte. „Warum haben wir nie mit dem abgehangen?".
Luke zog irritiert die Augenbrauen zusammen.
Unsere Burritos wurden gebracht und ich biss herzhaft hinein.
„Du bist doch nie Zuhause wie willst du dich da mit deinen Nachbarn anfreunden?", fragte er.
„Aber jetzt bin ich häufiger zuhause", erwiderte ich kauend, „und ich hab ihn gestern mit Freunden im Treppenhaus getroffen".
Luke schien nicht ganz zu verstehen, warum ich ihm das erzählte. Ich wusste es auch nicht genau, aber ich hatte Interesse daran Liz nochmal zu treffen und außerdem mochte ich Jamie.
Er war cool, wir könnten gut miteinander klarkommen und ich hatte absolut keine Ahnung, wie man Freunde fand, stellte ich fest.
Leute kamen irgendwie immer in mein Leben und manche blieben dann auch, manche nicht.
Aber wie fand man aktiv Freunde?

Ich wusste, wie ich Frauen kennenlernte, mit ihnen aus ging und sie datete oder auch nur mit ihnen schlief.
Das wusste ich. Aber wie machte man jemand denn zu seinem Kumpel?
Nachdenklich biss ich erneut in meinen Burrito.
Ich wollte Liz kennenlernen und Jamie zum Kumpel. Im besten Falle konnte man das ja verbinden.
„Was ist los mit dir?", fragte Luke.
Ich winkte ab. Unwichtig. Erzählte es aber dann doch.
„Jamie hatte gestern eine Freundin dabei und Luke, sie war heiß. Aber sie ist nicht nur schön, Liz ist witzig und schlagfertig und ich glaube sie ist echt spannend. Ich habe nur kurz mit ihr gesprochen, aber ich glaube da war ein Moment bei mir in der Küche, in dem sie mich auch anziehen fand. Ich muss sie kennenlernen".
„Wieso war sie in deiner Küche?", fragte Luke. Ich schien ihn heute ständig zu verwirren.
„Ich hab ihren Finger verarztet. Aber darum geht's nicht", Luke unterbrach mich grinsend: „Harry, wie schaffst du es, dass du sogar an einem Abend auf dem Sofa ein Mädchen kennenlernst?"
Ich schmunzelte. „Ich hab sie ja nicht wirklich kennengelernt. Aber ich würde es so gerne".
„Luke, wie stell ich das an?".

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⏰ Last updated: Jan 13 ⏰

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Skinny DippingWhere stories live. Discover now