"Möchtest du etwas Spezifisches essen?" "Übernimm du das. Du kennst dich da besser aus. Aber können wir wieder diese einen Chips holen?" Ich mochte es, dass sie sauer waren. "Natürlich, Shirin. Heute wird es noch bis in die späten Abendstunden angenehm warm sein. Wir können uns dann im Garten wieder durch Snacks durchprobieren." Ich freue mich! Aber aktuell noch mehr auf meine neuen BHs. "Möchtest du dir nichts holen?" "In vielen Fällen lasse ich mir Termine geben." "Für Klamotten?", frage ich verdutzt. Miran nickt summend und zieht mich von der Straßenseite weg nach links. "Maßanfertigungen, Beratung, Präsentieren neuer Modelle, Shirin." Wie öde. "Also ich gehe einfach in den Laden und finde meine meisten Sachen im Sale." Meine Wintersachen kaufe ich im Sommerschlussverkauf und meine Sommersachen im Winterschlussverkauf. So habe ich für ein Kleid 2,99 statt 24,99 gezahlt. Schnäppchen! "Brauchst du nicht mehr." Das denkt er vielleicht, aber das können wir ein anderes Mal diskutieren. Miran führt mich in einen Laden, der ein wenig mehr Licht nötig hat. Oh ... Victoria's Secret. "Gibt es auch günstigere Läden?" "Beleidige mich nicht, Shirin." Huch! Seine Stimme ist rauchiger, aber auch so viel ... sinnlicher. Ich habe das Gefühl, unter seinen Händen, die sich von hinten auf meine Schultern legen, zu schmelzen. "Such dir aus, was immer dich anspricht", raunt er mir zu, drückt anschließend meine Schultern und schenkt mir einen Kuss auf die Schläfe.

Miran versichert mir jedes Mal, dass er für mich sorgen kann und möchte, ohne jemals mit seinem Vermögen zu prahlen. Das ... das stellt etwas mit mir an. In meinem Gehirn beginnt dann immer ein Areal zu schnurren. Ich schaue mich um und erblicke ein Set, in das ich mich sofort verliebe. Ich brauche es. Ich brauche es jetzt sofort. Es ist ein hellgrünes Unterwäsche-Set mit bestickten, rosa Rosen und einem gleichfarbigen Morgenmantel aus feinstem Meshstoff mit satinierten Rändern und Kragen. Selbst an den Ärmeln sind Blumenstickereien. Ich bin verliebt! "Du hast dich verliebt." Ich nicke. Ich nicke kräftig. Es ist wunderschön. "Es gibt auch ähnliche Modelle, die du dir ansehen solltest." "Eins reicht. Die sind teuer", flüstere ich hypnotisiert. "Beleidige mich nicht, Shirin", ermahnt er mich. Ich seufze. Mein Kopf ist zu sehr mit diesem wunderschönen Set beschäftigt, als dass er sich auf Mirans Verärgerung konzentrieren kann. Ich muss nur anhand der Größentabelle schauen, was das Äquivalent zu 85D ist und schon können wir weiter. Ich werde schnell zufriedengestellt und kann mit fünf neuen Sets den dunklen Laden wieder verlassen. Der Kronleuchter war aber schön, das muss ich zugeben.

"Okay, ich bin eigentlich durch." "Du willst sicherlich noch mehr Lippenstifte und Lipgloss sammeln, die alle die gleiche Farbe haben." Das stimmt nicht! Jeder von ihnen hat eine andere Nuance, aber was versteht ein Mann schon davon? Aber gut, wenn er schon davon spricht, kann ich ihn vom Gegenteil überzeugen und siehe da! Ich habe fünf neue Lippenstifte und dieses Mal nur zwei Lipglosse. Miran ist heute jedoch ziemlich vorwurfsvoll, sodass ich mich jedes Mal beweisen muss und einen Laden mit wenigen Sachen wieder verlasse, sodass er am Ende zehn Tüten trägt. Er hat mich ausgetrickst! Sein kleines Schmunzeln verrät es mir. "Du bist ein Gauner!" "Nicht doch, Shirin." Er stellt gerade alle Papiertüten in den Kofferraum, an dem er sich, nach dem Abschließen des Wagens, verschmitzt abstützt. "Doch." "Du hast dir schöne Sachen gekauft. Das hat doch nichts mit mir zu tun." "Du hast mich manipuliert." Er schmunzelt immer stärker. Seine Augen strahlen. "Du brauchst schöne Sachen. Komm, lass uns etwas essen." "Nicht, dass du mich dazu manipulierst, zehn Menüs zu essen." Miran lacht auf, legt dabei für einen Moment den Kopf in den Nacken, sodass ich eine wunderbare Sicht auf seinen Hals und seinen Adamsapfel habe. "Du wirst nach einem Menü inklusive Getränk wieder eine Hochschwangere simulieren. Komm, Shirin." Ich sehe wieder die ganze Liebe und Zufriedenheit in seinen Augen, als er auf mich zukommt und mich zur Beifahrertür begleitet.

Es mag zwar sein, dass mir aufgefallen ist, wie lebendiger Miran hier ist, aber heute wirkt er noch einmal anders. Ich spüre es. Es ist, als würde es um ihm herum leuchten. Kein einziges Mal wirkt er in seinen grauen Gedanken versunken. Manchmal sehe ich mich in seinen Zügen wieder. Das Nachdenkliche. Der Gedanke, am Morgen an einem Ort zu sein, an dem ich mich nicht wohlfühle. An dem ich ausgegrenzt werde. Wie konnte ich jede Nacht mit diesem Kummer einschlafen? Wie konnte ich die rassistischen Aussagen hinnehmen? Sie wussten nicht einmal, welchem Volk ich angehöre. Jeder Schwarzkopf war in ihren Augen ein Türke - etwas anderes kennen sie wahrscheinlich nicht - und mein Verhalten war in ihrem Gemurmel immer typisch Ausländer. Ich schäme mich dafür, dass ich mich manchmal bei meinem Chef sicher gefühlt habe. Es war Verzweiflung, weil er mir wenigstens öfter das Gefühl gegeben hat, ein normaler Mensch zu sein, auch wenn es zu seinem eigenen Nutzen war. Vielleicht habe ich deshalb die sexuelle Belästigung verdrängt. Vielleicht habe ich deswegen fast alle Kommentare heruntergeschluckt. Ich lebte über Jahre in einer Einsamkeit, die niemand füllen konnte. Ich lebte über Jahre mit einer hungrigen Verzweiflung nach Anerkennung und dem simplen Streben nach Sozialisation. Und erst nachts prasselte immer wieder die Demütigung auf mich hinab. Wie würdelos ich doch bin. Wie viel ich leiste und wie wenig ich erhalte. Was ich alles zulasse, nur um Akzeptanz zu erfahren in einer Welt voller Ablehnung.

Ich drücke Mirans Hand fest, ohne ein Wort zu sagen. Ich hoffe sehr, dass das Leuchten seine Augen nicht mehr verlassen wird, auch wenn wir wieder in Hamburg sind. Ich ernüchtere bei meinem Gedankengang und mich verlässt das Gefühl nicht, dass auch er ruhiger ist. Unser Essen verläuft dementsprechend entspannter. Wir lächeln, wir reden ein wenig, aber ich bemerke ganz klar, dass sich meine Energie auf ihn übertragen hat. So sieht Seelenverwandtschaft also aus. Seine Hand verlässt meine kaum beim Essen. Er fährt in Abständen mit seinem Daumen über meinen Handrücken, drückt ihn, um ihn daraufhin wieder zu liebkosen. Auch auf unserem Uber-Boot sieht es nicht anders aus. Hier bin ich gegen seine Brust gelehnt. Eine Hand fährt über meinen Oberarm und die andere drückt meine Hand und meine Finger, die er gerade alle nacheinander mit seinem Daumen und Zeigefinger nachfährt. Wir nähern uns gleich der Tower Bridge. "Besuchst du deine Eltern regelmäßig?" Miran lässt sich Zeit, wie so oft, wenn ich persönlicher werde. "Nein", antwortet er dann aber. Vielleicht, weil er zögerte. Vielleicht, weil er denkt, dass ich ihn deshalb verurteile. Viele können die Distanz zu den eigenen Eltern nicht nachvollziehen. Zu viele - und fast nur unbetroffene - nutzen das Argument, dass es die Eltern sind und man ihnen verzeihen muss. Sie verstehen nicht, dass verletzte Seelen wie Miran eine Abneigung haben. Sie wünschen sich das doch selbst nicht. Sie möchten doch auch viel lieber einen Vater, der Wärme anstatt Kälte gibt.

"Ich meide es tatsächlich auch." "Weshalb, Shirin?" "Weil mich die Erinnerungen vergrault haben. Auf der Arbeit war es Wut, zu Hause war es Einsamkeit. Ich verbinde dort vieles mit meinem Erlebten." Ich atme tief durch. "Ich liebe meine Eltern, aber tief in meinem Inneren ist ein Kern, der ihnen nicht dafür verzeihen möchte, dass sie meine Trauer nicht ernst genommen haben." Miran drückt mich fester an sich. "Konnte deine Mutter dir wenigstens die Wärme geben?" Mir gefällt das kleine Lächeln auf seinen Lippen nicht. Es wirkt müde. "Auch ich trage diesen kleinen Kern in mir. Sie hat mich zwar getröstet, aber was bringen mir Berührungen, wenn ihre Worte seine Taten verharmlosend verteidigen? Er tut es nur aus Liebe. Er macht es nur, damit ich erfolgreich werde." Miran schnaubt und lächelt verachtend. "Was bringt mir der Erfolg, wenn ich nichts spüre, Shirin?" Ich verschlucke mich beinahe an meinen eigenen Worten. Mir war bewusst, dass seine Seele trauert, aber der Satz trifft mich stärker, als ich annehmen konnte ... als ich annehmen kann. Ich drücke mich fester an ihn.

"Spürst du überhaupt nichts?", flüstere ich. Der zarte Wind lässt mich im Augenblick unangenehm frösteln. Miran schweigt wieder. Es ist eine Überwindung für ihn und sicherlich auch ungewohnt, dass ihn jemand anhört. Dass ihn jemand versteht, ohne die Taten seines Vaters zu verteidigen. "Ich kann keine Freude spüren, Shirin. Ich vernehme keine Erleichterung und keine Zufriedenheit. Ich bin einfach nur da." Mich trifft es mehr, als es sollte. Ich weiß, dass es einen Grund hat, aber ein kleiner Teil meines Egos fühlt sich getränkt, weil er meinetwegen keine Freude spürt. Meine Lippen verziehen sich. Nun trifft sein Problem auf meins: Die Angst vor Ablehnung und Suche nach Anerkennung versus das fehlende Vorhandensein der Zufriedenheit und des Glücks. Ich ... ich darf es nicht allzu schlimm sehen, auch wenn mich die Gedanken tief im Inneren langsam zerreißen werden. Ich seufze tief. Soll ich fragen? Was ist, wenn mich seine Antwort verletzt? Ich fahre gedankentrunken über seinen Oberschenkel, als er meine Hand wieder nimmt und sanft drückt. "Dich trifft nichts davon, Shirin. Du erwärmst mein Innerstes." Tief durchatmen, Shirin. Ich darf mich nicht allzu verrückt machen. Miran verschränkt unsere Hände ineinander. "Ich möchte dich nicht besorgen, deshalb rede ich nur selten darüber." "Ja, aber ich möchte mehr wissen", murmele ich. "Du machst dich aber gleichzeitig verrückt, Shirin", tadelt er mich sanft. Ich lächele ertappt. "Die Zukunft sieht anders aus. Wir wachsen, wir heilen, wir leben." Das hat er schön zusammengefasst.

"Wir werden die Fehler unserer Eltern niemals vergessen, doch die Lehre prägt uns dazu, es anders bei unseren Kindern zu machen."

Tollpatschige LiebeWhere stories live. Discover now