(9) Wincent

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Wincent

„Ich glaube, dass du manchmal zu wenig denkst,” meinte Amelie zu mir. Es war wie eine richtige Ansage von ihr. „Ich weiß, ich hab scheiße gebaut”, gab ich leise zu.
„Du kannst sie nicht einfach so stehen lassen.”
„Ja, ich weiß. Mir tut es ja leid. Sie redet kaum mit mir. Und ich habe total das Gefühl, dass sie mir aus dem Weg geht”, seufzte ich. Wie ich das wieder gerade biegen soll, wusste ich nicht. „Sie ist deine Schwester!”, sagte Amelie ernst. „Shayenne kann manchmal echt bockig sein.” Meine kleine Schwester war nicht immer einfach. Diesmal hatte ich es wirklich verkackt. Sie war sauer auf mich, da ich so wenig Zeit für sie hatte. Dazu kam noch, dass ich eigentlich nach dem Date mit Amy mir Zeit für Shayenne nehmen wollte. Ich war allerdings nicht ganz bei der Sache, da ich ständig an Amy und den Kuss denken musste. Meine Schwester merkte, dass ich ihr nicht zuhörte, und seitdem ist sie sauer auf mich. Mir war bewusst, dass ich wenig Zeit für sie hatte, was mir leid tat. Ich wollte für sie da sein, nur bekam ich das gerade nicht auf die Reihe.
„Rede mit ihr”, meinte Amelie diesmal ruhiger. „Sie wartet auf Antworten.” Bei diesen Worten musste ich an Amelia denken. Wir hatten seit dem Kuss nicht wirklich geredet und ich werde das Gefühl nicht los, dass sie mir aus dem Weg ging. Ich sollte mich melden, aber ich hatte etwas Angst davor. „Sie kann nicht wissen, was in dir vorgeht.” Die Worte von Amelie trafen mich. Sie passten nämlich ebenso zu der Situation mit Amy. „Stimmt, du hast ja mit allem Recht, was du sagst. Ich bin manchmal echt blöd. Hast du nicht irgendwie Tipps, wie ich das wieder in Ordnung bekomme?” Sie überlegte kurz. „Verbring Zeit mit ihr. Geh mit ihr etwas essen oder koche für sie heute Abend. Aber auf jeden Fall musst du dich entschuldigen und die Sache erklären. Man Wincent, das ist doch nicht schwer. Sie ist deine Schwester und nicht meine. Du kennst sie besser als ich.” Mir war das alles zu viel. Mein Kopf war voller Gedanken. Ich konnte nicht richtig denken. „Danke Amelie. Ich weiß, sie ist meine Schwester. Ich bekomme das auch schon wieder hin. Danke dir, du bist die Beste.”
„Ich hoffe für dich, dass du das hinbekommst.” Ich nickte. Shayenne war noch immer hier, was passte, da ich es so einfacher habe, mit ihr zu reden. „Anderes Thema, bevor wir hier fortfahren. Du und Amy.” Ich verdrehte die Augen. Eigentlich wollte ich viel lieber über die Tour mit ihr sprechen. Es gab da noch ein paar Dinge, die ich mit ihr klären wollte, doch dieses Gespräch ging in die komplett falsche Richtung.
„Amelie-”
„Ihr zwei würdet ein tolles Paar abgeben. Wie lief das Date eigentlich?” Das war das letzte, worüber ich mit ihr reden wollte. Ohne weiter drüber nachzudenken, stand ich auf. „Danke für deine Tipps. Ich muss los, Shayenne ist schon viel zu lange alleine”, sagte ich schnell und verließ einfach das Studio.

Draußen atmete ich erstmal durch. Das Date mir Amelia war gut, sehr gut sogar, aber das musste Amelie nicht wissen. Ich hatte Amelia geküsst. Es ist einfach so passiert und nun wollte mir das nicht mehr aus dem Kopf gehen. Der Kuss war unfassbar gut und allein der Gedanke daran brachte mich zum Lächeln. Doch das letzte Mal, als ich sie sah, schien sie nicht sehr erfreut darüber gewesen zu sein, mich gesehen zu haben, was mich nun doch verunsicherte. Wir hatten auch noch nicht miteinander geschrieben, auch wenn wir die Nummer des jeweils anderen hatten. Um mir nicht noch mehr Gedanken darüber zu machen, fuhr ich nach Hause, damit ich mich erstmal um meine kleine Schwester kümmern konnte.

„Bin wieder da!”, rief ich, als ich die Wohnung betrat. Es war still, ich bekam keine Antwort. Ich zog mir die Schuhe aus und schaute als erstes im Wohnzimmer, wo ich Shayenne auch vorfand. „Warst aber nicht lange weg”, sagte sie, ohne mich dabei anzuschauen. „Können wir bitte reden?”, fragte ich ruhig. „Worüber denn? Es gibt nichts zu reden.” Das saß, es fühlte sich wie ein tiefer Schnitt an. „Shayenne, es tut mir leid, ehrlich.” Ich setzte mich zu ihr auf die Couch, doch sie drückte mich nur weg.
„Ich will nicht reden.”
„Ich aber. Es tut mir wirklich leid. Ich hab scheiße gebaut.”
„Ja und das nicht zum ersten Mal.”
„Mir tut es wirklich leid. Es war nicht meine Absicht, dich zu vernachlässigen und ich weiß ja, weshalb du hier bist.” Kurz herrschte eine Stille und ich hoffte, dass Shayenne endlich reden wollte. „Du bist meine Schwester, mein kleiner Liebling. Ich möchte nur, dass du weißt, dass es mir leid tut. Ich mag es nicht, wenn wir uns streiten und du sauer auf mich bist. Den restlichen Tag habe ich mir komplett frei genommen, wir können also alles machen, was du möchtest. Aber bitte lass uns erst reden.” Da schaute sie mich an. „Ehrlich?” Ich nickte. Langsam gab sie nach. Sie rückte ein Stück näher zu mir und lehnte ihren Kopf gegen meine Schulter. „Manchmal bist du echt ein Arsch.”
„Das stimmt”, lachte ich. „Aber jetzt erzähl schon, was genau ist zwischen Mama und dir passiert?”
„Hörst du mir auch wirklich zu?”, fragte sie skeptisch. Ich nickte. Sie erzählte mir alles bis ins Detail und ich hörte ihr aufmerksam zu. Es war ein schönes Gefühl, mit ihr auf der Couch zu liegen und mit ihr so ein intensives Gespräch zu führen. Ich versuchte ihr ein paar Tipps zu geben und riet ihr dringend, so schnell wie möglich mit ihr zu sprechen, um die Sache aus der Welt zu schaffen. „Danke Wincent, ich hab das echt gebraucht.” Erleichtert fiel sie mir in die Arme. Diese Momente mit ihr waren Gold wert.

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⏰ Last updated: Dec 18, 2023 ⏰

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