Kapitel 10 - Morgen

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Der Streit mit meinen Eltern ist mittlerweile einen Tag her. Bei dem Gedanken, das Haus gleich zu betreten, wird mir sehr unbehaglich. Sie hatten mir nicht mal darauf geantwortet das ich bei Mary übernachte, was mich aber auch nicht wundert. Das gestern war einfach eine Katastrophe. Ich öffne mit meinem Schlüssel die Haustür und lasse sie sanft hinter mir wieder ins Schloss fallen.

,,Dann mal los", murmle ich schwer atmend vor mich hin.

Ich durchschreite den Flur zur Küche, aus welcher ich meine Eltern bereits reden hören kann. Ich schlucke noch einmal schwer und öffne vorsichtig die Tür. Ich weiß schon das ich gleich sterben werde, ich meine nach gestern würde mich das nicht wundern.

,,Hallo Mutter, hallo Vater", begrüße ich die beiden betont. Wie zu erwarten, keine Antwort, nicht einmal einen Blick würdigen sie mir.

,,Nathan, wo warst du gestern?", fragt mich meine Mutter in einem genervten Ton.

,,I-ich habe bei Mary übernachtet, d-das hatte ich dir doch geschrieben", antworte ich ihr schwer schluckend. Wie auch gestern sah mich keiner von den Beiden an, mein Vater ist hinter seiner Zeitung versteckt und meine Mutter zur Spüle gedreht.

,,Wer hat dir denn erlaubt, dass du das tun darfst?", spricht sie mittlerweile schon in einem wütenden Ton.

,,Mutter... es tut mir leid, was gestern...", versuche ich mich zu entschuldigen, bevor sie mich unterbricht.

,,Dir tut es leid?", fragt sie ironisch und hustet dabei, kurz darauf dreht sie sich um.

In einem tiefen, düsteren Ton, der durch Mark und Bein geht, spricht sie: ,,Mir tut es leid, dass ich dich verdammt nochmal geboren habe."

Ich jedoch erstarre nur vor Entsetzen. Anstelle ihres Gesichts sehe ich nur einen schrecklichen Abgrund, einen leeren Raum, der in die Dunkelheit führt. Keine Augen, keine Nase, nur das schwarz verschlingende nichts. Ein furchterregender Schauer durchläuft meinen Körper, ich kann keinen klaren Gedanken mehr fassen. Was zur Hölle geht hier ab. Plötzlich nimmt mein Vater seine Zeitung runter und steht auf, er sieht genauso aus wie meine Mutter. Mein Herz beschleunigt sich rasend schnell, gefürchtet gehe ich einen Schritt nachdem andere zurück. Meine Eltern stehen nur starr da und legen ihren Kopf auf die Schulter.

,,Nathan wo willst du denn hin? Du musst doch geheilt werden", sprechen die beiden synchron in einem tiefen, düsteren Ton.

,,Lasst mich verdammt nochmal in Ruhe", schreie ich vor Tränen erfüllt, doch meine Stimme wird von der Dunkelheit verzerrt. Panisch ergreife ich die Flucht und rette mich durch die Tür, welche ich sofort hinter mir zu knalle und kurz darauf an ihr herunterrutsche.

,,Was ist das nur für ein kranker Scheiß, verdammt, das muss doch ein kranker Alptraum sein", flüstere ich aufgelöst vor mich hin, während ich mir die Hände vors Gesicht halte.

,,Nathan, kommst du jetzt? Die Sitzung hat bereits angefangen, ich habe nicht ewig Zeit."

Nein, das kann nicht sein, bitte lass das nicht real sein. Ich öffne meine Augen vor Schock, nachdem ich diese genervte Stimme gehört habe. Ich finde mich stehend wieder und erblicke vor mir den Sessel meines Therapeuten, in welchem er sitzt und gegenüber steht der kalte Stahlstuhl. Ich schlucke schwer und gehe Schritt für Schritt zu ihm rüber. Zitternd am ganzen Körper setze ich mich auf den Stuhl und blicke zum Therapeut. Keine Sekunde später steigen Tränen der Verzweiflung in mir auf. Er hat wie meine Eltern kein Gesicht, was zur Hölle passiert hier nur, bitte lass das endlich enden. Vor Schock fange ich an, hastig nach Luft zu schnappen, während ich meinen Therapeuten weiter verzweifelt ansehe.

Gegen den Strom - Nathans Kampf für Akzeptanz (2)  [Band 1]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt