eine gute Nacht

0 0 0
                                    

"So langsam bekomme ich Hunger. Möchten sie auch etwas?" erkundigt Richard sich irgendwann bei ihr. Die letzte Zeit haben sie in einvernehmlichen Schweigen miteinander verbracht. Einen Moment lang hat Richard dabei seine Hand noch auf der ihren liegen gelassen, bis er sie irgendwann zurückgezogen hat und sie einfach nur nebeneinander gesessen haben. Nun aber hat er sich erhoben und steht schon im Durchgang zur Küche. "Hunger habe ich nicht wirklich, aber etwas essen sollte ich wohl trotzdem." meint Ellen. "Kann ich ihnen irgendwie behilflich sein?" bietet sie ihm dann an. Richard lehnt kopfschüttelnd ab. "Ruhen sie sich noch etwas aus." fordert er sie auf und macht sich an die Arbeit. Er weiß, dass Ellen gerne Fisch mag und so bereitet er einen kleinen Fischsalat zu. Und Ellen ist eigentlich ganz dankbar, dass er ihre Hilfe nicht braucht. Sie merkt gerade, wie fertig sie wirklich ist, durch diese ganze Sache. So ist es ganz verlockend einfach hier sitzen bleiben zu können und auch etwas auszuruhen.

Als Richard mit dem fertigen Salat das Wohnzimmer betritt, stellt er fest, dass Ellen auf seinem Sofa eingeschlafen ist. Die Anstrengungen und Aufregungen des Tages haben ihren Tribut gefordert. Leise stellt er die Schüssel auf dem kleinen Esstisch ab, dann geht er zu ihr herüber, nimmt die Decke vom Sofa und breitet sie sorgfältig über seiner Kollegin aus. Dabei fällt sein Blick auf ihren Hals. Blassblau, aber dennoch eindeutig kann er erkennen, wo Döring sie gewürgt hat. Wütend ballt er die Hände zu Fäusten. Wie konnte diese Kerl nur so weit gehen? Und er selbst ist schuld an dem ganzen Schlamassel. Hätte er sich doch bloß nicht versetzen lassen oder hätte er wenigstens früher eingegriffen heute. Er kann nur hoffen, dass die sichtbaren Verletzungen das einzige sind, was dieser Abend zurückgelassen hat. Aber immerhin schläft sie jetzt. Das ist gut so und lässt ihn zuversichtlich sein, dass sie früher oder später mit dem Erlebtem klar kommen wird. Er wird sie jetzt erstmal schlafen lassen. Essen kann sie auch später noch, er kann den Rest ja einfach kalt stellen.

Gerade als er die erste Gabel voll Fisch im Mund hat, klingelt das Telefon. Eilig erhebt er sich, damit das Geklingel Ellen nicht aufweckt. "Block." meldet er sich kurz angebunden. "Richard, Rolf hier. Wir sind in Frau Wegeners Wohnung jetzt durch. Wir haben alle Spuren des Abends beseitigt und unsere Ausrüstung wieder abgebaut. Die Spurensicherung hatte ganz schön Dreck hinterlassen mit ihren Schuhen hier. Dietmar hat aber noch schnell durchgewischt und auch das Geschirr gespült. Frau Wegener kann also getrost nach Hause kommen." erklärt Rolf. An den Türrahmen gelehnt blickt Richard auf Ellen, die noch immer tief und fest schläft. "Sie ist gerade eingeschlafen. Ich will sie jetzt nicht wecken." sagt er. "Wie geht es ihr?" erkundigt Rolf sich dann besorgt. Richard erzählt von ihren Sorgen bezüglich ihrer Weiterarbeit. "Meinst du, du bekommst es hin, dass ich wieder in eure Schicht zurück wechseln kann?" beendet er seinen kurzen Bericht. "Klar. Ich freue mich dich wieder an Bord zu haben, Richard!" sagt Rolf aufrichtig. Richard ist immerhin nicht nur ein Kollege, sondern im Laufe der Zeit auch ein Freund geworden. Ein Freund, den Rolf nur zu gerne wieder in seinem Team willkommen heißt. Und das nicht nur seinetwegen, sondern auch deshalb, weil Richard wohl der einzige ist, der das Lächeln wieder zurück auf Ellens Gesicht bringen kann. Auch wenn Richard selbst das wohl gar nicht so genau weiß. Aber Rolf beobachtet diese besondere Beziehung zwischen den beiden schließlich schon seit geraumer Zeit.

Am nächsten Morgen schleicht Richard zuerst leise ins Bad, wo er sich für den Tag fertig macht und dann in die Küche um ein kleines Frühstück vorzubereiten. Ein Blick auf das Sofa zeigt ihm, dass seine Kollegin noch immer schläft. Die Beruhigungsmittel scheinen ihre Wirkung nicht verfehlt zu haben. Kurz hatte Richard gestern Abend mit dem Gedanken gespielt seiner Kollegin das Gästezimmer herzurichten und sie rüber zu bringen, aber er wollte nicht riskieren sie zu wecken, sie braucht den Schlaf, so übernächtigt wie sie in letzter Zeit offenbar war. Außerdem wollte er nicht, dass sie in einer fremden Umgebung aufwacht, ohne zu wissen, wie sie dort hin gekommen ist. Sein Wohnzimmer ist ihr immerhin durch frühere Besuche und den vergangenen Abend bei ihm etwas vertraut.

Als er fast mit den Vorbereitungen fürs Frühstück fertig ist, erscheint Ellen in der Tür. Verschlafen streicht sie sich mit der Handkante eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die sich in der Nacht aus der Frisur gelöst hat. "Guten Morgen." murmelt sie dabei leise und etwas unsicher. Richard dreht sich zu ihr herum und lächelt ihr entgegen. "Guten Morgen. Haben sie halbwegs gut geschlafen?" erkundigt er sich bei ihr. Ellen nickt. "Ja. So gut wie seit langem nicht mehr. Tut mir übrigens sehr leid, dass ich einfach so hier bei ihnen auf dem Sofa eingeschlafen bin. Ich hoffe es hat sie nicht zu sehr gestört." sagt sie sichtlich zerknirscht. Doch Richard winkt bloß ab. "Ach was, sie haben mich nicht gestört. Ich hatte bloß die Befürchtung, dass das Sofa ganz schön unbequem sein könnte." meint er. Dieses Mal ist es Ellen, die den Kopf schüttelt. "Ich habe die ganze Nacht durchgeschlafen, so schlimm war es also nicht." sagt sie. "Dann ist's ja gut." findet Richard. "Frühstück?" bietet er an. Ellen nickt, woraufhin Richard ihr bedeutet Platz zu nehmen. "Es gibt leider nur Brot mit Rührei. Ich habe nicht besonders viel für's Frühstück im Haus, ich wollte heute einkaufen gehen und war nicht auf Besuch eingerichtet." erklärt er. "Wie gesagt, es tut mir sehr leid, dass ich so viel länger geblieben bin als geplant." entschuldigt Ellen sich sofort. Richard legt seine Hand auf die ihre. "Das sollte kein Vorwurf an sie sein, nur eine Entschuldigung für die wenige Auswahl an Essen." stellt Richard klar.

Schweigend beginnen beide zu essen, bis sie von einem Klingeln an der Tür unterbrochen werden. Richard erhebt sich und schaut nach, wer da an einem Samstag morgen etwas von ihm wollen könnte. "Ist Frau Wegener noch bei dir?" hört Ellen kurz darauf die Stimme ihres Chefs aus der Diele. "Ja." ist Richards knappe Antwort. Den Rest des Gespräches kann sie nicht verstehen, weil der Teekessel auf dem Herd zu pfeifen anfängt. Also erhebt sie sich und füllt das Wasser in die bereitstehende Kanne, bevor sie wieder platz nimmt.

Wenig später betreten Rolf und Richard die Küche. "Bitte setz dich." sagt Richard an seinen Chef gewant und deutet auf den freien Platz Ellen gegenüber. Rolf folgt der Aufforderung. "Willst du mit essen?" erkundigt Richard sich dann. "Nein danke, ich habe bereits mit meiner Frau zusammen gefrühstückt und muss auch gleich weiter zum Dienst." erklärt Rolf und wendet sich dann Ellen zu. "Wie geht es ihnen?" will er von ihr wissen. "Gut. Ich bin froh, nicht mehr mit Döring zusammenarbeiten zu müssen und die ganze Sache endlich hinter mir zu haben, auch wenn natürlich noch etliche Verhöre geführt und Aussagen getätigt werden müssen. Aber zu wissen, dass er mich nicht mehr in der Hand hat, ist einfach sehr erleichternd." sagt Ellen. "Das freut mich. Weshalb ich aber eigentlich hier bin: ich möchte mich bei ihnen entschuldigen. Ich habe ihnen da gestern sehr viel zugemutet. Aber ich wollte unbedingt erst zugreifen, wenn wir einen Beweis für die Erpressung hatten. Klar, hätten wir ihn auch wegen sexueller Belästigung beziehungsweise sexuellem Übergriff dran kriegen können. Aber dann würde die Strafe wesentlich milder ausfallen. Oft wird den Frauen eine Mitschuld gegeben, oder sie werden bei ihren Aussagen durch die Mangel gedreht. Das wollte ich ihnen ersparen. Und ich wollte, dass der Kerl die Strafe bekommt, die er auch verdient. Ich hoffe sie verstehen, weshalb ich verhindert habe, das Richard frühzeitig eingreift." erklärt Rolf. Beim letzten Satz schaut Ellen kurz zu ihrem Kollegen, der jedoch den Blick gesenkt hält. "Ich verstehe weshalb sie gewartet haben." sagt sie dann zu Rolf. "Gut. Mehr wollte ich gar nicht, nur mich entschuldigen. Und nun werde ich mich wieder auf den Weg machen. Wie ich gestern schon sagte: nehmen sie sich alle Zeit der Welt. Ich halte auch Iversen noch etwas hin so gut ich kann. Der wird allerdings in den nächsten Tagen trotzdem auf ihre persönliche Aussage bestehen." meint Rolf bevor er sich verabschiedet und die Wohnung verlässt.

Entscheidung mit FolgenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt